Regan Holdridge

Der Ruf des Kojoten


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ließ den Motor an und lenkte den Wagen sicher zwischen den anderen parkenden Fahrzeugen heraus. Von Zeit zu Zeit warf Stacy ihm einen fragenden Blick zu, während sie durch die Nacht fuhren – das einzige Geräusch zwischen ihnen blieb das Dröhnen das Motors. Byrons Gesichtsausdruck war nicht sehr vielversprechend, sodass er es für besser hielt, kein Wort mit ihm zu wechseln.

      Die Ranch lag im Dunkeln, keine Lichter brannten mehr hinter einer Fensterscheibe, als sie in den Hof einbogen. Erleichtert atmete Stacy auf. So blieb ihm der Ärger zumindest bis zum anderen Tag erspart. Das Nasenbluten hatte aufgehört, wenn auch dafür in seinem Schädel sein Puls jetzt dröhnte.

      Während sie langsam vom Wagen, den sie immer neben dem Wohnhaus parkten, zur Haustür hinüber wanderten, fragte Byron plötzlich in die Stille hinein: „Ist es wahr?“

      Stacy begriff sofort, worauf er hinauswollte, hielt es jedoch für geschickter, erstmal den Ahnungslosen zu spielen: „Was?“

      „Das mit dir und Molly?“ Der scharfe, durchdringende Blick aus zwei braunen Augen schien ihn durchbohren zu wollen.

      Er hob die Schultern. „Wir haben uns ein paar Mal getroffen...“

      Byrons Hände packten seinen Hemdkragen, schüttelten ihn. „Bist du eigentlich noch zu retten?! Eine Nutte, ja? So tief sind wir also schon gesunken?! Genügen dir deine hunderte von Verehrerinnen nicht mehr, oder was?!“

      „Molly ist in Ordnung!“ Er schlug die Hände seines Bruders fort. Schon wieder! Immer diese Bevormundung, diese Erzieherei, die er an ihm versuchte! Er war bloß ein Jahr älter! Das Feuer flammte wieder einmal in ihm auf.

      Fassungslos richtete Byron seinen Blick gegen den sternenklaren Nachthimmel. „Du bist...du bist...“

      „Ja, was?!“ Wenn er Streit wollte – nur zu! Er war gerade in Stimmung! „Was bin ich?! Ha?!“

      Sein großer Bruder presste die Lippen zu einem schmalen Streifen zusammen, starrte ihn angewidert an. „Bei dir gibt es nichts! Kein Gefühl dafür, was recht und was unrecht ist, keine Verantwortung und schon gar kein Benehmen! Du bist einfach nur...das Allerletzte!“

      Er trat an ihm vorbei zu den beiden Stufen, die zur Veranda hinaufführten und versäumte es aber nicht, seinen kleinen Bruder dabei absichtlich an der Schulter anzurempeln. Oben, vor der Haustür, blieb er noch einen Moment stehen, blickte zurück und spuckte dann laut und demonstrativ auf die Planken der Veranda, bevor er ihm Haus verschwand.

      Stacy atmete tief durch, sehr lange, bis er sich wieder halbwegs beruhigt hatte. Irgendwann, da würde er sich vergessen. Eines Tages, da wäre es soweit und es kam zum ganz großen Eklat zwischen ihnen und selbst, wenn er danach der Familie verstoßen werden sollte. Der Moment rückte jedoch verdammt nahe, an dem sein Temperament mit ihm durchgehen und Byron nicht länger sein Bruder sein würde.

      Das dröhnende Gefühl in seinem Schädel ließ Stacy leise stöhnend in sein Kissen zurücksinken, als wenige Stunden später der Wecker auf seinem Nachttisch laut und grausam rasselte. Sonntag, der Kirchenbesuch schwebte wieder einmal in drohender Aussicht über ihm. Er stöhnte gequält vor sich hin. Harold achtete stets streng darauf, dass seine Familie regelmäßig zum Gottesdienst erschien. Er konnte mehr als nur ungnädig sein, wenn eines seiner Kinder sich aus welchen Gründen auch immer zu weigern versuchte.

      Stacy schloss noch einmal die Augen, er fühlte sich alles andere als einer solchen Veranstaltung, wie der Predigt ihres protestantischen Pfarrers gewachsen, die ausschweifend und oft über eine Stunde vor sich hin plätscherte und ihn schon in ausgeschlafenem Zustand kaum zu fesseln vermochte. Aber gut, es half nichts, sein Vater würde erst recht darauf bestehen, würde er ahnen können, was am vorigen Abend vorgefallen war.

      Stacy schauderte bei der Vorstellung. Das Hämmern hinter seiner Stirn ließ nur allmählich nach und er wagte es, vorsichtig gegen das morgendliche Sonnenlicht anzublinzeln – es ging sogar halbwegs, ohne dass ihm gleich der Schädel zersprang. Vielleicht hätte er auf die letzten beiden Whiskeys mit Molly doch lieber verzichten sollen. Gestern Abend – Stacy musste grinsen. Sie war ganz einfach eine großartige Frau. Er räkelte sich bei der Erinnerung an die vergnüglichen Stunden im Hotelzimmer. Es störte ihn nicht, dass sie fast zehn Jahre älter war als er und sich auch mit anderen Männern traf. Sie war verrucht, natürlich, das wusste jeder in der Stadt, aber sie besaß Erfahrung und vor allem musste er sich bei ihr keine Gedanken wegen Heirat und Kindern oder derart Verbindlichkeiten machen, die er keinesfalls bereits war einzugehen. Das war einfach nicht ihr Lebensstil und manchmal dachte er, seiner vielleicht auch nicht. Vielleicht war er einfach nicht dazu geschaffen, eines Tages ein braver Ehemann und Vater zu sein, wie es alle von ihm erwarteten. Er wusste eigentlich überhaupt nicht so genau, was für sich und sein Leben in dieser Hinsicht gut sein könnte.

      Weniger schön kehrte jetzt das in seine Erinnerung zurück, was danach geschehen war. Hoffentlich würde Byron nichts davon ausplaudern, ansonsten...die Konsequenzen wollte Stacy sich gar nicht erst ausmalen. Bisher war er immer nur wegen Schlägereien negativ aufgefallen, aber wenn innerhalb seiner Familie bekannt wurde, dass er Stammgast bei Molly wäre... Das laute Klopfen an der Tür ließ den jungen Mann zusammenzucken.

      „Bist du endlich soweit? Ich will nicht wieder ewig auf dich warten müssen!“ Nur sein Vater – wer auch sonst? – brachte es fertig, schon am frühen Morgen herumzubrüllen wie ein General.

      „Ja, ja“, knurrte Stacy missgestimmt und schob seine Beine aus dem Bett. ‚Ich könnte wirklich darauf verzichten’, dachte er. ‚Sogar mehr als das!’

      Als er in den Spiegel über seiner Kommode blickte, erschrak er über seinen eigenen Anblick: Dunkle Ränder zeichneten sich unter seinen Augen ab und an der Stelle am Hals, wo Tyrone Clifton ihn gewürgt hatte, prangte eine blau unterlaufene Linie. Seine rechte Hand schmerzte außerdem von den beiden Schlägen, die er dem Schmied verpasst hatte. Auch seine Nase war noch ein wenig geschwollen, auch wenn er sich nicht erinnerte, weshalb sie überhaupt geblutet hatte. Nein, er sah sich wirklich außerstande für einen Kirchenbesuch.

      Stacy betrat als letzter den Wohnraum, wo der Frühstückstisch gedeckt auf ihn wartete. Die einzigen beiden, die ihm keinen vorwurfsvollen Blick zuwarfen, waren seine beiden Schwestern. Sie schenkten ihm ein Lächeln und ein munteres „Guten Morgen!“, das er jedoch aufgrund seiner Kopfschmerzen kaum ertrug. Liebevoll strich er Sarah im Vorübergehen kurz durch das goldbraune Haar, bevor er sich neben seinem Vater ums Tischeck, auf seinem Stammplatz niederließ. Der Geruch des Rühreis mit Speck drehte ihm fast den Magen um, doch er bemühte sich, es zu verbergen. Er besaß noch keinen Nerv, sich – wie meistens nach diesen Tanzveranstaltungen und schon überhaupt nicht nach der gestrigen – eine Standpauke seines Vaters anzuhören.

      Wortlos nahm Sarah den Teller ihres Bruders und füllte ihn. Immer wieder wanderte ihr Blick zu seinem blassen Gesicht und den rotgeschwollenen, müden Augen. Sie hatte ihn nie danach gefragt, weshalb er sich Samstagabend immer so lange in der Stadt herumtrieb, aber sie konnte es sich denken und ihr waren auch entsprechende Gerüchte zugetragen worden. Andere junge Männer und auch Byron schienen sich da wesentlich besser im Griff zu haben als Stacy und sie fragte sich, was ihn wohl dazu brachte, sich so schrecklich danebenzubenehmen, wo er doch wusste, dass ihr Vater regelmäßig einen Wutanfall deswegen bekam.

      „Ich hoffe, dein Gesichtsausdruck ändert sich noch zum Positiven, bis wir bei der Kirche angelangt sind“, bemerkte Harold wie nebenbei, doch sein strenger, finsterer Blick offenbarte Stacy sehr genau, was sich hinter diesen Worten verbarg.

      „Ich werde mich bemühen“, murmelte er so leise, dass sein Vater ihn kaum verstand. Ihm gegenüber saß Byron, der ihn regungslos anstarrte, als wartete er auf irgendetwas und Stacy erahnte die Zusammenhänge. Dieser Verräter!

      „Hoffentlich.“ Harolds Stirn legte sich in tiefe, kritische Falten. „Es ist mehr als entrüstend zu erfahren, dass der eigene Sohn sich mit einer bestimmten Art…“ Er hüstelte unangenehm berührt, als er die gespannten, fragenden Blicke seiner Töchter spürte. „…nun, nennen wir es Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts abgibt.“

      Ruckartig warf Stacy den Kopf zurück. Seine Kopfschmerzen waren vergessen.