Ewa A.

Zimt und Sandelholz


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wer weiß solche Dinge schon, bevor es darauf ankommt, nicht wahr?«

      Mitfühlend schloss ich kurz die Lider, denn Claudias verzweifeltes Sehnen nach einem Kind ging mir nahe. »Das tut mir leid. Ehrlich.«

      Sie grinste befangen. »Danke. An manchen Tagen tut es einfach mehr weh als sonst. Aber man gewöhnt sich daran.« Nach einem ruckartigen Kopfschütteln meinte sie in ihrer gewohnten Fröhlichkeit: »Wie kann ich dir helfen?«

      Ich hob den Kleiderberg in meinen Händen an. »Ich wollte die hier bei dir in Kommission geben.«

      Claudia warf einen prüfenden Blick auf das Etikett der obersten Bluse, das jene als ein Stück von Chanel deklarierte. »Klar. Komm, schauen wir uns die Sachen zusammen an und überlegen, wie viel wir dafür verlangen können.«

      Ich folgte ihr zum Tresen, auf dem ich den Stapel ablegte. Gemeinsam gingen wir die Kostüme, Blusen und Kleider durch. Dabei kam zur Sprache, wo und wann ich sie gekauft hatte und so ergab ein Wort das andere. Eine gute Stunde voll Geschnatter und Gekicher verging wie im Flug. Obwohl wir uns jahrelang nicht gesehen hatten, war es zwischen Claudia und mir wie früher. Ja, manchmal hatte man das außergewöhnliche Glück, jenen Menschen zu finden, mit dem man durch ein unsichtbares Band auf ewig verbunden blieb. Egal wie sehr man sich veränderte oder wie lange man voneinander getrennt war, man fühlte sich in der Gegenwart des desjenigen zu Hause. Und Claudia war für mich dieser Mensch, sie war mein Zuhause. Wir schauten uns an und ich wusste, dass sie das Gleiche empfand.

      Unvermittelt rutschte es aus mir heraus: »Gott, es tut so gut, dich zu sehen.«

      »Mir geht es ebenso.« Lächelnd drückte Claudia meine Hand. »Wo wohnst du denn jetzt mit deinem Mann und deiner Tochter?«

      Ich schluckte befangen. »Ich bin geschieden. Momentan wohne ich mit Joan bei meiner Mutter.«

      »Ach herrje. Ich weiß ja, wie schlimm sie damals mit dir umgesprungen ist. Ist sie immer noch so übel drauf? Man sollte ja vermuten, dass sie nach ihrem Schlaganfall ein wenig milder geworden ist.«

      Ich verdrehte die Augen. »Frag nicht! Jetzt hat sie sich noch Verstärkung ins Haus geholt.«

      »Was?« Unverständig starrte Claudia mich an. »Welche Verstärkung? Sag bloß, sie hat sich endlich eine Haushaltshilfe zugelegt? Womöglich eine jüngere Giftspritze?«

      Ein Grunzen entwischte mir. Denn Lennhart als junge Giftspritze zu bezeichnen war wirklich drollig.

      »So ungefähr. Allerdings scheint es eher der Sohn zu sein, den sie schon immer wollte.«

      Kaum hatte der letzte Satz meinen Mund verlassen, kam mir der Gedanke, dass das vielleicht der Grund war, weshalb sie mich hasste und Lennhart anbetete. Diese Möglichkeit hatte ich noch nie in Betracht gezogen. Hätte sie lieber einen Jungen als ein Mädchen zur Welt gebracht? Lag es dran, dass sie mich nicht lieben konnte?

      Verstört schob die Überlegung beiseite. Zu einem günstigeren Zeitpunkt würde ich mich näher damit befassen.

      Ich zog eine Schnute. »Auf jeden Fall lässt der Kerl keine Gelegenheit aus, mir aufs Brot zu schmieren, was für eine miese Tochter ich bin.«

      »Aha, da scheint er ja voll den Durchblick zu haben, was?« Sie rollte mit den Augen. »Meine Mama erwähnte mal, dass sie einen jungen Mann mit deiner Mutter beim Einkaufen getroffen habe. Er sei wohl ein Künstler, der in der Nachbarschaft wohne. Aber dass er so drauf sein könnte, wäre mir nie in den Sinn gekommen.«

      »Mmh«, grummelte ich vor mich hin. Dass Lennhart Karlson ein Künstler war, zweifelte ich nicht eine Sekunde an. Vielmehr erklärte es sein gesamtes Auftreten und vielleicht sogar seine Absichten. Insgeheim überlegte ich, ob er Maler oder eher Steinbildhauer war? Seiner Statur nach zu urteilen, vermutete ich eher das Letztere. Doch egal, welche Ausbildung er genossen hatte, bestimmt hatte er Geldschwierigkeiten, weshalb er sich so um meine Mutter bemühte. Wahrscheinlich hoffte er, etwas von ihrem Geld abstauben zu können, und hatte Angst, dass ich ihm dabei nun in Quere kam. Jetzt wurde mir auch klar, warum der Kerl mich nicht leiden konnte. Er wollte mich aus dem Haus ekeln. Von wegen besorgt, der war einfach nur ein durchtriebener Schmarotzer. Er war genau das, für was ich ihn von Anfang an gehalten hatte: ein Erbschleicher.

      Claudia riss mich aus meinen Überlegungen.

      »Hast du dem Typ nicht mal Bescheid gestoßen, was deine Mutter dir in deiner Jugend angetan hat. Du bist, nach dem du mit Ronny verschwunden warst, nie wieder nach Hause gekommen. Oder?«

      Schweigend blickte ich zu Boden und schüttelte den Kopf. Mit den Erinnerungen an die zurückliegenden Telefongespräche brachen alte Wunden auf. Wieder fühlte ich mich in Ausweglosigkeit und Verzweiflung gefangen.

      Meine Stimme versagte beinahe, als ich sprach. »Nein, mein Erscheinen war niemals erwünscht. Und das wollte ich ihm nicht auf die Nase binden. Manche Dinge will ich einfach keinem erzählen, die sie mir an den Kopf geworfen hat. Sie sind zu ...«

      Ich gab auf, verstummte und zuckte bedeutsam mit den Schultern. Tränen füllten meine Augen. Wie so oft, fehlten mir die Worte. Denn wie sollte man seinem Gegenüber beibringen, dass die eigene Mutter einen für das größte Unglück ihres Lebens hielt, ohne sich selbst dabei zu schämen?

      »Oh Gott, Viv.« Mit einem Seufzen schlang Claudia tröstend einen Arm um mich. »Wenn du mal jemandem zum Reden oder Hilfe brauchst, komm her, zu jeder Zeit. Ich wohne hier auch. Der Malerbetrieb neben an gehört meinem Mann und unsere Wohnung liegt über den Betriebsräumen.« Sie ließ mich los und kramte aus einer Schublade des Ladentischs eine Visitenkarte hervor. »Hier, meine Telefonnummer.« Sie hielt mir das Kärtchen entgegen. »Und wenn es dir zu viel wird mit deiner Mutter, meine Eltern leben noch immer im selben Haus. In der Nähe des Dorfbrunnens, wo du mich früher besucht hast. Weißt du noch?« Ich nickte und sie fuhr fort. »Sie würden sich bestimmt freuen, dich wiederzusehen.«

      »Das ist wirklich lieb von dir, danke.« Mit einem schiefen Grinsen verstaute ich die Karte in meiner Brieftasche. Ich konnte mich gut an Claudias Eltern erinnern. Sie waren herzensgute Menschen, die mich immer mit einem Lächeln an ihrem Tisch willkommen geheißen hatten. »Kann gut sein, dass ich dieses Angebot öfter nutzen werde, als ihnen lieb sein könnte.«

      »Ach, was«, entgegnete Claudia lächelnd, wurde dann jedoch wieder ernst. Ihre Augen huschten für einen Moment zu meinen mitgebrachten Kleidern. »Sag mal, brauchst du einen Job?«

      Abermals nickte ich. »Ja, ich dachte, ich erkundige mich im Dorf, bei den Gasthöfen und Kneipen, nach einer Arbeitsstelle. Vielleicht benötigt jemand ein Zimmermädchen oder eine Küchenhilfe.«

      »Das ist eine gute Idee. Falls du im Ort nichts findest, solltest du außerhalb, bei der alten Kalibergwerksiedlung, nach dem Bourbon suchen. Das ist eine Bar, die sich nicht über Gästemangel beklagen kann. Mit der Musik, die dort läuft, zieht sie vor allem Publikum in unserem Alter an.« Mit einem neckischen Augenbrauenzucken fügte sie an: »Es heißt, der knackige Inhaber sei noch Single.«

      Ich schnaubte ablehnend. »Danke für den Hinweis, aber momentan habe ich keinen Bedarf.«

      Claudia kicherte. »Na, wer weiß, vielleicht änderst du deine Meinung, wenn du ihn siehst.«

      Abwegig schüttelte ich den Kopf. »Mittlerweile braucht ein Mann mehr, als gutes Aussehen, um mich in Feuer und Flamme zu versetzen.«

      »Ach, ich weiß nicht«, entgegnete sie mit einem spitzbübischen Zwinkern. »Wenn er einfach die Klappe hält und seinen Job gut macht.«

      Ich schüttete mich aus vor Lachen, was eine unbeschreibliche Wohltat war. Viel zu lange hatte es in meinem Leben keinen Grund mehr gegeben zur Unbeschwertheit.

      »Oh, Claudia, du bist, Gott sei Dank, noch immer so unmöglich wie früher. Ich liebe es.«

      »Ich weiß.« Sie grinste schelmisch. »Sobald du Bock und Zeit hast, melde dich bei mir. Dann gehen wir einen Kaffee trinken, okay?«

      »Gern«, antwortete ich und verließ bald darauf, mit einem Gefühl von Hoffnung, ihren Laden.