Dagmar Isabell Schmidbauer

Todesfalle Campus


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für sein Handeln zu suchen. Irgendetwas, womit sie leben konnte. Etwas, das einen Menschen vom Tier unterschied. Im Falle Tom Seibert wünschte sie sich wie selten, sie hätte doch statt Hannes den Kollegen Obermüller mitgenommen und dieser würde sich, als Konsequenz für solche Aussagen, diesen jungen Schnösel einmal richtig zur Brust nehmen.

      „Sie werden verdächtigt, sich mit Vanessa Auerbach in der Bibliothek der Universität verabredet und sie dabei getötet zu haben. Gehört das Töten eines Menschen zu Ihrem persönlichen Scherzrepertoire?“, fragte sie trotzdem so gefasst wie möglich und schob das Smartphone zurück in ihre braune Wildlederumhängetasche.

      Nachdem Vanessas Smartphone vermutlich vom Täter völlig zerstört worden war, hatte Mona die SIM-Karte ausgelesen und auf Franziskas Handy überspielt, um Tom Seibert den SMS-Verlauf zeigen zu können.

      „Das hier ist überhaupt nicht meine Nummer“, erklärte er mit fester Stimme, als könne das ausreichen, um die Anschuldigungen wirkungslos zu machen.

      Tom Seibert war groß und hatte eine durchtrainierte Figur. Er sah gut aus, seine dunklen Haare waren locker nach hinten gegelt, das Kinn sauber rasiert. So wie er sich bewegte, machte er viel Sport. Und sicher konnte er eine Frau mit Leichtigkeit überwältigen, fesseln und zusammenschlagen. Wie einer, der ein Messer ansetzte, um einer Wehrlosen die Kehle durchzuschneiden, sah er allerdings nicht aus. Wobei ja ohnehin nur den wenigsten Tätern ihre Taten wirklich ins Gesicht geschrieben stehen.

      „Ich habe schon davon gehört, aber ich kann Ihnen nur versichern, dass ich damit nichts zu tun habe.“ Seine Augen blickten ruhig, fast kalt. „Und ich gebe Ihnen gern meine richtige Handynummer, wenn Sie möchten.“ Bei diesem Vorschlag grinste er Franziska anzüglich an.

      „Wo waren Sie vorgestern Abend zwischen 21 und 23 Uhr?“, übernahm daher Hannes die Befragung und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

      „Ich? Das geht Sie gar nichts an.“

      „Vielleicht sollten Sie diese Frage nicht zu sehr auf die leichte Schulter nehmen“, schlug Hannes dem Studenten vor, woraufhin der sich zu einer lahmen Antwort aufraffte. „Das war dann der Montag, richtig? Da war ich beim Rudern. Auf dem Inn. Und wenn Sie es genau wissen möchten, ich trainiere für die Deutschen Hochschulmeisterschaften.“

      Franziska nickte, fühlte sich aber durch diese Aussage nur in ihrer Einschätzung seiner Figur bestätigt.

      „Kann das jemand bezeugen?“, hakte Hannes noch einmal nach.

      „Natürlich! Es waren ja etliche Leute dort. War’s das jetzt? Ich hab noch einiges zu tun.“

      „Ja, aber halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung und verlassen Sie nicht die Stadt, wir …“

      Weiter kam Franziska nicht. Denn genau in diesem Moment wurde die Tür des Nachbar-Appartements aufgerissen und ein junger Bursche mit kurzen schwarzen Haaren, mandelförmigen Augen und in grünen Boxershorts stürmte heraus und auf Tom Seibert zu.

      „Oh, du hast Gäste. Tschuldigung. Aber: Hey, hast du schon die Fotos von Vanessa gesehen?“

      Ohne auf eine Einladung zu warten, drängelte er sich quirlig an Tom Seibert vorbei bis zum Schreibtisch in dessen Wohnung und machte sich dort am geöffneten Laptop zu schaffen. Tom war seinem Nachbarn gefolgt, und auch die beiden Kommissare standen jetzt dicht hinter ihm.

      „Echt geil, musst du dir ansehen!“, rief er über seine Schulter und klickte weiter, bis er fündig geworden war. „Wer die wohl dazu gebracht hat?“

      „Mann Tian, was soll das?“, empörte sich Tom und schob seinen Besucher vom Schreibtisch weg. „Vanessa ist tot!“, erklärte er tonlos und schloss den Laptop. „Vanessa ist tot, und die beiden hier glauben, ich hätte etwas damit zu tun.“

      Der junge Mann schüttelte seine schwarzen Haare, blieb einen Moment unschlüssig im Raum stehen und musterte schließlich Franziska und Hannes. „Sind Sie von der Polizei?“

      „Franziska Steinbacher, Mordkommission Passau, mein Kollege Hannes Hollermann“, stellte sich die Kommissarin vor und blickte den jungen Burschen interessiert an. „Und Sie sind?“

      „Tian Chang. Also ich, ich wohne nebenan“, erklärte er ein wenig umständlich und versuchte gar nicht zu verhehlen, dass ihm die Situation eher unangenehm war.

      „Würden Sie uns die Seite bitte zeigen?“

      Tian blickte zu Tom, bis der zustimmend nickte, als wolle er sagen, nun mach schon, dann haben wir es hinter uns. Also hob er den Deckel wieder an, und zwei Klicks später beherrschte Vanessa den Bildschirm.

      „So empfängt Vanessa die Männer anderer Frauen!“, las Franziska laut vor und blickte gebannt auf die abgelichtete Frau. Man hätte das, was sie trug, einen schwarzen Overall nennen können, nur dass dieser hier mehr freie Flächen als bedeckende Stoffteile aufwies. Sie lehnte an der Tür zum Dublettenmagazin, das man im Hintergrund erahnen konnte. Es waren mehrere Fotos, die ganz kurz hintereinander geschossen worden sein mussten. Auf den ersten trug sie eine schwarze Maske, die ihre Augen bedeckte und ihr etwas Hilfloses und gleichzeitig sehr Verruchtes gab. Denn das restliche Gesicht lächelte lasziv verführerisch, und ihre ganze Körperhaltung war mehr als aufreizend, ja eigentlich einladend, als wolle sie sagen: Was auch immer du schon mal machen wolltest, mach es jetzt mit mir.

      Dann kam der Break. Auf den nächsten Bildern hatte sie die Maske heruntergenommen, die Körperhaltung war jetzt abweisend, sie merkte, wie schutzlos sie da stand. Zunächst schaute sie den Betrachter etwas ungläubig an, dann wurde ihr Blick wild und ihre Körperhaltung aggressiv. Für Franziska stand außer Frage: Sie hatte mit etwas völlig anderem gerechnet, als mit dem, was sie soeben zu sehen bekommen hatte. Nur mit was oder eben mit wem hatte sie gerechnet? Wirklich mit Tom Seibert?

      „Nach dem SMS-Austausch mit Vanessa hab ich mir diesen Tom irgendwie anders vorgestellt“, platzte es aus Franziska heraus, kaum dass sie im Auto saßen. Dann zückte sie ihr grünes Notizbuch und schrieb einige Stichworte hinein. „Er war so cool. Für sein Alter ungewöhnlich cool, findest du nicht?“ Die Kommissarin sah auf und blickte ihren Kollegen unschlüssig an. „Wahnsinn, wenn man in seine Augen sieht.“ Bei diesem Gedanken überkam sie erneut ein plötzliches Frösteln.

      Gleich nachdem sie die Donau-Schwaben-Anlage verlassen hatten, hatte sie den Kollegen Gruber angerufen und ihn gebeten, die Facebookseite „World of Adventure“ für sie zu überprüfen und herauszufinden, wer die freizügigen Fotos von Vanessa Auerbach dort eingestellt hatte. Zu Beginn ihres Gesprächs hätte sie Tom Seibert am liebsten gleich mit in die Inspektion genommen, inzwischen war sie allerdings verunsichert über seine vehemente Unschuldsbehauptung, sein angebliches Alibi und die Fotos auf seinem Laptop. Auch der Zahlendreher bei der Anmeldung der Prepaid-Karte ließ sich jetzt nicht mehr einfach so wegwischen. Sie brauchten erst noch weitere Beweise. Wenn Gruber allerdings melden sollte, dass Tom auch hinter der Internetseite oder den Posts steckte, dann würde es doch wieder eng für ihn werden.

      „Cool im Vergleich zu diesem Tian?“ Hannes nickte zustimmend. „Wobei ich fand, dass er ja schon ein bisschen geschockt war, vielleicht wollte er das nur hinter der Maske der Arroganz verbergen. Ich meine, wenn er es wirklich nicht war und ihm da jemand einen üblen Streich gespielt hat …“, Hannes besann sich. „Wenn jemand in deinem Namen Vanessa irgendwohin gelockt und getötet hat, dann wärst du doch auch geschockt und gleichzeitig entsetzt.“

      „Vielleicht.“ Franziska zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Na ja, schon. Aber schau dir sein Zimmer an, seine Frisur und dann seinen Nachbarn. Da liegen doch Welten dazwischen. Der ist nicht nur cool, der ist, hm, wie soll ich sagen … der ist herablassend. Ja genau. Als wäre er etwas Besseres.“

      Hannes lachte, weil Franziska ihr Urteil so unumstößlich gefällt hatte. „Du traust ihm also nicht zu, dass er eine Frau in die höheren Sphären der Lust heben kann?“, fragte Hannes provokant nach.

      Franziska blickte ihn schmunzelnd an. „Das würde ich