Ewa A.

Zimt und Sandelholz


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bin Vivien Vanderblant und will zu meiner Mutter.« In all dem Hochmut, zu dem ich fähig war, hob ich eine meiner Augenbrauen an und ließ meinen Blick abschätzend über seine Gestalt gleiten. »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf? Der Gärtner?«

      In einem hämischen Lächeln entblößte er seine beachtlich weißen Zähne. »Sieht der Garten etwa danach aus, als ob ein Gärtner ihn pflegen würde?« Anscheinend erwartete er keine Antwort, denn mit einem Kopfschütteln verschränkte er die Arme vor der Brust und fuhr in seiner Rede fort. »Sie sind also Sophies Tochter, Vivien?« Abermals wanderte sein Blick über meine Kleider. Doch diesmal verriet auch die Tonlage seiner tiefen Stimme, dass er sich bereits ein Urteil über mich gebildet hatte, welches alles andere als freundlich ausfiel. »Das erklärt natürlich einiges.«

      Nach dieser Unverschämtheit zog ich scharf die Luft ein und schüttelte meine braunen Wellen in einer erhabenen Geste über die Schultern. »Dürfte ich jetzt bitte meine Mutter sprechen, sie erwartet uns.«

      Ein unechtes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. »Klar.«

      Mit einem Kopfnicken deutete er ins Hausinnere und stieß gleichzeitig die Tür weiter auf, damit wir eintreten konnten. Tatenlos wartete er, bis Joan und ich unsere Koffer über die Schwelle gewuchtet hatten und verschloss dann die Haustür.

      »Von mir aus könnt ihr euer Gepäck hier in der Diele stehen lassen. Dann braucht ihr es nicht allzu weit schleppen, wenn ihr gleich wieder verschwinden wollt.«

      Joan und ich wechselten vielsagende Blicke. Auch sie war irritiert und fragte sich wahrscheinlich, wohin uns das alles führen sollte. Der große Fremde kehrte uns den Rücken zu und ließ uns einfach stehen. Offenbar ging er davon aus, dass wir ihm folgen würden. Noch während er den Flur entlangschritt, begann er, zu rufen: »Hey, Sophie, es ist tatsächlich deine Tochter. Du hattest recht, sie scheint ziemlich auf dich angewiesen zu sein.«

      Verbissen schluckte ich die Wut hinunter, die in mir brodelte. Das Traurige war, dass ich das nicht zum ersten Mal zwischen diesen Wänden tat. Zu gut konnte ich mich an das ohnmächtige Gefühl erinnern, welches mich letztlich von hier fortgetrieben hatte. Und doch war ich wieder hier gelandet. Herzlich willkommen Zuhause, dachte ich zynisch.

      Zögerlich schritten Joan und ich dem Unbekannten nach, der uns in seiner unhöflichen Art sogar seinen Namen verschwiegen hatte. Er führte uns den Gang entlang, direkt zur Wohnstube. Wenn man sechzehn Jahre in einem Haus gewohnt hatte, vergaß man dessen Raumaufteilung nicht so schnell. Besonders, wenn die Ausstattung und das Mobiliar noch genauso aussahen wie früher. Der Marmorboden schimmerte nach wie vor in dem sandfarbenen Beige, während es dieselben barocken Konsolen und Spiegel der Vergangenheit waren, die den Gang säumten. Dieser Umstand beflügelte mein Gedächtnis und ich konnte schon die gepolsterte Eckbank der Wohnstube vor mir sehen, auf der wir unsere täglichen Mahlzeiten eingenommen hatten. In diesem Raum hatte meine Mutter die Nachmittage mit Handarbeit oder Lesen verbracht, wenn sie nicht eine ihrer illustren Teegesellschaften im gegenüberliegenden Salon abhielt, der um einiges nobler eingerichtet war. In der gewöhnlichen Stube hingen keine großen, beeindruckenden Familienporträts der väterlichen Vanderblants oder mütterlichen Hohenröcks. Kein goldener, dreiarmiger Kerzenhalter würde hier auf einer Tafel zu finden sein. Lediglich ein kleines Stillleben zierte die Wände, welche von einer Tapete mit zartem Blumenmuster überzogen waren. Statt des Kandelabers dekorierte in der Stube eine Vase mit einem Strauß Strohblumen den kleinen Tisch, da war ich mir sicher. Sogar der Geruch, der im Haus in jeder Ecke waberte, war nach all den Jahren der gleiche. Es war eine Mischung aus der Holzmöbelpolitur und dem Parfüm meiner Mutter, einem süßen Veilchenduft. Der Knoten in meinem Magen wurde fester und dann war es soweit.

      Der Fremde hatte die Stubentür aufgestoßen und war zur Seite getreten. Ich fand mich meiner Mutter von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

      Entsetzt hielt ich die Luft an. Denn diese alte, in sich zusammengesunkene Frau, die da vor mir in einem Sessel saß, hatte nur entfernt Ähnlichkeit mit meiner drakonischen Mutter, vor der ich in jungen Jahren geflüchtet war.

      3. Tiefgekühlte Gefühle

      »Wie ich sehe, bist du genauso geschockt von meinem Anblick, wie ich von deinem. Allerdings hatte ich einen Schlaganfall und was ist deine Ausrede?« Die spröde Stimme meiner Mutter zerschnitt die Stille.

      Altbekannter Hass sprühte mir aus ihren Augen entgegen, die trotz der Falten, die sie umsäumten, nichts von ihrer Lebhaftigkeit eingebüßt hatten. Ihr linkes Lid schien mir ein wenig schlaffer als das rechte, wie auch der Mundwinkel auf dieser Seite. Die einst vollen Lippen hatten ihre Fülle verloren und ließen ihren Mund verbissen wirken. Vermutlich kniff sie in diesem Moment ihre Lippen wirklich zusammen. Denn ich hatte keinen Zweifel daran, dass sie es ernst meinte. Das war keine scherzende Bemerkung gewesen, um das Eis zu brechen, wie es vielleicht andere Eltern getan hätten. Nein, meine Mutter verfügte über keinerlei Arten von Humor.

      Hatte ich soeben noch gedacht, sie sei gebrechlich und zahm geworden, wurde ich nun eines Besseren belehrt. Die rüde Begrüßung - wenn man sie so nennen wollte - traf mich unerwartet hart. Wie eh und je wusste meine Mutter genau mit ihrer spitzen Zunge zu verletzen. Die Beleidigung hätte mir vielleicht weniger zugesetzt, wenn der Fremde und meine Tochter nicht Zeugen gewesen wären.

      Zitternd sog ich die Luft ein und schimpfte mich im Stillen ein dummes Huhn. Wieso hatte ich erwartet, dass sie mich mit offenen Armen oder einem freundlichen Satz empfangen würde? Unser letztes Telefonat, in dem ich sie um Hilfe gebeten, vielmehr angebettelt hatte, hätte mir doch eine Warnung sein müssen.

      Ich ging auf sie zu und versuchte mich an einem Lächeln, das mir nicht ganz glücken wollte. »Hallo, Mutter.«

      Unentschlossen blieb ich vor ihr stehen. Ihr zur Begrüßung lediglich die Hand zu reichen, erschien mir in diesem Moment unangebracht. Denn trotz ihres kaltherzigen Empfangs war sie noch immer meine Mutter, die ich nach siebzehn Jahren zum ersten Mal wiedersah. Einem Impuls folgend, beugte ich mich zu ihr hinab, umarmte und küsste sie geschwind auf die Wange. Ich hatte Angst, sie würde sich dagegen wehren, da sie noch nie ein Freund von körperlicher Nähe oder Zuneigungsbezeugungen gewesen war.

      »Schön, dich wiederzusehen«, murmelte ich.

      Es war ein Schock, festzustellen, dass ihre Schultern und ihr Gesicht sich wirklich so mager und zerbrechlich anfühlten, wie sie aussahen.

      Ich ging vor ihr in die Hocke und betrachtete sie wehmütig. »Warum hast du nie etwas gesagt? Hätte ich gewusst, dass du ...«

      »Hätte ich auch nicht gewollt, dass du zurückkommst«, fiel mir meine Mutter ins Wort.

      Der Unbekannte trat neben ihren Sessel. »Vielleicht hätten Sie sich bei Sophie öfter melden sollen, als einmal in zehn Jahren?! Dann hätten Sie schon vor fünf Jahren erfahren, dass Ihre Mutter einen Schlaganfall erlitten hat.«

      Ungläubig starrte ich den bärtigen Mann an. Natürlich könnte ich ihm erklären, dass ich mehr als einmal bei meiner Mutter angerufen hatte. Immer wieder hatte ich den Kontakt zu ihr gesucht und genauso oft einen Korb von ihr bekommen. Aber auf keinen Fall wollte ich mich vor diesem ungehobelten Flegel rechtfertigen. Deswegen schnauzte ich ihn mit verhaltener Wut an: »Wer sind Sie eigentlich? Und woher nehmen Sie sich das Recht, sich einzumischen? Und was treiben Sie überhaupt im Haus meiner Mutter?«

      Es war jedoch nicht der Fremde, der mir antwortete, sondern meine Mutter. Ihr Kopf wurde krebsrot und ein Beben erfasste ihren schmächtigen Körper. »Was fällt dir ein?! Du kommst in mein Haus und beschimpfst meine Freunde? Du wirst dich auf der Stelle bei Lenn entschuldigen. Er ist ein gern gesehener Gast hier und im Gegensatz zu dir war er mir die letzten Jahre eine wertvolle Stütze. Was ich von dir noch nie behaupten konnte!«

      Meine Mutter explodierte regelrecht und ich zog befangen den Kopf ein.

      »Sophie, bitte reg dich nicht auf. Du weißt, es tut dir nicht gut.« Der gute Lenn legte seine Hand tröstend auf ihre Schulter und warf mir anklagende Blicke zu, während er weitersprach. »Sieh es als Fortschritt an. Immerhin beginnt deine Tochter, sich endlich