Tobias Fischer

Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen


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es Veyron nicht so. Anfangs hatte sie ihn überhaupt nicht ausstehen können. Seine überhebliche Art, diese ständige Rechthaberei und obendrein die unsensible Weise, mit anderen Menschen umzugehen. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie er bei einem ihrer ersten gemeinsamen Fälle eine Haushälterin wegen ›offenkundiger Unfähigkeit‹ niedergemacht hatte. Woher sollte die Dame denn aber wissen, wie man mit einer Horde diebischer Kobolde umzugehen hatte? Veyron zeigte nur wenig Verständnis für die Schwächen anderer Menschen; entsprechend hilflos war er, wenn er selbst eine Schwäche eingestehen musste. So wie jetzt. Normalerweise verbarg er so etwas, seit ihrem Krankenhausaufenthalt letztes Jahr arbeitete er jedoch an seinem Verhalten.

      Tom hatte ihr erzählt, dass sich Veyron selbst die Schuld an ihrer Verwundung gab. Seitdem zeigte er sich viel freundlicher als früher. Für Gemeinheiten entschuldigte er sich meistens sofort – oder er verkniff sie sich gleich ganz. Nicht selten lud er sie nach einem überstandenen Fall auf einen Kaffee oder zum Essen ein. Ja, sie musste ehrlich zugeben, dass sich Veyron Swift gebessert hatte.

      »Ach, vergessen Sie es«, meinte sie und winkte ab. »Kommen Sie erst mal rein. Kaffee?«

      Veyron zuckte mit den Schultern. »Wenn es Ihnen keine Umstände bereitet, gerne.«

      »Kein Problem. Den Weg zur Küche kennen Sie noch?«

      Veyron erwiderte ihr schelmisches Lächeln mit einem kurzen Zucken der Mundwinkel, dann trat er in die Wohnung und steuerte auf die Küche zu. Bevor sie die Tür schloss, bemerkte Jane den großen, vollgepackten Rucksack, den Veyron auf dem Flur abgestellt hatte. Aha, dachte sie. Er will mal wieder verreisen.

      Sie folgte ihm in die Küche, reichte ihm Zuckerdose und Löffel, holte schnell noch die Milch aus dem Kühlschrank und zwei Tassen aus dem Schrank. Er sagte kein Wort, während sie ihren Kaffeeautomaten einschaltete.

      »Haben Sie sich schon entschieden, ob Sie nun gegen Ihr schlechtes Gewissen antreten werden, oder schieben Sie die Sache weiter vor sich her?«, fragte er sie nach einer Weile durch das Zischen und Blubbern, mit dem der Automat derweil seine Arbeit tat.

      Verwirrt drehte sie sich zu ihm um. »Was meinen Sie denn damit schon wieder?«

      »Ich beziehe mich auf Ihre Diätpläne, Willkins – nicht dass Sie so was wirklich brauchen würden; ganz im Gegenteil. Doch es war ein zweifellos lieb gemeinter Rat Ihrer Freundin, obwohl Sie Weihnachten noch beschlossen, ihn zu ignorieren. Jetzt ziehen Sie diese Sache offensichtlich in Erwägung, haben aber noch keine endgültige Entscheidung getroffen.«

      Ein wenig eingeschnappt und zugleich fassungslos, wie er das schon wieder wissen konnte, stellte sie ihm die Tasse etwas fester als üblich vor die Nase. Der Kaffee schwappte beinahe über. »Okay«, schnaubte sie. »Wer hat Ihnen das gesagt, oder spionieren Sie mir jetzt auch schon hinterher?«

      Veyron lachte kurz auf und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, um Gottes willen, nein. Auf der Anrichte liegt ein Diätratgeber, funkelnagelneu. Vegetarisches Gleichgewicht. Werden Sie ein Kilo pro Woche los. Ich sehe außerdem in Ihrem Papierkorb noch die Schachtel, in der das Buch eingepackt war. Die Größe ist übereinstimmend. Zudem vermag ich am Pappkarton noch einen Streifen Tesafilm auszumachen, an dem ein Rest von Geschenkverpackung klebt. Silberne Schneeflocken auf rotem Papier. Zweifellos ein Weihnachtsgeschenk.«

      »Okay«, räumte sie ein. »So weit stimmt es schon mal, was Sie sagen.«

      Veyrons Lächeln wuchs noch einmal in die Breite. »Wer würde Ihnen wohl ein solch unsensibles Geschenk machen? Ihre Geschwister? Kaum, und sicherlich nicht Ihre Eltern. Auch ein Verehrer würde seiner großen Liebe unter gar keinen Umständen ein Buch zum Abnehmen schenken. Die höchste Plausibilität hat daher eine Freundin, mit der Sie vertraulich über dieses Thema sprachen. In ihrer freundschaftlichen Naivität war die Gute wohl der Meinung, Ihnen einen Gefallen zu tun. Sie haben das Geschenk jedoch seit Weihnachten nicht weiter angerührt, weil Sie sich ein wenig beleidigt fühlten. Wie auch immer: In den vergangenen Wochen kamen Sie auf die Idee, eine Diät in Erwägung zu ziehen, und haben das Machwerk schließlich ausgepackt. Das liegt jetzt ein paar Tage zurück, denn die Schachtel im Papierkorb liegt unter zahlreichen zerrissenen Briefumschlägen mit verschiedener Datierung. Vorhin konnte ich zudem einen kurzen Blick in Ihren Kühlschrank erhaschen. Sein Inhalt verrät mir eine alles andere als vegetarische, ausgewogene Ernährung. Folglich haben Sie die Ratschläge in diesem Buch noch nicht umgesetzt. Aber Sie überlegen noch, ansonsten wäre dieses Buch entweder ebenfalls in den Papierkorb gewandert oder hinauf ins Regal – und nicht mitten auf die Anrichte.«

      Jane musste tief durchatmen. »Vor Ihnen ist doch wirklich nichts sicher. Nicht mal seinen Müll kann man in Ruhe liegen lassen«, warf sie ihm vor.

      Beiläufig zuckte er mit den Schultern. »Ich beobachte nur, Willkins und ziehe aus dem Gesehenen meine Schlüsse. Nehmen Sie es nicht persönlich.«

      Sie nickte und beschloss, endlich das Thema zu wechseln. Veyron Swift tauchte bestimmt nicht vor ihrer Tür auf, um über Diäten oder unsensible Freundinnen zu fachsimpeln. »Also, wie kann ich Ihnen helfen? Sind Sie schon wieder an einem neuen Fall dran?«, fragte sie ihn schließlich.

      »Sozusagen. Ich fürchte, ich muss Ihre Hilfe in Anspruch nehmen, Willkins. Wenn Sie sich also rasch was anziehen und zusammenpacken könnten … Wir müssen so schnell wie möglich aufbrechen. Spätestens bis Mittag sollten wir in Dover sein.«

      Jane zuckte kurz zusammen. »Was wollen Tom und Sie denn in Dover? Geht es um das Schwarze Manifest?«

      »Nein, nicht Tom und ich, sondern Sie und ich, Willkins. Nur wir beide. Tom ist diesmal nicht dabei«, erwiderte er, jetzt schon wieder viel kälter und distanzierter als noch vor einem Moment.

      »Aha. Streit mit Tom?«

      »Lediglich eine Meinungsverschiedenheit. Es ist besser, wenn er diesmal zu Hause bleibt. Ich kann ihn ja nicht ständig aus seiner gewohnten Umgebung herausreißen, wenn es einen Fall zu lösen gibt«, sagte er.

      Jane nickte. Wie oft sie das Veyron schon gepredigt hatte. Offenbar fing er jetzt endlich an, ihre Ratschläge zu beherzigen. Eine weitere große Verbesserung. »Endlich nehmen Sie Vernunft an. Okay, wie lange werden wir weg sein?«

      »Schwer zu sagen. Wir fahren nach Dover, von dort geht es sehr wahrscheinlich nach Elderwelt. Eventuell ein paar Wochen, vielleicht auch ein paar Monate – aber das ist jetzt eine sehr pessimistische Einschätzung«, erklärte er.

      Sie japste, als sie das hörte. Ein paar Wochen? War er denn total übergeschnappt? »Veyron, das geht nicht …«, begann sie und suchte nach den richtigen Worten, um es ihm schonend beizubringen. Ehe sie jedoch etwas sagen konnte, hob er beruhigend die Hände.

      »Machen Sie sich keine Sorgen. Ihr Urlaubsantrag lautet auf unbestimmte Zeit und liegt bereits auf Inspektor Gregsons Tisch, genehmigt von Commissioner Hopkins.«

      »Was?«, stieß sie ungläubig hervor. Ihre Gedanken rasten wild hin und her, verzweifelt bemüht, irgendeine Ordnung zu finden. Was hatte Veyron da nun wieder angerichtet? »Haben Sie meine Unterschrift gefälscht? Das fällt Gregson doch sofort auf!«

      »Nein, das habe ich selbstverständlich nicht getan. Der Antrag ist maschinell ausgefüllt«, rechtfertigte er sich ein wenig fahrig und pikiert, als hätte sie ihm unterstellt, ein Einfaltspinsel zu sein.

      Jane atmete erleichtert aus.

      »Ich musste lediglich die Unterschrift des Commissioners fälschen«, sagte Veyron schließlich.

      Instinktiv schlug Jane die Hände vors Gesicht. »Veyron …«

      »Keine Sorge, ich habe zwei Stunden damit verbracht, sie zu üben. Es hat mich einige Dutzend Versuche gekostet, aber das Ergebnis ist perfekt, und …«

      »Veyron!«, unterbrach sie ihn.

      »Sie haben recht. Es tut mir leid. Natürlich hätte ich Sie vorher einweihen müssen. Aber ich hatte einige Vorbereitungen zu treffen, viele davon simultan. Es blieb keine Zeit mehr, um …«

      Abermals schnitt sie ihm mit einem »Veyron!« das Wort ab; diesmal sehr viel lauter.