Joachim Reinhold

Jennings, Erdprotektor


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bin, dessen Achselhöhlen müffeln werden. Kaum habe ich meine Arme in der Luft, spielt sich alles für mich wie in Zeitlupe ab. Handschellen klicken, stählerne Hände tasten an mir herum. Die kalten, stahlblauen Augen des mutmaßlichen Einsatzleiters fixieren mich.

      »Jennings? Gegen Sie liegt ein internationaler Haftbefehl vor. Im Namen Ihrer Majestät darf ich Sie bitten, mitzukommen. Sie sind verhaftet!«

      Unser Marsch durch die Flughafen-Unterwelt dauert nicht lange. Schließlich hocke ich mit gefesselten Händen und Füßen auf einem unbequemen Stuhl. In meinem Nacken spüre ich die Läufe zweier Maschinenpistolen. Grelles Licht blendet mich und überdeckt die Gesichtszüge des Einsatzleiters wie in einem billigen Agentenfilm. Null-Null-Jennings, am Arsch verzagt.

      »Name?«

      »Thomas Kyle Jennings«, stammele ich. »Warum haben Sie mich festgenommen?«

      »Wir stellen hier die Fragen!«

      »Ich habe nichts verbrochen!«

      Ein dumpfer Schlag gegen meinen Hinterkopf bringt mich zum Schweigen.

      »Hören Sie Jennings. Ich habe keinerlei Skrupel, Sie wie einen räudigen Hund abzuknallen, wenn Sie weiterhin den Unschuldsengel mimen wollen. Also: Geburtsdatum? Ort?«

      »Sir, ich bin Epileptiker, ich halte das nicht aus.«

      »Von mir aus können Sie auch Vegetarier sein. Wann und wo wurden Sie geboren?«

      »26. Oktober 1975. Port Palpina, USA. Bundesstaat New York.«

      »Vater?«

      »Kyle Steward Francis Jennings, CIA Spezialagent. Im Einsatz gefallen. Kurz vor meiner Geburt.«

      »Mutter?«

      »Angela Rowena Winters, verheiratete Jennings. Selbstmord 1980.«

      Mein Angstschweiß mischt sich mit meinen Tränen, tropft zu Boden.

      »Sie wohnen bei Miss Daisy Perpugilliam Winters, der Halbschwester Ihrer Mutter?«

      »Ja«, stöhne ich, kämpfe mit der Last meiner Erinnerungen. »Meine Tante adoptierte mich kurz nach Mutters Beerdigung.«

      »Sie studieren zusammen mit Ihrer Verlobten Caitleen Isabelle Vanessa Shaw in Oxford?«

      »Katee studiert Psychologie, ja. Ich Astronomie, ich meine Physik.« Mir wird klar, dass auch ohne Studium mein Schicksal in den Sternen steht.

      »Wie ist Ihre Position innerhalb von Al-Kaida und was planen Sie als nächstes?«

      »Al-Kai… was?«, flüstere ich und schlucke. Das Wort kling arabisch. Ich überlege fieberhaft. Nein, Al-Kaida sagt mir nichts. »Sir, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«

      Aus dem Nichts klatscht ein Großfoto in mein Gesicht.

      »Da! Reicht das, um Ihren Erinnerungen auf die Sprünge zu helfen?«

      Mühsam blinzele ich auf das Foto. Es zeigt drei Männer in einer Bar. Zwei von ihnen scheinen orientalischer Abstammung zu sein, der dritte bin ich. Langsam läuten bei mir die Glocken, ihr Gebimmel versetzt mich in die Vergangenheit zurück.

      Es ist Freitagabend, der 7. September 2001. Ich schlurfe durch Hollywood. Nicht durch das aufgemotzte Filmstädtchen der Reichen und Schönen in Kalifornien, sondern durch ein Kaff in Florida. Vom Atlantik her weht eine kühle Brise, facht meinen Appetit an und mein Magen knurrt. Hungrig nach einem leckeren Snack bleibt mein Blick auf einem Etablissement haften: Shuckum's Oyster Bar. Austern sind mein Leibgericht und hier in Amerika spottbillig. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, als ich dort einkehre.

      Bis auf den Wirt, seine Kellnerin und zwei finstere Gestalten ist der Laden leer. Ich bestelle das House Special. In einer vom obligatorischen Fernseher nicht beschallten Ecke finde ich ein gemütliches Plätzchen. Die Austern samt einer guten Flasche Wein kommen, alles ist wunderbar. Bis auf den Umstand, dass sich die Kerle lautstark mit dem Wirt streiten.

      »Natürlich kann ich unsere Rechnung bezahlen, ich verdiene gut. Ich bin Pilot!«

      Ich bewundere Piloten. Sie sitzen im Cockpit, haben die Verantwortung für das Leben der ihnen anvertrauten Fluggäste. Und trinken Rum? Stolichnaya Vodka mit Orange Juice! Wie bitte passt das ins Bild?

      »Oi!«, entfährt es mir einen Tick zu laut und die Augen der Orientalen rucken in meine Richtung. Ohne dass sich ihr Kopf mitbewegt. Wie bei Haifischen.

      »Ist was?«

      Während ich überlege, packt der ältere der beiden ein Bündel Dollarscheine auf den Tresen, nickt verächtlich und stakst auf mich zu. Der jüngere Mann folgt seinem Kumpel.

      »Hey, Wirt!«, rufe ich leicht panisch und rudere mit den Armen in der Luft. »Eine Runde für alle, ja?«

      Die Männer bleiben einen Tisch von mir entfernt abrupt stehen, blicken sich verdutzt an. »Ach, Gringo säuft nicht gern allein. Verstehe. Ha, ha.«

      Mein kleiner Trick hat funktioniert. Für einen Moment schließe ich erleichtert die Augen. Als ich sie öffne, schnappen sich die beiden zwei Stühle und setzen sich zu mir. Unsere Drinks treffen ein und wir kommen ins Gespräch.

      »Wir sind tatsächlich Piloten«, lallt der Ältere und stellt sich als Amir vor.

      »Ab morgen jedenfalls«, wirft der Jüngere ein. »Wir haben heute unsere Lizenzen bekommen.«

      »Ach so«, entgegne ich und reiche ihnen die Hand, »und jetzt wollt ihr feiern, richtig?«

      »Ja! Deshalb der Vodka. Zum ersten und letzten Mal in unserem Leben.«

      Beide brüllen vor Lachen, Amirs Hand zittert und Stolichnaya tropft auf den Tisch.

      »Cheers!«

      Das Ritual wiederholt sich mehrfach und unsere Blicke werden stumpfsinniger. Dank des steigenden Alkoholspiegels sind wir uns nicht unsympathisch. Meine neuen Freunde platzen vor Stolz über sich und ihr erstes Kommando. Ein paar Drinks später dämmert es mir, dass ich gehen muss, wenn ich nicht in einer Ausnüchterungszelle aufwachen möchte. Unbeholfen stehe ich auf und stottere mein Goodbye.

      »Warte!«, befiehlt Amir und wechselt mit seinem namenlosen Freund ein paar schaurige Blicke. »Wann wolltest du nach London zurück? Am Elften? Über New York? Ahhh, schlecht. Weißt du was? Die Wetterlage sieht nicht gut aus, Junge. Dunkle Wolken, Blitz und Donner. Weltweite Turbulenzen. Sieh zu, dass du von Miami abfliegst, okay?«

      Heathrow. Gegenwart, 11. September 2001. Jennings. Fertig mit dem Leben und der Welt.

      »Und den Quatsch sollen wir Ihnen glauben? Sagen Sie, für wie bescheuert halten Sie uns?«

      »Sir, bitte glauben Sie mir, ich weiß weder, mit wem ich da in der Bar getrunken habe, noch was Sie von mir wollen.«

      Auf meiner Zunge liegt das unschuldige Wort ehrlich, doch durch die plötzliche Anwesenheit eines Pistolenlaufs in meinem Mund wird es seines Auftritts beraubt.

      »Tja, Jennings. Sie hatten Ihre Chance. Goodbye!«

      Peng!, denke ich, kneife schnell die Augen zu.

      Ein Telefon klingelt und das Herz in meiner Brust stolpert. Ich reiße die Augen auf, keuche. Herzinfarkt?

      Ein Soldat hebt ab, hält den Hörer ins Licht. Mein Peiniger zieht die Pistole aus meiner Mundhöhle, greift unschlüssig nach dem Hörer. »Wir haben ihn hier, spielt den Unschuldigen. Was sagen Sie da? Ja, habe verstanden. Wie Sie meinen. Geht in Ordnung. Auf Wiederhören, General.«

      Das grelle Licht wird durch eine gedämpfte Beleuchtung ersetzt. Ich atme noch heftig, ahne, wie nah ich dem Tod gewesen bin. Oder Opfer einer versuchten Scheinhinrichtung.

      »Nun, Mr Jennings«, flüstert mein Folterknecht sichtlich betroffen. »Im Namen Ihrer Majestät entschuldige ich mich für die kleine Unannehmlichkeit. Die Kollegen vom FBI haben Sie gerade rehabilitiert.«

      Ein Zivilbeamter führt mich aus