Regan Holdridge

Der Ruf des Kojoten


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war, zu den Winterquartieren der Jungpferde, um dort nach dem Rechten zu sehen und dass die beiden Jungs auf der Nachbarranch mit dem dortigen Sohn verabredet waren. Aber die Zwillinge mussten hier sein und damit auch Fey irgendwo in der Nähe.

      Jon rannte mit langen Schritten in die Küche, in der sicheren Annahme, Fey dort vorzufinden. Er täuschte sich, dort herrschte gähnende Leere und kein Anzeichen, dass seit dem Frühstück jemand hier gewesen war. Ohne lange zu überlegen, eilte er ins Obergeschoß hinauf. Er hatte hier nichts zu suchen und er war auch noch nie hier oben gewesen, doch das hier war eine Situation der besonderen Art.

      „Fey?“

      Die Tür zu ihrem Schlafzimmer war nur angelehnt, ungeduldig trommelte er mit der Hand dagegen – sie schwang lautlos auf. Die Vorhänge waren zugezogen, sodass ein dämmriges Licht den großen Raum beherrschte. Es dauerte eine Sekunde, ehe Jon die Umrisse der Möbel erkennen konnte und dann entdeckte er sie: Sie lag auf dem Bett, angekleidet und friedlich schlafend. Erleichtert trat er zu ihr, mit einer Hand schüttelte er die Frau seines Arbeitgebers sacht an der Schulter. Ihre eingefallenen, ohnehin schon schmalen Gesichtszüge wirkten erschreckend blass, als seien sie nicht von einem lebenden, sondern von einem toten Menschen und das, obwohl sie gerade einmal fünfunddreißig Jahre alt war. Der Gedanke erschreckte Jon so sehr, dass ein Schauer über seinen Rücken jagte.

      „Fey? Bitte, wach auf!“ Er schüttelte sie kräftiger und endlich erhielt er eine Reaktion.

      Sie regte sich und öffnete verwundert die Augen. Sie schien nicht zu wissen, wo sie sich befand. „Was…Jon! Wie kommst du…“

      „Entschuldige, Fey!“ Zuvorkommend half er ihr, sich aufzusetzen. „Ich hab’ überall nach dir gesucht. Aber das spielt jetzt keine Rolle, erzähl mir lieber endlich die Wahrheit, wenn du schon deinem Mann gegenüber offenbar nicht ehrlich bist! Ich habe Doktor Milford in der Stadt getroffen!“

      Feys Atem ging schwer und unregelmäßig. Es dauerte einige Minuten, ehe sich ihr Zustand besserte. „Dann weißt du es also“, brachte sie endlich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Sie hielt sich die Hände vor den Bauch.

      „Oh, Fey! Wenn…wenn dir etwas passiert wäre!“ Es klang schärfer und vorwurfsvoller als er beabsichtigt hatte.

      „Viel kann mir wohl nicht mehr zustoßen“, entgegnete sie zynisch und legte die Stirn in Falten. „Außer, dass ich in absehbarer Zeit dahinscheiden werde.“

      „Fey, bitte!“ Er wollte so etwas nicht hören.

      „Hat dir Doktor Milford nicht alles gesagt? Ach ja, die Schweigepflicht!“ Es klang beinahe verächtlich. „Nun gut, wenn dich die grausame Realität wirklich interessiert: Ich bin krank und kein Arzt dieser Welt kann mir noch helfen! Doktor Milford meint, es ginge vielleicht noch ein paar Monate, aber länger nicht.“

      „Das kann nicht wahr sein!“ Der Schmerz war so stark, dass Jon glaubte, er würde sein Innerstes zerreißen. Sie war noch viel zu jung! Sie hatte vier kleine Kinder, die ihre Mutter brauchten, ihre Fürsorge, ihre Liebe! Das konnte nicht gerecht sein, das konnte auch nicht gewollt sein von dem da oben, von diesem Gott, zu dem er täglich betete. Das durfte, durfte, durfte einfach nicht passieren! Seine großen, mit Hornschwielen übersäten Hände pressten die ihren ineinander.

      „Wir müssen es akzeptieren.“ Plötzlich klang ihre Stimme wieder ganz gewohnt – ruhig, überzeugt und beherrscht. Sie schien sich auch damit bereits abgefunden zu haben, genau wie mit allem anderen, was ihr Leben bestimmte. „Wir können nur lernen damit umzugehen, mehr nicht. Es wird geschehen und niemand kann es aufhalten. Manche Menschen sterben eben früher als andere.“ Die Resignation sprach aus jedem ihrer Worte.

      Verzweifelt presste Jon ihre Hände zwischen die seinen. Oh, lieber Gott – weshalb? Warum ausgerechnet sie? Ihm fiel nichts ein, was er darauf erwidern konnte. Alles in ihm schien leer und verzweifelt.

      „Nur um eines möchte ich dich unter allen Umständen bitten.“ Fey holte tief Luft. Sie war sich nicht schlüssig, wie er reagieren würde. „Erwähne bitte Harold gegenüber nichts davon und schon gar kein Wort zu den Kindern!“

      „Aber…“ Jon wollte protestieren. Er konnte doch unmöglich gegenüber ihrem Mann weiterhin so tun, als sei ihre Welt heil und in Ordnung! Es stimmte ja nicht! Sie würde es nie wieder sein und er hatte das meiste Recht von allen, die Wahrheit zu kennen.

      „Nein!“ Fey ließ ihn nicht aussprechen. „Ganz gleich, was du tust – aber Harold darf es nicht erfahren! Er kämpft für diese Ranch jeden Tag aufs Neue und es würde ihm vermutlich das Genick brechen, wenn er von meiner Krankheit erfährt! Das tut er schon noch früh genug…“

      „Aber erst, wenn es zu spät ist“, warf Jon leise ein.

      „Zu spät wäre es nur dann, wenn er die Ranch hinten anstellen würde wegen mir. Harold braucht die Gewissheit, dass sich dieses Leben lohnt, dass es möglich ist, alle Hindernisse zu überwinden und mit allen Schicksalsschlägen fertigzuwerden. Er wird es lernen, denn er hat die Kinder und seine ganzen Gedanken kreisen nur darum, dass er diese Ranch eines Tages an Byron übergeben kann. Dafür lebt er, nur dafür, nicht für mich, nicht wegen mir…auch nicht wegen der anderen drei.“ Sie seufzte. Es war ihr schon vor langer Zeit bewusst geworden. „Du weißt von nichts, ja?“ Es klang scharf und forschend.

      „Wie du willst.“ Verständnislos erhob Jon sich. Er war der Ansicht, der Mann und die eigenen Kinder hatten das Recht zu wissen, dass die Ehefrau und Mutter nicht mehr lange bei ihnen sein würde, aber es war nicht seine Entscheidung. Er konnte sie, genau wie alles andere, nur akzeptieren und versuchen, auf irgendeine Art und Weise damit umzugehen. Er verließ das Zimmer, ließ das Ranchhaus hinter sich und stieg die wenigen Meter hinauf, zu den Familiengräbern der McCulloughs. Er starrte lange auf die verschiedenen Grabsteine und deren Inschriften und ein ungeheurer Zorn über die Ungerechtigkeit des Schicksals begann in ihm zu erwachen.

      ‚Am Ende’, dachte er, ‚liegen wir doch nur hier oder irgendwo sonst in der Erde und all die Qualen, die wir auf uns genommen haben, waren völlig vergeblich und umsonst. Wir haben diese Welt nicht verbessert. Noch immer gibt es Kriege, Hass und Mord. Vielleicht wird sich das niemals ändern, egal wie klug und gebildet diese Menschheit eines Tages sein wird. Vielleicht sind wir einfach zu schwach dazu, um den Weg zu finden, von diesen Lastern fortzukommen.’

      „Stacy?“

      Feys Stimme klang streng und unnachgiebig, als ihr Sohn an diesem Abend das Ranchhaus betrat. Der Junge war müde und erschöpft. Gleich nach der Schule hatte er draußen helfen müssen ein paar Zäune zu reparieren, durch welche die Rinder auf die Weiden der Nachbarranch gelangen konnten. Mit Bruce und Craig fort, mussten die beiden Jungs bei der Männerarbeit anpacken.

      „Ja, Mom?“ Langsam schlurfte er hinüber zur Küche und drückte die angelehnte Tür auf. Fey stand an der Spüle, die sauberen Bestecke in der Hand, die sie soeben in die Schubladen verteilte.

      „Gut, dass ihr endlich da seid! Wurde auch Zeit.“ Ihre Mutter wandte sich um und lächelte plötzlich. „Entschuldige. Ich sehe, du hast hart gearbeitet.“

      „Allerdings.“ Es klang verbissen. Der Junge verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.

      „Ich möchte nur sicherstellen, dass deine schulischen Leistungen nicht einbrechen, wenn du auch Zuhause helfen musst.“

      Stacy zuckte die Schultern. „Das tun andere Jungs auch! Byron und ich, wir sind schon richtig gut und wenn wir eines Tages die Ranch leiten, dann…“

      „Ach, Dummerchen!“, sagte Fey und lächelte, beinahe mitleidig. „Byron ist der Erstgeborene! Er wird die Ranch eines Tages bekommen!“

      „Das ist nicht fair! Byron ist ein eingebildeter Besserwisser und…“

      „Sprich nicht so respektlos über deinen Bruder!“, schnitt Fey ihm scharf das Wort ab und warf das restliche Besteck mit einem lauten Knall in die Schublade, bevor sie diese zuschlug.

      Stacy zuckte zusammen und zog automatisch ein wenig seinen Kopf ein. Er hatte schon