Tobias Fischer

Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen


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Mund wirkte er wie ein übergroßer Spitzbub, den man gerade bei einem Streich erwischt hatte.

      »Das geht nicht, was Sie da machen. Sie könne mich nicht einfach so entführen, okay? Im Gegensatz zu Ihnen führe ich ein geregeltes Leben. Ich kann mich nicht einfach in ein Abenteuer stürzen.«

      Veyron zuckte zurück, vollkommenes Unverständnis auf seinem hageren Gesicht. »Ich führe ebenfalls ein sehr geregeltes Leben, Willkins, sehr viel geplanter und geregelter als das Ihre oder das von Inspektor Gregson. Bitte vertrauen Sie mir. Ich würde Sie nicht um Hilfe bitten, wenn es nicht notwendig wäre. Doch ich brauche einen Assistenten, und ich wüsste niemanden, der dafür besser geeignet wäre als Sie.« Er atmete einmal tief durch und schloss kurz die Augen.

      Ein Moment verging.

      »Ich brauche Sie, Jane«, sagte er.

      Unentschlossen rang sie ihre Finger. Jane, hatte er gesagt. Das tat Veyron nur, wenn er es absolut ehrlich meinte. Er wurde sonst nie persönlich. Also nach Elderwelt, dachte sie. Einmal war sie schon dort gewesen und hatte einige Abenteuer erlebt. Trotz zahlreicher misslicher Lagen, in die sie geraten waren, hatte sie es eigentlich recht genossen. Sollte sie sich diese Chance entgehen lassen, dieses magische Reich erneut aufzusuchen?

      »Also gut. Was soll ich einpacken?«, fragte sie.

      Eine halbe Stunde später waren sie unterwegs. Jane wollte zunächst ihren Wagen nehmen, doch Veyron bestand darauf, mit dem Zug zu fahren, weil das schneller ginge. Also fuhren sie zum Bahnhof St Pancras International. An den ziegelroten, kathedralgleichen Bau des alten, viktorianischen Bahnhofsgebäudes schloss im Osten ein moderner Gebäudekomplex aus Stahl und Glas an, und diese Mischung aus Alt und Neu erinnerte Jane unweigerlich ein wenig an das, was vor ihnen lag. In Kürze würden sie die moderne Welt verlassen und in die archaische, von Magie beherrschte Elderwelt übertreten.

      Mit dem Zug ging es ohne Halt nach Dover, und während der Fahrt zeigte sich Veyron recht verschwiegen. Die ganze Zeit über schaute er nur aus dem Fenster ihrer Reisekabine, den Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet.

      »Was ist eigentlich aus dem Schwarzen Manifest geworden? Konnten Sie da schon was rausfinden? Das war ja ein echt gruseliges Buch«, versuchte sie, ihn zu einem Gespräch zu bewegen. Es gab nicht viel, mit dem man Veyron begeistern konnte, aber für außerweltliche Themen war er eigentlich immer zu haben.

      »Nein, bedauerlicherweise konnte ich dafür noch keine Zeit erübrigen. Nach meiner Rückkehr plane ich allerdings einen Besuch bei Mr. Albert Tommerberry«, sagte er, ohne sie dabei anzusehen.

      »Dieser Buchhändler, der seinen Tod fingiert hatte? Der sitzt doch im Gefängnis«, meinte sie überrascht.

      »Ihr Gedächtnis funktioniert, Willkins. Sie selbst waren dabei, als es damals zur Verhaftung kam«, erwiderte er kalt.

      Jane ballte kurz die Fäuste. Da war er wieder, der gefühllose, stoische, gemeine Veyron Swift. Dann eben nicht, dachte sie beleidigt und tat es ihm gleich, sinnlos aus dem Fenster zu starren. Ein paar Minuten später verschwamm die vorbeihuschende Landschaft vor ihren Augen, ihre Lider fielen zu, doch gerade, als sie so richtig in die Tiefschlafphase versank, weckte sie Veyron auch schon wieder auf.

      »Wir sind da.«

      Mit ihren Rucksäcken (ihrer war viel üppiger bepackt als jener Veyrons) verließen sie den Zug und machten sich auf die Suche nach den Lkw-Parkplätzen. Veyron nutzte die Zeit, um sie über die letzten Ereignisse in der Wisteria Road aufzuklären.

      »Ich konnte im Dienstwagen der beiden Polizisten, die meine Klientin in die Wisteria Road brachten, ein rumänisches Wörterbuch auf dem Armaturenbrett erkennen; aufgeschlagen. Daher scheint es mir schlüssig, anzunehmen, dass sie damit beschäftigt waren, mit einem rumänischen Fahrer ins Gespräch zu kommen, als sie von meiner Klientin übernommen wurden«, erklärte er ihr, während sie auf den riesigen Parkplätzen die Lastwagen abklapperten.

      »Übernommen? Sie meinen im Sinn von Kontrolle?«, hakte sie nach.

      Veyron bestätigte das kurz, dann konzentrierte er sich wieder auf die Nummernschilder der Trucks.

      Schließlich fanden sie fünf Lastzüge aus Rumänien, die laut Logo und Aufschrift einer Spedition mit den Namen Demeter Transports gehörten. Die Fahrer standen in einer kleinen Gruppe beisammen. Jane bemerkte jedoch, dass sie kein einziges Wort sprachen. Die fünf Männer standen einfach nur da, starrten sich an und regten keinen Muskel. Ihre Augen wirkten trübe, als stünden sie unter Drogen. In der Nähe parkte ein Polizeiwagen, doch die beiden Constables im Inneren zeigten am Geschehen keinerlei Interesse. Auch sie schienen nur in eine einzige Richtung zu starren. Trotz der hellen Mittagssonne kam Jane das alles sehr gespenstisch vor.

      »Mit denen stimmt etwas nicht«, raunte sie Veyron zu, der kurz die Augen zusammenkniff.

      »Mit meinen Männern ist alles in Ordnung«, erklang hinter ihnen eine weibliche Stimme.

      Veyron und Jane drehten sich um, wobei Veyron ein kurzes Lachen ausstieß. »Interessant«, sagte er.

      Jane wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Vor ihnen stand eine junge Frau, allerhöchstens Mitte zwanzig, hochgewachsen und gertenschlank. Die perfekte Modelfigur, dachte Jane mit einem Anflug von Neid. Sie war zwar ebenfalls schlank, aber ein paar Kilo könnten ruhig noch runter – wie bereits ihre charmante Freundin angemerkt hatte.

      Die junge Frau entblößte ihre Zähne zu einem wölfischen Grinsen, während sie ihnen entgegenkam. Jane fand, dass es für das enge Tanktop und die knappe schwarze Lederjacke der Lady noch etwas zu frisch war, sie hatten immerhin erst Mitte März. Offenbar gab sich die Dame hart im Nehmen. Und streng schien sie auch zu sein, zumindest erweckte das blonde – beinahe schon weiße –, zu einem Zopf geflochtene Haar diesen Eindruck. Verunsichert fuhr sich Jane mit den Fingern durch ihr eigenes dunkles, offen herabhängendes Haar. Irgendwie schien die Fremde optisch das genaue Gegenteil von ihr zu sein.

      »Hervorragend«, sagte die Frau und schnippte mit den Fingern.

      Vor Janes Augen wurden die Fahrer plötzlich lebendig, traten auseinander und eilten zu den Führerhäusern ihrer Trucks.

      »Ihr habt Euch also entschlossen, meinen Auftrag anzunehmen. Sehr gut. Hier«, sagte sie an Veyron gewandt und zog zwei Tickets hinter ihrem Rücken hervor. »Boardingpässe für die Fähre. Die Whitby 2. Ich sehe, Ihr habt Euren vorlauten Bengel zurückgelassen und gegen eine weibliche Begleitung eingetauscht? Mir soll es recht sein.«

      Sie berührte das eine Ticket mit ihren Lippen wie zu einem kurzen Kuss. Jane weitete überrascht ihre Augen. Eben hatte noch Thomas Packard als Name darauf gestanden, der nun spurlos verschwunden war. Sie muss eine Hexe sein, dachte Jane und spürte, wie sie sich auf einmal erheblich unbehaglicher fühlte.

      »Jane Willkins«, sagte Veyron beiläufig.

      Die junge Hexe schüttelte das Ticket und reichte es Jane. Tatsächlich: Jetzt stand ihr Name darauf. Etwas ratlos blickte sie zu Veyron.

      »Ich habe das Gefühl, Sie müssen mir noch ein paar Sachen erklären«, flüsterte sie ihm zu.

      Veyron schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln, dann wandte er sich wieder der Hexe zu. »Bei unserer letzten Begegnung habt Ihr ein anderes Outfit getragen, Mylady. Ich nehme an, diese Tarnung ist eine Projektion in unseren Gedanken und nicht Euer tatsächliches Erscheinungsbild?«

      Die Hexe lächelte selbstgefällig. »Zutreffend erkannt, Meister Swift. Aber bitte, nennt mich Jenna Davis, solange wir uns in Eurer Welt aufhalten. Wir müssen los. In Calais sehen wir uns wieder, danach fahren wir weiter nach Rumänien.«

      »Sie gehen gar nicht mit an Bord?«, fragte Jane misstrauisch.

      Jenna Davis lachte kurz auf. »Doch, aber als Frachtgut. So ist es sicherer, falls sich Spione des Dunklen Meisters an Bord der Fähre aufhalten«, sagte sie und stieg ins Führerhaus eines der Lastwagen.

      Veyron nahm Jane am Arm und führte sie von den Lastwagen fort. Wütend patschte sie ihm auf die Finger.

      »Sie