Kathrin Brückmann

Halbe-Halbe, einmal und immer


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Plastikfolie gespannt. Die vorher lose Dachrinne war befestigt und das Fallrohr wieder angeschlossen. Auch das Fenster, dessen Läden fehlten und das keine Scheiben mehr hatte, war mit Folie verschlossen.

      Der Zimmermann! Sophies Herz hüpfte. Ihr wurde ganz warm vor Freude und Dankbarkeit, sogar an den Füßen. Was für ein rundherum netter Typ, dachte sie. Der gibt einem echt den Glauben an die Menschheit zurück. Sie entschied endgültig, ihn anzurufen, wenn all ihre Angelegenheiten in Küstrow geregelt waren. Beschwingt setzte sie ihren Marsch durch den Schnee fort, umrundete und fotografierte das Haus von allen Seiten und zuletzt auch noch mithilfe des Blitzlichts die Eingangshalle und die Treppe ins obere Stockwerk. Zurück in ihrem Wagen überspielte sie die Bilddateien auf ihr Notebook und machte sich auf den Weg zurück nach Küstrow.

      Dort suchte sie den Makler auf, dessen Auftritt im Internet ihr am meisten imponiert hatte. Er residierte im Zentrum von Küstrow in einem schön restaurierten alten Bürgerhaus. Auf einer polierten Messingtafel neben der schweren, zweiflügeligen Eingangstür aus goldgelbem Holz war der Firmenname eingraviert. Die Tür und die Messingtafel warnten Sophie, aber ehe sie sich darüber klar wurde, wovor, war sie schon eingetreten und stand im Empfang der Firma. Der große Raum war bis auf ein paar Sitzmöbel aus Edelstahl und Leder und je ein Bild an jeder der vier cremeweiß gestrichenen Wände leer und von Halogenstrahlern schattenlos ausgeleuchtet. Sophies Schritte auf den Schieferplatten des Bodenbelags hallten in der Leere nach. Mit ihren nassen Schuhen, dem unförmigen Mantel und der vermutlich unordentlichen Frisur (sie betastete rasch ihre Haare und schob eine dicke, lose Strähne hinter ihr abstehendes Ohr) fühlte sie sich plötzlich in dieser klinisch anmutenden Umgebung fehl am Platz. In dem Moment, als sie sich wieder zu gehen entschloss, erschien wie aus dem Nichts hereingebeamt eine elegante, junge Frau, um sie zu empfangen. Kurz darauf saß Sophie in einem Büro einer anderen Frau, der Maklerin, gegenüber. Sie sah aus, als wäre sie seit vielen Jahren vierzig Jahre alt und als würde sie ein Reitpferd besitzen. Ihr Büro war fast ebenso kahl wie der Empfangsraum, der Schreibtisch aus poliertem Edelstahl und schwarzem Holz, der Rechner von Apple. Sie hörte ihrer Besucherin höflich, aber offensichtlich interesselos zu und sah sich die Bilder, die Sophie ihr auf dem Display ihres Notebooks präsentierte, nur flüchtig an. Als sie dann selbst sprach, wurde klar, warum.

      »Grobitzer 210 kennen wir, Frau Schatz.«

      »Ach ja? Haben Sie auch versucht, meiner Großtante einen Käufer zu vermitteln?«

      »Nein. Aber wir kennen grundsätzlich alle Objekte in unserer Region, die zum Verkauf stehen. Außerdem die, die frei oder vererbt werden, jetzt, demnächst oder in absehbarer Zukunft. Wir studieren Luftbilder, wir hören uns um, wir recherchieren, wir forschen im Grundbuch nach und lesen die Todesanzeigen und die standesamtlichen Nachrichten. Das ist unser Job. Wir kennen auch den Zustand und den Wert all dieser Häuser und Grundstücke, aktuell und potenziell. Wir warten nicht darauf, dass uns etwas ins Büro geschneit kommt. Wir spüren lohnende Vermittlungen und potente Kunden auf. Was ich damit sagen will, Frau Schatz: Wenn uns Ihre Immobilie interessierte, wären wir schon auf Sie zugekommen. Und dass wir nicht interessiert sind, liegt daran, dass das Objekt zurzeit leider nicht verkäuflich ist.«

      »Das habe ich schon einmal gehört«, sagte Sophie und dachte: Um das zu hören, bin ich nicht gekommen.

      »Nun, dann wissen Sie ja auch, warum. Um das Haus verkäuflich zu machen, müsste es restauriert, renoviert, modernisiert werden. In seinem jetzigen Zustand ist es ein enormes Wagnis für einen Käufer. Mit ein wenig Pech, dem falschen Architekten oder der falschen Baufirma und mit der Denkmalschutzbehörde auf den Fersen können die Kosten einer Sanierung schnell aus dem Ruder laufen. Dann bekommt man beim Wiederverkauf sein Geld nicht wieder raus, ganz zu Schweigen von einem Gewinn. Dieses Risiko tut sich kein Investor an. Verstehen Sie?«

      »Natürlich verstehe ich das.« Ich bin ja nicht blöd. Sophie klappte ihr Notebook zu, packte es in ihre Tasche und machte sich fertig zu gehen.

      »Ich bedaure, dass ich im Moment nicht mehr für Sie tun kann«, sagte die Maklerin. »Ich kann Ihnen nur raten, das Haus auf eigenes Risiko zu restaurieren, und es dann noch einmal auf den Markt zu bringen. Je nach Zustand und Ausstattung könnten wir dann irgendetwas zwischen einer Viertel- und einer halben Million erzielen.«

      Sophie stand auf. »Vielen Dank für Ihre Zeit«, sagte sie und dachte, danke für nichts.

      »Sprechen Sie ruhig einmal mit einem Architekten, Frau Schatz. Es könnte sich lohnen«, sagte die Maklerin, als Sophie schon auf dem Weg zur Tür war.

      Eigentlich hatte sie vorgehabt, mit beiden Küstrower Immobilienmaklern zu sprechen, wenn ihr der Erste nicht weiterhalf. Aber als Sophie auf der Straße stand, war ihr die Aussicht auf ein weiteres, voraussichtlich ebenso ergebnisloses und deshalb unerfreuliches Gespräch gründlich zuwider. Der Montag war noch nicht einmal halb vorbei, und sie hatte schon so viel Geringschätzung und herablassende Belehrung abbekommen, dass es für eine ganze Woche reichte. Für diesen Tag (und überhaupt) hatte sie die Nase voll von Immobilienmaklern. Zugleich war ihr aber auch bewusst, dass sie ihre Bemühungen nicht einfach einstellen konnte. Sie wäre sonst tausend Kilometer gefahren, nur um ein paar Fotos zu machen und sich einen abfälligen Vortrag anzuhören. Ihr Problem, das angeblich unverkäufliche geerbte Haus, verschwand nicht, wenn sie sich nicht damit befasste. Also musste eine Lösung her – und nach Sophies Überzeugung war kein Problem unlösbar. Alles war nur eine Frage der Herangehensweise.

      So in Gedanken lief sie ohne ein bestimmtes Ziel durch die Stadt und geriet dabei in Küstrows Fußgängerzone. Außer dass die ein wenig neuer und sauberer war als die durchschnittliche deutsche Standardfußgängerzone, hätte sie überall sein können. Der gleiche Straßenbelag, die gleichen Lampen, die gleichen Bettler, die gleichen Geschäfte: Douglas, Deichmann, Fielmann Kik und Kamps, zwei Telefonläden und ein Dönerimbiss. Immerhin gab es auch einen stylishen Coffeeshop. Weil sie durch das Fenster des Shops jemanden über ein Tablet wischen sah, trat sie ein, erfuhr auf Nachfrage, dass es offenes WLAN gab, und bestellte einen Cappuccino. Sie suchte sich einen ruhigen Platz und klappte ihr Notebook auf.

      Sprechen Sie ruhig einmal mit einem Architekten, hatte die Maklerin gesagt.

      Sophie glaubte zwar nicht, dass ihr ein Architekt beim Verkauf ihres Hauses weiterhelfen konnte, aber sie konnte sich ja einmal anhören, was so jemand zu sagen hatte. Vielleicht lernte sie ja etwas. Im Netz fand sie nur ein Architektenbüro in Küstrow. Es lag außerhalb des Stadtzentrums, und sie rief zur Sicherheit an, bevor sie sich auf den Weg machte. Das Büro war besetzt, der Architekt zu sprechen. Der Fußmarsch aus dem Zentrum Küstrows heraus in ein Wohngebiet am Rand der kleinen Stadt dauerte länger, als sie angenommen hatte. Wie die Maklerin residierte der Architekt in einem alten Bürgerhaus, hatte aber offensichtlich wenig Geld für dessen Renovierung zur Verfügung. Nur das Dach, die Fenster und die Hauseingangstür wirkten einigermaßen neu. Ansonsten war das Haus noch von Alter und DDR-Ruß geschwärzt, der Außenputz rissig und löchrig. Im Vorgarten lagen Haufen von Bauschutt, und in der Einfahrt stand ein alter Saab. Zu einem Messingschild hatte es der Architekt noch nicht gebracht.

      Das Büro nahm mehrere Räume im Erdgeschoss des Hauses ein. Sie waren der bei Weitem unaufgeräumteste Arbeitsplatz, den Sophie je gesehen hatte. Der Architekt, ein mittelalter blasser Mann mit einem Rundrücken, bot Sophie Kaffee an. Sein dünnes Haar war grau und zu lang, sein Pullover auch. Er hörte sich an, was Sophie zu erzählen hatte.

      »Normalerweise läuft das so, Frau Schatz«, sagte er, als sie geendet hatte, »wir, also ich, sehe mir das Haus an, stelle fest, was gemacht werden muss, suche und beauftrage geeignete Firmen, überwache deren Arbeit und rechne mit ihnen ab. Dabei bin ich Treuhänder des Auftraggebers, und der Auftraggeber wären Sie. Aber das funktioniert natürlich nur, wenn, äh, Sie es, äh, bezahlen … wenn die Finanzierung gesichert ist.«

      »Wie gesagt, ich habe kein Geld.«

      »Sprechen Sie mit Ihrer Bank. Es gibt auch Fördermittel des Landes für den Denkmalschutz«, sagte der Architekt.

      »Die Bank gibt mir nichts. Aber eigentlich will ich das Haus ja gar nicht restaurieren«, sagte Sophie »Eigentlich suche ich einen Käufer.« Auch diesen Weg hätte ich mir sparen können, dachte sie. Sie klappte ihr Notebook zu und griff