Regan Holdridge

Der Ruf des Kojoten


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ihn verführen zu dürfen, weil sie wusste, dass es sonst in seinem Leben derzeit kein Mädchen gab. Ab und an ein kleines Techtelmechtel ohne Folgen, nichts Ernsthaftes und nur deshalb, weil es ihm Vergnügen bereitete, seine Reize am anderen Geschlecht auszuloten. Molly hielt ihn durchaus nicht für oberflächlich, denn sie kannte sich mit Männern wie Stacy McCullough aus. Irgendwann, wenn sie sich die Hörner abgestoßen hatten und das richtige Mädchen trafen, heirateten sie ja doch alle. Jetzt wollte er noch frei und unabhängig sein, seinem strengen Vater die Stirn bieten und rebellieren, einfach bloß deswegen, weil es ihm Spaß machte und er sich dabei bestätigt fühlte.

      Was sie nicht ahnte, waren Stacys innere Kämpfe, dieses Verlangen irgendwie zu kontrollieren, das ihn dazu zwang, sich von den anderen zu unterscheiden, sich abzuheben und nicht angepasst zu sein, wie die Gesellschaft es von ihm erwartete. Diese Art von Rebellion lag ihm im Blut und er konnte sie nicht besiegen, denn es waren dieselben Eigenschaften, die Harold zu seinen vielen Einsätzen für andere trieb. Sie erkannten nur nicht, wie ähnlich sie sich im Grunde genommen waren und dass diese innere Verknüpfung, die sich lediglich unterschiedlich äußerte, zu ihren ständigen Differenzen führte.

      „Würdest du nicht aussehen wie der griechische Gott der Schönheit“, sagte Molly einmal, „würde ich dich überhaupt nicht mit hier heraufnehmen, Jungchen. Bist ja noch grün hinter den Ohren!“

      Als Stacy das Hotelzimmer nach zwei Stunden ein wenig erschöpft, aber überaus befriedigt wieder verließ und auf den Bürgersteig vor dem Gebäude trat, bemerkte er nicht, dass jemand im selben Moment seinen scharfen Blick auf ihn richtete. Er zündete sich einen Zigarillo an und blies den Rauch gegen den sternenklaren, dunklen Nachthimmel. Die Stunden mit Molly, die er mit ihr verbrachte, zählten zu den intensivsten, die er je kennengelernt hatte. Es war nicht nur deshalb, weil sie die bisher einzige Prostituierte war, mit der er schlief, sondern ihr Verständnis. Sie kannte diese Sehnsucht nach Streit und Provokation, die immer unter seiner scheinbar attraktiven, gefälligen Oberfläche brodelte – und sie verstand. Er brauchte sich ihr gegenüber nicht zu rechtfertigen und seine Aktionen zu verteidigen, wie er es Zuhause stets tun musste.

      Zufrieden lächelnd schlug Stacy den Weg zurück zur West Side Bar ein, um nach Randy und seiner Begleiterin zu schauen. Er wollte sehen, was sein Kumpel so anstellte, ob er ihn wieder völlig betrunken zu Hause abliefern musste oder ob diese Brünette – wie hieß sie doch gleich? – einen guten Einfluss auf ihn hatte.

      „Hey! McCullough!“ Eine Gestalt trat aus dem Schatten eines Gebäudes in das Licht der Straßenlaterne. Stacy erkannte ihn sofort an seinem hünenhaften, massigen Körperbau. Er seufzte. Im Augenblick besaß er wirklich keinen Nerv, sich mit ihm herumzuärgern. Sie gerieten regelmäßig aneinander, nicht nur an den Samstagabenden.

      „Was denn?!“ Stacys Zigarillo fiel auf den Asphalt der Straße, qualmte dort vor sich hin. Er trat ihn mit dem Absatz seines Stiefels aus.

      „Das weißt du ganz genau!“ Der andere junge Mann baute sich vor ihm auf, die Arme herausfordernd in die Hüften gestemmt.

      „Hör zu“, wehrte Stacy genervt ab. Es juckte ihm in den Fingern, diesem Großmaul endlich eine Lektion zu erteilen. Doch er hatte seinem Vater und Byron versprochen, sich zusammenzureißen und anständig zu benehmen und er wollte es diesmal wirklich tun. „Was auch immer es ist: Lass uns das anderes mal klären, okay?“

      „Ein anderes mal? Ach ja?!“ Seine Pratze stieß Stacy vor die Brust, er taumelte drei Schritte zurück, noch immer nicht bereit, sich auf einen Kampf einzulassen. Vermutlich würde er ohnehin den Kürzeren ziehen. Mit Tyrone Clifton war nicht zu scherzen. Als Sohn des ansässigen Schmieds und mit seinem Vater das Geschäft führend, besaß er nicht nur ein hitziges Temperament, sondern auch enorme Kräfte, die ihm einigen Respekt bei den hiesigen Männern eingebracht hatte. Außerdem überragte er Stacy um fast einen Kopf, was die Angelegenheit nicht unbedingt vereinfachte. Stacy selbst war noch nie Zeuge einer Schlägerei geworden, bei der Tyrone sämtliche Teilnehmer entweder vertrieben oder ohnmächtig geprügelt hatte. Er kannte die Geschichten nur vom Hörensagen, doch jetzt, als die beiden Fäuste ihn am Kragen packten und gegen den Stützpfosten eines Vordachs pressten, war er gewillt, diesen durchaus Glauben zu schenken. Er schnappte nach Luft, der harte Griff raubte ihm den Atem. Gut, es ging nicht anders. Sein Stolz verbot es ihm, ohne Gegenwehr eine solche Behandlung zu dulden.

      „Lass mich los!“

      „Das denkst du dir, Freundchen, häh?!“ Tyrones whiskeygeschwängerter Atem schlug ihm ins Gesicht. „Nach allem, was du mir angetan hast, du verdammter Scheißkerl?!“

      Stacy verstand noch immer kein Wort. Wusste der Henker, um was es sich handelte, das Tyrone hatte so wütend auf ihn werden lassen. Jedenfalls wollte er jetzt wieder weiter und den restlichen Abend genießen oder besser gesagt, noch ein wenig Zeit mit anderen Mädchen verbringen. Er ballte seine Hände und schlug blind zu, denn er konnte in der schlecht beleuchteten Straße nur erahnen, wo sich das Gesicht seines Gegenübers befinden musste. Tyrone schrie auf, sein Griff lockerte sich. Stacy spürte kaum den stechenden Schmerz in seiner Hand, er versetzte dem Schmied einen weiteren Kinnhaken. Tyrone fiel rücklings auf den Asphalt der zum Glück unbefahrenen Straße. Sein lauter Aufschrei lockte Neugierige aus den nahe gelegenen Kneipen, die sich um sie versammelten. Keiner machte Anstalten sich einzumischen. Alle beobachteten sie das Geschehen, tuschelten oder kicherten.

      Tyrone rappelte sich auf und obwohl Stacy damit gerechnet hatte, konnte er dem zornigen Mann nichts entgegensetzen. Sie flogen beide hart und schmerzhaft auf den asphaltierten Bürgersteig und im nächsten Moment wurde er wieder nach oben gerissen. Der Würgegriff drückte ihm die Luft ab, er kam nicht frei.

      „Du verdammter Hurensohn!“, gellte die Stimme in sein Ohr. „Du hast nicht das Recht, sie mir wegzunehmen! Ich liebe sie! Ich! Ich! Ich ganz allein!“

      Endlich dämmerte Stacy der Grund für Tyrones Wut: Es ging um Molly. Es war ein offenes Geheimnis, über das viel getratscht und getuschelt wurde, dass der Schmied hoffnungslos in die wenig ehrbare Frau aus dem dritten Stock des Mietshauses neben der Stadtbibliothek verschossen war und sie ihm bei all seinen Bemühungen stets die kalte Schulter zeigte. Irgendwie schien er von den samstäglichen Treffen zwischen ihr und Stacy McCullough Wind bekommen zu haben.

      Er hustete, seine Kräfte verließen ihn und wenn Tyrone ihn nicht bald losließ, würde er wohl über kurz oder lang das Bewusstsein verlieren. Seine Chancen standen gleich null, seine Kraft reichte einfach nicht aus, um gegen einen Mann mit solchen Muskeln anzukommen. Wieso sah sich eigentlich von diesen ganzen Feiglingen, die um sie herumstanden, keiner dafür zuständig, ihm zu helfen?! Er versuchte noch einmal nach seinem Gegner zu schlagen, doch in diesem Augenblick wurde Tyrone von ihm fort, nach hinten gezerrt. Stacy fiel auf den Teer, mit dem Gesicht voraus. Er hustete und keuchte. Luft, nur endlich Sauerstoff! Er spürte etwas Warmes aus seiner Nase laufen und seine linke Handfläche brannte wie Feuer.

      „Hau ab, du Schwachkopf, bevor ich die Polizei rufe! Na, mach’ schon!“

      Das war eine vertraute Stimme, die er unter anderen Umständen und zu anderer Gelegenheit vermutlich gern zu seiner Hilfe hätte kommen sehen. Jedoch in diesem Fall war sich Stacy nicht ganz schlüssig, ob er nicht besser an Tyrones Griff erstickt wäre. Nur allmählich lichtete sich der Nebel um sein Bewusstsein. Langsam hob er den Kopf, nur um auf den kalten, verständnislosen Blick seines großen Bruders zu treffen, der ihn an den Oberarmen packte und auf die Füße zerrte.

      „Los, wir gehen. Du hast für heute mal wieder genug fertiggebracht! Bist du jetzt wenigstens zufrieden?“

      „Aber...“ Er konnte nicht sprechen, noch immer bekam er zu wenig Luft. Er wischte sich mit dem Rücken seiner Hand das Blut weg, das ihm aus der Nase lief. „Nicht...meine Schuld...hab...nicht...angefangen...wirklich...“

      „Halt einfach dein Maul!“, fuhr Byron ihn wütend an. Durch die Menge der Schaulustigen, die sich allmählich auflöste, zerrte er seinen kleinen Bruder hinter sich her, die Straße hinab, wo der Ford geparkt war. Stacy wehrte sich nicht und er machte auch keine Anstalten zu widersprechen. Sein Schädel dröhnte, was wohl an der langen fehlenden Sauerstoffversorgung lag und er ließ sich auch ohne Protest von Byron auf den Beifahrersitz