Regan Holdridge

Der Ruf des Kojoten


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half überall, wo ich gebraucht wurde und fühlte mich dazu auch verplichtet, denn die McCulloughs zeigten mir im Gegenzug alles, was sie glaubten, könnte für meine Recherchen von Bedeutung sein. Dazu gehörten auch unzählige historische Dokumente, die sie in den Schränken des Büros gesammelt hatten.

      Das Ehepaar, die Senior-Chefs sozusagen, hatten mich schnell in ihr Herz geschlossen, wie Myrtle es prophezeit hatte. Ich kam hervorragend mit ihnen aus. Sie gaben mir nie das Gefühl, ihnen eine Last zu sein, wenn ich mit meinem Notizbuch anrückte und sie mit Fragen löcherte. Sie bestanden lediglich darauf, dass ich mein Buch nach Fertigstellung unbedingt ins Englische übersetzen müsse, denn sie wollten es auch lesen.

      Randy war ebenfalls ein guter Lehrer. Die ersten Wochen verbrachte ich die meiste Zeit mit ihm. Er zeigte Geduld und Einfühlungsvermögen, trotz seiner Jugend von gerade einmal Anfang zwanzig. Manchmal kam er mir vor, wie ein kleines Kind, in ihm schlug noch immer das Herz eines Jungen, voll naiver Hoffnungen und Träume, mit jeder Menge Unfug und Spinnereien im Kopf und das mochte ich besonders an ihm. Er war ein Kumpel, wir konnten unwahrscheinlich gut miteinander herumalbern. Er zeigte mir alles rund um die Pferde und manchmal, wenn seine Freundin Claire gerade auch zufälligerweise auf der Ranch war, ritten wir gemeinsam aus. Claire war genauso nett und umgänglich wie Randy und ich hatte das Gefühl bei ihnen, mit Freunden unterwegs zu sein, obwohl ich sie gerade erst kennengelernt hatte.

      Auch mein Verständnis der amerikanischen Sprache und insbesondere der vielen Cowboyausdrücke, die kein Wörterbuch mir preisgab, verbesserte sich zusehends. Obwohl natürlich jeder sofort hörte, woher ich kam, kaum dass ich den Mund aufmachte, verstand ich inzwischen doch beinahe jedes Wort. Gut, es gab immer wieder Slogans, die mir neu waren oder manche Leute redeten einfach zu schnell und nuschelig, als dass ich eine Chance gehabt hätte. Überhaupt kam es mir hier so vor, als hätte mich jemand in eine Zeitmaschine gesetzt und mehrere Generationen zurückversetzt. Im Vergleich zu Deutschland war hier alles unwirklich und viel einfacher und durch die Weite und Einsamkeit des Landes völlig anders strukturiert.

      Randy wartete schon vor dem Pferdestall, als ich das Bunkhouse nach einer kurzen Mittagspause verließ. Sein großer, schlanker Fuchs mit den vier weißen Beinen und der Blesse auf der langen, geraden Nase, stand gesattelt am Anbindebalken, während er der kleinen, braunen Stute, die mir als Lehrpferd diente, soeben den Sattel auflegte.

      „Wir reiten heute aus“, verkündete er. „Das Wetter ist viel zu schön, um bloß auf dem Platz herum zu eiern!“

      Ich liebte es, hinaus in die Prärien zu reiten und mir den Wind um die Nase wehen zu lassen. Ich sah ein, dass die Platzstunden zu Anfang bitter nötig gewesen waren, um mich auf die doch ganz anders trainierten Arbeitspferde einzustellen. Ich fand, dass es mir nicht schlecht gelang, aber dass ich noch einen weiten Weg vor mir hatte, bevor ich auch nur annähernd so entspannt und selbstverständlich auf einem Pferd sitzen würde wie Randy oder sein großer Bruder. Mein Ehrgeiz war erwacht. Ich wollte auch so reiten können!

      Tom war ständig irgendwo auf der Ranch unterwegs und gab sich auch gar keine Mühe, mich mitzunehmen oder sich großartig mit mir zu befassen. Ich war mir zu Anfang nicht schlüssig, ob das grundsätzlich ein Wesenszug von ihm war, weil er wenig Geduld zeigte mit Reitschülern und Touristen an sich und diese Aufgaben seinem kleinen Bruder überließ oder ob er speziell meinetwegen von den Gebäuden fernblieb.

      Seit meinem Einzug hatte ich ihn meistens mehr zufällig und im Vorbeigehen zu Gesicht bekommen und ich fürchtete mich fast davor, ihm wieder über den Weg zu laufen – ob er vielleicht einmal mehr als nur zwei dahingeworfene Worte mit mir wechseln oder mir womöglich sogar einmal ein Lächeln schenken würde? Doch nichts dergleichen geschah, denn Tom tauchte gar nicht erst auf, außer zu den Mahlzeiten.

      Auch heute war er nirgends zu entdecken, was mich ein wenig enttäuschte und zugleich verärgerte, weil ich mir von der An- beziehungsweise Abwesenheit eines Mannes die Stimmung verderben ließ. Männer waren für mich seit meiner gescheiterten Ehe kein Thema mehr. Ich wollte alleine bleiben. Unter keinen, unter überhaupt gar keinen Umständen würde ich zulassen, dass jetzt so ein arroganter, flegelhafter Amerikaner daherkam und all meine hart erarbeiteten und erkämpften Prioritäten wieder über den Haufen warf.

      „Wir reiten heut’ mal ein bisschen raus zu den Rindern“, erklärte Randy in diesem Moment und brachte mich damit unsanft zurück in die Gegenwart. „Du bist langsam soweit, dass du das mal ausprobieren kannst.“

      „Zu den Rindern?“, wiederholte ich gedehnt und ließ mir die Zügel meines Pferdes überreichen. Randy sattelte eigentlich selten Pferde für die Schüler – das hatten sie selbst zu lernen, wenn sie schon aufs Pferd hinauf wollten. Heute schien er es jedoch eilig zu haben.

      Er lachte und zeigte dabei seine schönen, weißen Zähne. „Keine Angst! Ich lass dich schon nicht allein mitten rein! Aber wir können uns ja mal langsam vortasten.“

      Mit einem leisen Seufzer gab ich meine Zustimmung und kletterte auf die Stute, die ich seit Beginn meines Aufenthalts zugeteilt bekommen hatte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine genaue Vorstellung davon, was ‚Arbeit an den Rindern‘ bedeutete, denn auf der Ranch selbst war den Sommer über kein einziges Tier zu finden. Sie befanden sich alle auf den Hochweiden, wo sie die Monate bis zum Spätherbst verbrachten, um dann ausgesondert und entweder in die Winterquartiere gebracht oder an die Schlachthöfe verkauft zu werden.

      „Wie sieht’s eigentlich aus“, fragte Randy nach einer Weile, in der sie im Schritt nebeneinander her geritten waren. „Du hast doch Erfahrung mit Pferden in Deutschland. Ich dachte mir, falls du Lust hättest ein bisschen mehr zuzupacken, könntest du doch jeden Morgen die Ställe misten.“

      „Ställe misten?“ Ich seufzte leise. Ich hatte jahrelang in Deutschland Ställe gemistet, weil wir die Pferde direkt am Haus hielten. Meine Erfahrungswerte darin waren also reichlich und deshalb wusste ich auch, was das für ein Knochenjob war. Aber gut, ich hatte mich bereiterklärt, überall mitzuhelfen, wo sie mich brauchten.

      „Ja, genau!“ Randy nickte. „Ein Kumpel von mir hat uns sonst ab und an unter die Arme gegriffen, um sich nebenher ein paar Dollar zu verdienen. Aber er hat sich beim Baseball den Knöchel gebrochen und fällt erstmal aus. Ich dachte, das ist mal was anderes, als immer nur meiner Tante im Haushalt zur Hand zu gehen.“

      „Das bedeutet, ich fange morgen damit an?“

      „So in etwa!“ Randy lachte. Er schien zufrieden mit dem Ausgang unseres Gesprächs.

      „Und du kannst das einfach so alleine entscheiden?“

      „Mein Onkel sagt, ihm sei es gleich. Hauptsache, du könntest die Ställe und die Sattelkammer ordentlich sauberhalten!“

      „Und dein Bruder?“

      „Ach, der!“ Randy winkte abweisend mit dem Arm. „Vergiss ihn! Er wird sich schon damit abfinden!“

      Tom McCullough fand sich nicht damit ab, dass seine Familie über seinen Kopf hinweg und gegen seinen Willen die junge Deutsche, die – laut seiner Meinung – noch nicht mal anständig im Sattel sitzen konnte, von der Haushaltshilfe zur Stallmisterin befördert hatte. Mit finsterer Miene lief er die ersten Tage umher und würdigte mich kaum eines Blickes. Wenigstens grüßte er, allerdings nur, wenn ich ihn zuerst ansprach. Ich begann, mir einen Spaß daraus zu machen, ihn zu ärgern und ein bisschen zu reizen. Meine Angst vor ihm verflog. Ich merkte, dass er äußerst schlagfertig war und mir aufgrund meiner Sprachhürde deshalb bedauerlicherweise weit überlegen. Ansonsten aber hatte er eben seine Launen und schien am liebsten mit sich allein zu sein. Mit meinem Hang zum Einzelgänger verstand ich deshalb einige seiner Reaktionen ganz gut und dachte mir nichts dabei, wo andere sich längst angegriffen gefühlt hätten. Tom war eben mit seinen Ende Dreißig nicht mehr zu ändern und ich, die ja nur unerheblich jünger war, ebensowenig. Das konnte auf Dauer nur dazu führen, dass wir uns gegenseitig angingen wie zwei Raubkatzen, die auf den großen Kampf warteten. Ich konnte warten.

      An einem Morgen, nachdem ich mit der Arbeit fertig und diese von seinem Onkel kontrolliert und als gut befunden worden war, hatte ich mich wie immer zum Mittagessen gesellt. Dort redeten wir ein wenig über das, was ich in