Leon Grüne

Die Grenze


Скачать книгу

4. Teil

       61

       62

       63

       64

       65 Eine Woche später

       Impressum neobooks

      Prolog

      Herzrasen. Gänsehaut. Schwitzen. Paranoia. Klamm. Schauer. Oder allgemein gesagt: Angst. Was genau ist Angst? Was löst sie aus? Wie kann man mit ihr umgehen? Kann man die Angst als Solches überhaupt definieren? Aber vor allem: Ist die Angst überhaupt etwas Reales? Verurteilen Sie mich nicht, aber ist Angst nicht im Grunde genommen das Denken an ein meist unwahrscheinliches, fiktives Ereignis in der Zukunft und somit nichts weiter als eine bloße Was-Wäre-Wenn-Konstruktion in unserem Kopf? Genau wie wir uns mit dem Alter entwickeln und dazulernen, entwickelt sich auch unsere Angst weiter und lernt mit der Zeit dazu. Sie ist nichts Starres oder ein durch Normen festgelegtes Konzept, welches bei jedem Menschen die gleiche Anwendung findet. Sie ist viel mehr ein starkes und denkendes Individuum, welches in uns lebt und einen bemerkenswerten Einfluss auf uns hat. Unsere Angst prägt das Leben, das wir haben, wie nichts anderes.

      Erinnern Sie sich einmal an Ihre Kindheit zurück. Wovor hatten Sie Angst? Vor Vampiren, Werwölfen und Monstern mit rasiermesserscharfen Zähnen und riesigen Klauen, nicht wahr? Und wovor haben Sie jetzt Angst? Vor Insolvenz, beruflicher Instabilität, Inflationspreisen und der eigenen Unzulänglichkeit. Ich denke, Sie wissen, worauf ich hinaus will. Schlussendlich definiert sich der Mensch über die Entscheidungen, die er trifft. Und im Endeffekt liegt jeder Entscheidung, die wir treffen, eine bestimmte Angst zugrunde. Diese muss nicht einmal zwangsläufig von enormer Präsenz oder besonderem Schrecken sein, um einen Einfluss auf unsere Handlungen zu haben.

       Die Angst, die man wirklich üblicherweise als solche definiert, ist eine gänzlich andere. Es ist das Herzrasen, das man empfindet, wenn man nachts als Kind im Bett liegt und glaubt, ein Monster, das einen jede Sekunde mit Haut und Haaren fressen könnte, würde unter dem Bett liegen. Es ist die Paranoia, die man nach dem Ansehen eines Horrorfilms empfindet und einen dazu bringt, sich fast kontinuierlich nach allen Richtungen umzusehen um festzustellen, dass man tatsächlich alleine ist. Es ist der Schauer, der einem über den Rücken läuft, wenn man ein Geräusch, welches man sich nicht erklären kann, in der Dunkelheit hört.

      Die eigentliche Angst ist immer darauf aufgebaut, sich selbst in einer potenziellen Gefahr zu sehen. Das Fiktive in diesem Szenario nehme ich mir aus dem Grund heraus, dass ich der festen Überzeugung bin, dass die einzige Angst, die wir haben, die vor der unbekannten Gefahr ist. Jede andere ist eine Angst im Luxus, die uns weder die ganze Nacht lang wachhält, noch uns die Haare zu Berge stehen lässt. Doch trotz der Entwicklung unserer Angst, die sie von der Angst der Fiktion zu der Angst des Luxus nimmt, bleibt eine Angst unveränderlich und allzeit gegenwärtig. Die Angst, dass die Monster, die wir unser Leben lang gefürchtet haben, im Endeffekt nicht bloß fiktiv, sondern erschreckend real sind.

      1. Teil

       Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen.

       - Aristoteles

       Leben und Tod sind eins,

       Sowie der Fluss und das Meer eins sind.

       Traut den Träumen,

       Denn in ihnen ist das Tor zur Ewigkeit verborgen.

      – Khalil Gibran

       Ain’t that a shame

       My tears fell like rain

       Ain’t that a shame

       You’re the one to blame

       - Fats Domino

       Hit the road, Jack

       And don’t you come back

       No More, No More, No More, No More

      – Ray Charles

      1

      Es war der Morgen eines ganz normalen, kalten Sonntags im Dezember, an dem es passierte. Wie jeden Sonntag machten Benjamin und Kris mit ihren Eltern einen Ausflug zu dem großen See, der etwa zwei Kilometer entfernt von ihrem Haus lag, um eine halbe Stunde dort spazieren zu gehen. Eigentlich war es nicht anders als an den bisherigen Sonntagen, die sie mit einem Spaziergang begannen. Vorneweg lief Kris mit seiner Mutter, um sich über die Schule und alles andere zu unterhalten, das seinen Vater nicht interessieren würde. Dahinter liefen Benjamin und sein Vater, die sich über die Weltwirtschaft, die aktuellen Börsenkurse und wie Frederick Christ Trump es schaffte, zum Multimillionär aufzusteigen, austauschten. Alles Themen, die ihn in den Augen seines eigensinnigen Herrn Vaters interessieren mussten, um tatsächlich etwas aus dem eigenen Leben machen zu können.

      Nur ein Leben in Wohlstand ist ein gutes Leben, war sein Leitmotiv. Er selbst war ein großer Unternehmer in der Tierfuttermittelbranche. Ihm gehörten mehrere Firmen, die von den Landwirten beauftragt wurden, Futter zu liefern, welches Schweine und Rinder besonders gut und schnell mästete, Kühe mehr Milch produzieren ließ und das alles mit möglichst günstigen und oft auch mehr als unmoralischen Methoden. Es war kein sauberes Geschäft, das unbedingt zur Nachhaltigkeit und der bioökologischen Landwirtschaft beitrug, aber es war ein Geschäft, das sich rentierte, und nur darauf kam es an. Die „Food for Food Corporation“, wie sich das Unternehmen seines Vaters nannte, wurde bereits mehrfach für ihre Arbeit und das offensichtlich rein ökonomische Image kritisiert, aber das störte seinen Vater nicht weiter, denn dies waren in seinen Augen bloß die eifersüchtigen Stimmen der schlecht verdienenden Menschen, die mit ihrer Gutmenschlichkeit niemanden außer sich selbst beeindrucken konnten. Er sorgte sich nicht um Nachhaltigkeit, den Gedanken an eine saubere Umwelt oder qualitativ hochwertiges Bio-Fleisch von Tieren aus artgerechter Haltung. Das, was für ihn wichtig war, war nicht die Vorstellung einer sauberen Umwelt, annehmbare Lebensstandards für künftige Generationen oder der Erhalt gefährdeter Tierarten. Sein Geld, sein Wohlstand und seine Ideologie waren die wichtigen Punkte, die zu jeder Zeit erhalten werden mussten. Abschweifungen oder gar Änderungen unerwünscht. Und aus diesem Grund gingen die vier auch an diesem kühlen Sonntagmorgen, wie jede andere Woche auch, in der üblichen Formation um den See herum.

      Geräuschvoll knirschte der Schnee unter Kris Winterstiefeln. Die gesamten letzten Tage hatte es stark geschneit und die Landschaft in ein weißes Wunderland verwandelt. Doch am heutigen Morgen war es wärmer geworden, und die weiße Landschaft begann, sich langsam zu lichten und in dem Licht der Sonne dahinzuschmelzen. Kris‘ Mutter trug einen roten Wintermantel, der ihr bis zu den Knien reichte, sowie einen Pelzhut, der einen stark an die typisch russische Winterkleidung erinnerte. Sie war wunderschön, dachte Kris, als er seiner Mutter ein Lächeln zuwarf, welches sie bedingungslos erwiderte. Im Gegensatz zu seinem Vater war sie ein wahrer Engel auf Erden, den nichts erschüttern konnte. Sie war wie der Fels in der Brandung, der für alles und jeden einen starken Rückhalt bildete und sowohl den Schmerz als auch die Trauer, die bei ihr ausgelassen wurde, wie ein professioneller Seelsorger abfederte. Für Kris war sie die stärkste Frau der Welt, aber das war jede liebende Mutter für ihre