Kathrin Brückmann

Halbe-Halbe, einmal und immer


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vor ein paar Wochen zu tun hatte.«

      »Nein, der Herr, äh … ist bei uns ausgeschieden. Ich leite jetzt die Immobilienabteilung. Wir bereinigen zurzeit unser …«

      Sophie wusste, was ›bereinigen‹ zu bedeuten hatte. Ihre Laune sank schlagartig. Vor ihrem inneren Auge sah sie den neuen Leiter der Immobilienabteilung der Volksbank Küstrow vor sich: einen übereifrigen, aufstiegsorientierten Typen, nicht älter als sie selbst, der einen für seine Verhältnisse zu teuren Anzug trug und dazu billige Schuhe. Sie unterbrach ihn zum zweiten Mal.

      »Machen Sie es kurz, Herr Wie-war-noch-mal-Ihr-Name. Sie werfen mich raus, nicht wahr? Sie wollen das Haus nicht länger anbieten.«

      »Wir müssen unsere Immobilienvermittlung wirtschaftlich betreiben«, sagte der junge Mann. »Aufträge, bei denen unser Aufwand für die Vermittlung kalkulatorisch größer ist als die zu erwartende Provision, können wir nicht bearbeiten. Wäre Ihr Objekt gebrauchsfertig renoviert, sähe das natürlich anders aus.«

      Wäre mein Haus renoviert, dann bräuchte ich dich und deine Bank nicht, dachte Sophie.

      »Wenn es einmal renoviert ist«, sagte der junge Mann, als hätte er Sophies Gedanken gelesen, »stehen wir Ihnen gern zur Verfügung. Heute sind Sie besser bei einem Immobilienmakler aufgehoben. Wir schicken Ihnen Ihren Vermittlungsauftrag und die Schlüssel zusammen mit der Kündigung in den nächsten Tagen zu.«

      Sophie legte auf.

      Alles zurück auf Anfang. Sie ließ das Gespräch mit dem Mann von der Volksbank zwei Tage lang sacken, auch mit der vagen Hoffnung, dass ihr vielleicht in dieser Zeit irgendetwas Geniales einfallen oder gar ein Wunder geschehen würde. Aber das tat es nicht. Schließlich suchte und fand sie im Internet zwei Immobilienmakler, die in und um Küstrow aktiv waren. Sie überlegte, die beiden anzumailen, verwarf den Gedanken aber wieder. Bei E-Mails und Post konnte man nicht sicher sein, wann oder ob sie überhaupt gelesen wurden, und auch nicht, ob man überhaupt eine Antwort bekam. Sophie wollte und konnte nicht warten. Telefonieren kam ebenfalls nicht infrage. Aus eigener Erfahrung wusste sie, wie einfach es war, einen Anrufer abzuwimmeln. All das im Kopf, und nachdem sie einige Zeit mit sich selbst gerungen hatte, beschloss sie, noch einmal nach Küstrow zu fahren – nicht ohne Hintergedanken, einen, den sie fast nicht zu denken wagte. Denn wenn sie einmal dort war, dann konnte sie vielleicht (vielleicht …) den netten Zimmermann mit den schönen Augen, dem hübschen Hund und dem alten Landrover anrufen. Und vielleicht würde er sich ja nicht rausreden oder entschuldigen, sondern noch einmal mit ihr essen gehen und sie noch einmal in seinem klapprigen, aber behaglich warmen Auto spazieren fahren. Im Grunde war es der Hintergedanke, der Sophie den entscheidenden Schubs gab. Bis die Kündigung des Vermittlungsvertrags und die Schlüssel ihres Hauses bei ihr ankamen, war im Haushalt ihrer Gastgeber wieder Normalität eingekehrt. Um den kleinen Robert herum hatte sich eine Routine eingespielt. Sabine musste nicht mehr auf einem Kissen sitzen und konnte Mariechen selbst in den Kindergarten bringen.

      Sophie packte einen kleinen Rollkoffer, um zum zweiten Mal nach Brandenburg zu fahren.

      21 – Am Abend vor ihrer Abreise

      bekam sie eine WhatsApp-Nachricht von Jens. Sie hatte damit gerechnet, dass er sich noch einmal bei ihr melden würde, wenn auch vielleicht nur aus organisatorischen Gründen. Schließlich gab es eine gemeinsame Wohnung, und so ziemlich alles, was Sophie besaß, befand sich noch dort. Aber sie erschrak doch, als sie seine Mitteilung entdeckte: Können wir reden? War sie schon wieder stark genug, um sich mit Jens auseinanderzusetzen? Auf jeden Fall war sie nicht vorbereitet. In den drei Wochen mit Sabine, Mariechen und Holger hatte sie geradezu hektisch alles Mögliche getan, aber sich nicht darauf eingestellt, Jens noch einmal gegenüberzutreten. Nun versuchte sie sich auszumalen, was auf sie zukommen würde, wenn sie mit Ja antwortete. Was bedeutete ›Können wir reden‹? Hieß es: ›Es tut mir‹ leid oder ›Stell dich nicht so an‹? Hieß es: ›Bitte komm zurück zu mir‹ oder ›Wann packst du deine Sachen, ich brauche den Platz‹? Was immer es hieß, sie fürchtete sich davor. Von allem, wovon sie nicht wusste, wie es weitergehen würde, war ihr die Zukunft ihrer Beziehung am wenigsten klar. Weder konnte sie weiter bestehen wie bisher, wenn überhaupt … noch war Sophie darauf vorbereitet, als Single zu leben. Sie war zwar ein Einzelkind, aber nie allein gewesen. Erst war sie Mitglied einer Familie, dann Teil eines Paares. Dazwischen gab es nichts. Seit sich ihre Familie aufgelöst hatte, nach dem Tod des Vaters und dem Umzug der Mutter nach Spanien, war ihr Jens in all seiner Unvollkommenheit ein Anker (gewesen), fester Boden unter den Füßen. Nicht, weil er ein guter Partner war, sondern weil er eben da war. Sie hatte sich an ihn gewöhnt. Wenn er sie nun um einen Neuanfang bat – würde sie einwilligen, weil sie an ihn gewöhnt war? Und mit seiner Untreue leben lernen? Warum nicht? Andere Frauen konnten das auch, wahrscheinlich sogar die meisten. Die Alternative dazu war, jedenfalls vorübergehend (hoffentlich nur vorübergehend), ein Singledasein. Das kannte sie zwar nicht, doch es konnte nicht so schwer sein. Zigtausende Frauen in ihrem Alter lebten ungebunden. Es war quasi der Normalfall. Allerdings – Single, ohne Angehörige und arbeitslos und wohnungslos und verschuldet, das war vielleicht eine Spur zu viel Ungebundenheit …

      Im Grunde fürchtete Sophie das endgültige Aus ihrer Beziehung ebenso wie die Fortsetzung.

      Können wir reden? Sie starrte auf das Display ihres Telefons. Was sollte sie antworten? Nichts? Welche anderen Möglichkeiten hatte sie? Ja. Nein. Was willst du. Nicht jetzt. ›Nicht jetzt‹ gefiel ihr am besten. Es verschaffte ihr Zeit. Es verschob Auseinandersetzungen, die sie nicht führen mochte, und Entscheidungen, die sie nicht treffen konnte oder wollte.

      Sophie tippte ›Später‹ und drückte ›senden‹.

      22 – Als Stadtkind

      hatte Sophie ihr ganzes Leben in einem Ballungsgebiet verbracht. Ganz gleich, wo man war oder wohin man ging und fuhr, überall war der Horizont verbaut. Weites und offenes Land wie im nördlichen Brandenburg war sie nicht gewohnt, und daher wirkte die Landschaft stark auf sie. Die endlosen Felder, schwarze Wälder in der Ferne, ein niedriger Horizont und ein hoher, leerer Himmel konnten, besonders im Winter, einem Betrachter eintönig erscheinen; für Sophie hatte die Landschaft etwas Großartiges. Brandenburg, fand sie, war wie gemacht dafür, in Siebzig-Millimeter-Panavision abgefilmt zu werden.

      Sophie war wieder an einem Sonntag losgefahren. Die Gegend um Küstrow und die Stadt selbst hatten sich seit ihrem ersten Besuch nicht verändert. Es lag zwar viel mehr Schnee als noch vor vier Wochen, aber der taute an den Stellen, die der Sonne (wenn sie denn schien) besonders ausgesetzt waren, schon wieder weg. Die dunklen Flecken an südwärts geneigten Rainen und Hausdächern, an Straßen- und Grabenböschungen zeigten, dass der Winter bald ein Ende haben würde. Aber es war ja auch schon fast März.

      Sie quartierte sich in demselben Hotel ein wie bei ihrem ersten Besuch, obwohl es keine Wannen in seinen Bädern gab. Sie aß in demselben vietnamesischen Imbiss zu Abend wie vier Wochen zuvor, denn das Essen war gut und günstig, und das ließ sie in Kauf nehmen, dass ihre Kleidung danach streng nach asiatischer Küche roch. In der Tankstelle nebenan kaufte sie wieder Wein und Wasser für einen Abend mit einem unterirdischen, von Werbung zerfledderten Fernsehprogramm. Ein halber Tag hinter dem Steuer, ein Abendessen, ein Glas Wein und eine Stunde Fernsehen machten sie zuverlässig schläfrig. Sie stellte einen Wecker, den sie dieses Mal nicht vergessen hatte, und ging früh zu Bett.

      Am nächsten Morgen, nach einem hastigen Hotelfrühstück und kaum, dass es hell war, fuhr Sophie nach Grobitz. Ihr Erbe stand scheinbar unverändert da, wie sie es verlassen hatte. Sie parkte am Straßenrand, umrundete vorsichtig die Eisfläche, in der sie vor vier Wochen eingebrochen war, und stapfte zweihundert Meter durch den verharschten Schnee die Anhöhe hinauf. Dabei fotografierte sie Haus und Umgebung mit einer kleinen Kamera, die sie von Sabine geliehen hatte. Erst auf dem Display fiel ihr auf, dass etwas anders war als bei ihrem ersten Besuch. Sie ließ die Kamera sinken und suchte mit bloßem Auge nach einer Veränderung.

      Das Dach …

      An