Elke Schwab

Kullmann jagt einen Polizistenmörder


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ist das für ein süßer Kerl«, schwärmte sie, während die kleine Hündin fröhlich an ihren Beinen hochsprang und mit ihrem Stummelschwänzchen rekordverdächtig wedelte.

      »Sie heißt Arabella«, erklärte Nadja. »Sie liebt nur die Menschen, die es gut mit ihr meinen, und das merkt sie sofort. Du bist also ein guter Mensch.«

      Anke musste darüber lachen und spielte weiter mit dieser munteren Hündin.

      »Hat sie sich noch nie geirrt?«, fragte sie, doch darüber musste Nadja lachen: »Niemals: Sie riecht den Erzfeind auf hundert Meter gegen den Wind. Arabella schnüffelt auf Olympianiveau.«

      Beide lachten herzlich, die drückende Spannung, die noch vor kurzem in der Stallgasse geherrscht hatte, verflog.

      Erst nachdem Nadja ihr Pferd vor seiner Box angebunden hatte, meinte sie: »Gott sei Dank hat der Stallbesitzer mal ein Machtwort gesprochen.«

      »Sind hier eigentlich alle Reiter so zerstritten?«, fragte Anke, die für diesen Tag eigentlich schon genug Enttäuschungen hatte hinnehmen müssen. Der ersehnte Trost bei Rondo war ihr leider nicht vergönnt gewesen. Stattdessen wäre sie fast in einem brodelnden Vulkan gelandet.

      »Nein, eigentlich nicht. Peter und Sybille sind die einzigen, die hier überall anecken.«

      »Das hört sich so an, als suchten sie die Konfrontation«, staunte Anke.

      »Ja, so kann man das sehen. Keiner versteht die beiden. Peter reitet so schlecht, dass wir uns alle darüber wundern, dass er es nicht schon lange aufgegeben hat. Vielleicht ist er so ungenießbar, weil er sportlich eine Niete ist. Wer weiß?«, zuckte Nadja die Schultern.

      »Aber warum tut hier niemand etwas dagegen?«, bohrte Anke weiter.

      »Ganz einfach: der Stallbesitzer ist mit ihnen befreundet. Wer sich mit Peter und Sybille anlegt, riskiert, mit seinem Pferd rausgeschmissen zu werden«, erklärte Nadja die Situation.

      »Meine Güte! Das heißt also, ihr müsst euch mit Biehler arrangieren oder gehen?«, staunte Anke.

      »Genau so ist es.«

      »Das hört sich nicht gut an«, stellte Anke beunruhigt fest. »Was meinte Doris eigentlich mit ihrer Drohung, dass man sie nicht unterschätzen soll?«

      »Keine Ahnung«, zuckte Nadja mit den Schultern. »Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ihr Bruder mal wegen Körperverletzung im Knast gesessen hat. Aber das ist schon eine Weile her.«

      Anke ging hinaus in den Hof. Dort standen die beiden Pferde von Peter Biehler in der Sonne. Sibylle war allein, von Biehler keine Spur. Neugierig geworden, ging Anke zum Reitplatz, aber auch dort war er nicht. Was hatte das wieder zu bedeuten, fragte sie sich gerade, als sie ein lautes Krachen hörte, das aus der Richtung hinter dem Stall herüber lärmte. Einige der Reiter eilten erschrocken in diese Richtung. Dort befanden sich mehrere Schubkarren und zwei große Misthaufen. Anke folgte den Neugierigen. Was sie dort zu sehen bekam, jagte ihr einen gehörigen Schrecken ein. Biehler war rasend vor Wut, schrie unkontrolliert herum und trat gegen die Schubkarren, die ordentlich in einer Reihe aufgestellt waren. Er tat das mit solcher Wucht, dass sie umfielen. Nur der letzte Schubkarren in der Reihe war voll beladen mit Mist. Als er an diesen kam, warteten alle gespannt, was er tun würde. Aber auch vor diesem Schubkarren machte Biehler nicht Halt, als habe er nicht gesehen, dass er beladen war. Mit aller Kraft trat er dagegen. Der Schubkarren bewegte sich keinen Millimeter, nur Biehler stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, hielt sich den schmerzenden Fuß fest und sprang wie ein Verrückter auf einem Bein hin und her. Zu allem Überfluss mussten die Zuschauer herzhaft lachen, was ihn nur noch rasender machte. Um nicht seinen Zorn auf sich zu ziehen, verzogen sie sich schnell wieder und widmeten sich ihren Pferden. Nur Anke blieb vor Biehler stehen, der immer noch seinen schmerzenden Fuß hielt. Ihre Schadenfreude darüber verbergend sagte sie: »Ich werde morgen deinen Dienststellenleiter informieren. Das zieht ein Disziplinarverfahren nach sich, darauf kannst du dich verlassen!« Sie drehte ihm sofort den Rücken zu, um deutlich zu zeigen, dass sie keine Antwort erwartete.

      Obwohl sie äußerlich ganz lässig wirkte, brodelte sie innerlich. Gegen ihren Willen beschäftigte sie sich mehr mit Biehler als gut für sie war. Je mehr sie darüber nachdachte, umso deutlicher spürte sie eine große Ähnlichkeit mit Esche. Biehlers protziges Auftreten mit seinen beiden Pferden und dem auffallend großen, luxuriösen Transporter erinnerte Anke an Esches Angeberei mit seinen Designerklamotten, seinem teuren Schmuck und seiner Rolex am Arm. Beide zeigten offen ihre Abneigung gegenüber Robert. Beide waren rücksichtslos und unverschämt. In Esches Nähe konnte sie sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. In Biehlers Nähe konnte sie sich nicht am Reiten erfreuen. Da hatte sie sich so sehr einen Ausgleich für ihre Arbeit gewünscht, eine Oase zum Ausspannen. Und ausgerechnet am Stall hatte sie dieses Ekelpaket Biehler getroffen, der ein geistiger Bruder von Esche sein könnte.

      *

      Müde fuhr Anke am nächsten Morgen zur Arbeit. Sie traf viel zu früh im Büro ein. In der Nacht hatte sie wieder nicht gut schlafen können. Mit rotgeränderten Augen setzte sie sich an ihren Schreibtisch und wartete darauf, dass der Kaffee durchlief.

      Nach und nach trafen die Kollegen ein. Eine Zeit lang blieb sie allein in ihrem Zimmer. Diese Gelegenheit nutzte sie, um in Ruhe ihre Gedanken schweifen zu lassen. Kullmann gab sich ebenfalls nicht sehr gesprächig, als sie ihm den Kaffee brachte.

      Zwei Stunden später traf eine Meldung ein, dass ein Verkehrspolizist verschwunden sei. Anke wunderte sich, warum diese Meldung durch ihre Abteilung ging, weil sie nicht dafür zuständig war.

      Diese Nachricht geriet bald in völlige Vergessenheit, weil ihre Gedanken ständig um die Begegnung zwischen Kullmann und Kurt Spengler kreisten. Dieses Streitgespräch hatte ihr endlich die Bestätigung für ihr vages Gefühl gegeben, dass Kullmann ein ganz persönliches Interesse an dem Fall Luise Spengler hatte. Sie arbeitete sich wieder durch die Akte Luise Spengler, in der Hoffnung, einen Hinweis darauf zu finden, in welchem Verhältnis die beiden Männer zueinander standen. Aber erfolglos.

      Als Kullmann in der Mittagszeit zu ihr ins Büro kam, hoffte sie, dass er endlich mit ihr darüber reden wollte, weil sie sich immer sicherer wurde, dass sie über dieses Detail informiert sein müsste. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit war Offenheit wichtig.

      Aber es kam anders.

      Kullmann blieb in der Tür stehen. Sein Blick ging wie ins Leere, es schien, als habe er Mühe zu reden: »Ich glaube, das Schlimmste ist eingetreten. Es ist ein weiterer Polizist erschossen aufgefunden worden.«

      Anke erschrak.

      »Wo?«

      »Im Wildpark St. Johann, ganz in der Nähe des Schwarzenbergs«, antwortete Kullmann.

      Zusammen verließen sie das Büro, stiegen in den Dienstwagen und fuhren zum Tatort.

      Auf der Fahrt sprachen beide kein Wort. Die Stimmung war gedämpft, weil genau das geschehen war, was alle befürchtet hatten: Der Polizistenmörder hatte wieder zugeschlagen.

      Im Wildpark angekommen, sahen sie, dass die Kollegen der Spurensicherung schon bei der Arbeit waren. In ihren Schutzanzügen wirkten sie wie Astronauten bei der Mondlandung – mit dem kleinen Unterschied, dass sie ganz dicht am Hasengehege gelandet waren. Aus sicherer Entfernung schauten die Langlöffler diesem fremdartigen Treiben zu.

      Auf dem Weg vom Parkplatz zum Gehege trat ein Kollege der Schutzpolizei auf Kullmann zu und erzählte mit Leichenmiene: »Es handelt sich um Peter Biehler.«

      Erschrocken schnappte Anke nach Luft. Ausgerechnet Peter Biehler, überlegte sie. Sie konnte es gar nicht glauben, dass der Mann, den sie noch am Vortag gesehen hatte, heute schon tot sein sollte – erschossen vom Polizistenmörder. Schwindel befiel sie bei dem Gedanken, wie unvermittelt es jeden von ihnen treffen konnte. Erst gestern hatte sie ihm gedroht, ihn für sein ungebührliches Verhalten bei seinem Dienststellenleiter anzuzeigen. Niemals wäre ihr der Gedanke gekommen, Biehler in großer Gefahr zu wähnen.

      Wen sollte es das nächste Mal treffen?

      Der Polizist setzte seinen