Ewa A.

Zimt und Sandelholz


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womöglich gleich nochmal aus ihren ... Stöckelschühchen. Ich habe nämlich Besseres zu tun, als Sie den lieben langen Tag vom Boden aufzulesen.«

      Ich schnappte empört nach Luft. Aber Lennharts Blasiertheit kannte keine Grenzen. Grinsend fügte er an: »Zumindest für heute.«

      »Wissen Sie, es fällt einem ganz schön schwer, sich bei Ihnen zu bedanken, wenn Sie sich wie ein ...« Mit aufeinandergepressten Lippen suchte ich nach dem passenden Begriff und geriet dabei ins Stocken. Ich wollte mir nicht die Blöße geben, ihn mit unflätigen Kraftausdrücken zu beleidigen. Selbst, wenn ich mir fast die Zunge abbeißen musste, um das zu verhindern. »... Flegel benehmen!«

      »So so, Flegel?«, machte er sich lustig. Doch dann schlug seine Stimmung auf einmal um. Todernst fuhr er fort: »Ich wette, Ihnen lag schon etwas ganz anderes auf der Zunge.«

      Der Blick seiner braunen Augen fing meine ein, gewährte mir kein Entkommen. Instinktiv ahnte ich, was er damit beabsichtigte. Er wollte mir noch etwas Anderes sagen. Etwas Anzügliches. Ehe ich meinen Instinkt in Frage stellen konnte, meinte er: »Ja, ich sollte mich nicht von Ihrem Äußeren täuschen lassen. Sophie hat recht, es ist bloß Fassade. Und ich weiß nicht, was ich mehr verachte: Das, was Sie vorgeben zu sein, oder das, was Sie wirklich sind. Ich finde beides zum Kotzen.«

      Alles Blut wich mir aus dem Gesicht und schien in meinem Magen zusammenzuströmen. Obwohl er es nicht ausgesprochen hatte, verstand ich seine Andeutungen sehr gut. Ungeachtet meines teuren Kostüms hielt er mich für ein billiges Flittchen. Denn nichts anderes hatten ihm die Worte meiner Mutter, soeben in der Stube und bestimmt auch schon früher, impliziert.

      Zornig schwang ich meine Beine über den Bettrand, damit ich ihm den Rücken zukehren konnte. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben. Aber es gelang mir nicht völlig, das Zittern aus meiner Stimme zu verbannen.

      »Danke, Herr Karlson. Danke für alles, besonders für Ihren freundlichen Empfang«, antwortete ich sarkastisch und beschäftigte mich fortan damit, in meine Schuhe zu schlüpfen.

      Irgendjemand hatte sie mir ausgezogen und ordentlich vor dem Bett abgestellt. Verstohlen schaute ich über die Schulter. War er das womöglich gewesen?

      Ich sah nur noch, wie Lennhart sich vom Türrahmen abstieß und davonging.

      »Echt, der ist so ein Arsch«, sagte Joan. »Erst dachte ich, er ist ganz okay. Als ich um Hilfe rief, kam er nämlich sofort angerannt. Ohne lange zu fackeln, hat er dich vom Boden aufgesammelt und hierhergetragen. Er wirkte beinahe schon besorgt, während er dir die Schuhe ausgezogen und die Haare aus dem Gesicht gestrichen hat.« Angeekelt rümpfte sie ihr Näschen. »Das war irgendwie voll kitschig ... und unheimlich.«

      Ein nervöses Kribbeln lief durch meine Beine, als ich mir vorstellte, wie Lennhart meine Fesseln berührt haben könnte. Ich war eindeutig verrückt! Selbst, wenn Paul und ich schon lange keine Intimitäten mehr geteilt hatten, war das keine Ausrede dafür, irgendetwas an diesem Mann reizend zu finden. Er war ein ungepflegter, unverschämter Waldschrat.

      Joan schüttelte verwirrt den Kopf. »Warum hackt er so auf dir rum? Ich verstehe das nicht. Wir haben ihm doch nichts getan.«

      Resigniert schloss ich für einen Moment die Lider. Mir wurde klar, weshalb Lennhart mir gegenüber so eingestellt war. »Nein, ihm nicht. Aber er denkt, dass ich deiner Großmutter etwas angetan habe. Oder vielmehr nichts getan habe, was eine Tochter tun sollte.«

      In einer verärgerten Geste hob Joan die Hände. »Wie kann er ihr einfach glauben? Er sollte erstmal mit den Leuten reden, bevor er sich ein Urteil über sie bildet.«

      Um Joan nicht noch mehr gegen ihre Großmutter aufzustacheln, versuchte ich, sie zu beruhigen. »Schatz, du urteilst selbst gerade vorschnell. Denn wir wissen nicht mit Bestimmtheit, ob sie etwas zu ihm gesagt hat. Vielleicht hat er seine Schlussfolgerungen aus dem gezogen, was er jahrelang gesehen hat: Eine Tochter, die sich nicht das kleinste Bisschen um ihre kranke Mutter kümmert.«

      Traurigkeit überfiel mich, denn der Dorn der Erkenntnis bohrte sich in meine Brust. Lennhart Karlson hatte allen Grund mich so zu behandeln, er war mein persönlich umher wandelndes, schlechtes Gewissen.

      »Mama!«, rief Joan vorwurfsvoll. »Das nimmst du dir doch selbst nicht ab. So, wie die sich gerade eben da unten aufgeführt hat, hat sie ihm, weiß der Geier, was erzählt. Und wahrscheinlich nicht nur ihm.«

      Ich schüttelte sacht den Kopf. »Wenn dem so wäre, könnten wir auch nichts daran ändern. Solange wir hier sind, sollen sich die Leute ihre eigene Meinung über uns bilden.« Trotz packte mich plötzlich und ich begehrte auf. »Und wenn die beschissen ausfällt, ist es mir ehrlich gesagt egal. Wir haben andere Probleme als das.« Ich erhob mich und ordnete meine Kleider. Mit dem Vorsatz, es allen, insbesondere meiner Mutter, zu beweisen, dass ich auf eigenen Füßen stehen konnte, reckte ich das Kinn. »Morgen bringe ich meine Designer-Klamotten in einen Secondhandladen und werde mich anschließend auf die Suche nach einem Job machen.«

      Wir verließen das Schlafzimmer und ich warf nochmals einen Blick in das Bad. Es sah genauso aus wie früher. Die gleichen Fliesen, das gleiche Waschbecken, die gleiche Badewanne. Ich schluckte, denn seit ich denken konnte, hegte ich eine gewisse Abneigung gegen Wasser. Duschen war für mich eine Notwendigkeit, der ich mit wenig Begeisterung nachging. Ein Vollbad zu nehmen war für mich jedoch eine Qual. Schwimmen zu gehen in einem See oder Schwimmbad ein Ding der Unmöglichkeit. Geschickt war ich diesem Zeitvertreib in meinem gesamten Leben aus dem Weg gegangen. Gab es da einen Zusammenhang? Doch ich konnte mich nicht erinnern, dass mir jemals etwas in dieser Wanne zugestoßen wäre. Kein Unfall, kein Sturz, kein Blut!

      Ein Bild blitzte in meiner Erinnerung auf, so schnell, dass ich es nicht zu fassen bekam. Verstört wandte ich mich ab und folgte Joan eilig die Treppe hinunter. Ich war erleichtert, als meine Mutter erklärte, dass Lennhart Karlson das Haus verlassen habe.

      6. Absichtliche Verletzungen

       Nichts als Finsternis umgibt mich - ein Gespinst, gewoben aus alptraumhafter Schwärze. Sie legt sich auf meine Seele - lässt mir kaum Luft zu atmen. Und doch weiß ich genau, wo ich bin und was geschehen wird, weil es nämlich immer geschieht. Immer und immer wieder.

       Ich schaue an mir hinab und kann das, was nur ein Träumer vermag: Trotz der Dunkelheit, die um mich herrscht, sehe ich, dass ich wieder das gleiche Nachthemd trage, wie jedes Mal in meinem Traum. Und wie jedes Mal bin ich jung - ein kleines Mädchen. Mein Körper ist schmächtig und meine zierlichen Füße sind nackt. Es ist kalt. Ein Frösteln überzieht mich und meine Glieder beginnen, ungewollt zu zittern. Um mich warmzuhalten presse ich die Arme an meine Brust. Doch es hilft weder gegen die Kälte noch gegen die Angst, die mich überfällt.

       Ich kann den Teppich weich unter meinen Zehen spüren. Obwohl es mich erschreckt, weil es sich stets gleich anfühlt, beruhigt mich auch diese Vertrautheit.

       Fortwährend ist es dasselbe: Ich finde mich in der Dunkelheit wieder, die sich früher oder später zum Flur, im Haus meiner Eltern transformiert. Denn egal, ob ich stehenbleibe oder gehe, egal, für welche Richtung ich mich entscheide, irgendwann taucht hinter mir dieses altbekannte Flurfenster auf und vor mir der leuchtende Türspalt. So absehbar, so beständig, wie das Ticken eines Uhrwerks, schreitet der Traum voran.

       Immer wird die Dunkelheit zu einem Sumpf, der vom Scheitel bis zu den Fußsohlen an mir zerrt. Immer muss ich mit dem gesamten Körper durch ihn hindurch waten.

       Mit diesem Wissen, das meinen Magen in einen Klumpen Blei verwandelt, setze ich einen Fuß vor den anderen und begebe mich in die Lichtlosigkeit. Schlagartig erblinde ich und der schwarze Morast versucht, mich zurückzuhalten. Doch ich kämpfe dagegen an. Trotz meiner Furcht, trotz der Tränen, die in mir aufsteigen, strebe ich weiter in die Düsternis hinein. Beharrlich wühle ich mir einen Weg durch sie hindurch, werde schneller und schneller in der Hoffnung, mein Ziel zu erreichen. Bald erscheint der blendende Spalt in der Ferne und als ich einen Blick über die Schulter werfe, erkenne ich das Flurfenster. Wieder schaue ich nach vorn, suche