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verbringe eine ruhige Nacht. Am nächsten Morgen gestatte ich dem Zeitungsjungen, das journalistische Klopapier über den Zaun zu werfen und fange es gekonnt auf. Schon von Weitem ist klar, dass der ministeriale Mediator ganze Arbeit geleistet hat.

      Morning Scandal

      Donnerstag, 13. September 2001

      Ehrenwerte Familie Jennings:

      Es tut uns leid! Sue Bellatreccia gefeuert!

      Sue Bellatreccia wurde gestern Abend fristlos entlassen. Wie dem Morning Scandal aus gut informierten Regierungskreisen berichtet wurde, hatte Bellatreccia die Geschichte um das geplante Attentat auf Buckingham Palace und den angeblich islamistischen Hintergrund von Thomas Jennings frei erfunden.

      Der Aufsichtsrat und die Belegschaft des Morning Scandal sind betrübt und bedauern den gestrigen Artikel. Unser Haus entschuldigt sich bei Mr Jennings und seiner Familie. Blablabla.

      Ich staune nicht schlecht, als mit Mr Miller ein Eilbrief des Chefredakteurs ins Haus flattert. Samt einem sofort einlösbaren Barscheck über saftige fünftausend Pfund Sterling. Ende gut, alles gut?

      Shoppen und Umfallen

      Der Scheck ist schnell gegen bare Münze umgetauscht. Wenn wir uns beeilen, geht mit dem plötzlichen Geldsegen vielleicht noch ein langersehnter Traum in Erfüllung: die Teilnahme an den Jerusalem Games. In einer über das Knie gebrochenen Aktion eilen Katee und ich in die Londoner Innenstadt. Zur Forge of Virtue, der ersten Adresse für mittelalterliches Laienspiel sowie Veranstalter der Jerusalem Games, die am späten Abend im Steinkreis von Stonehenge starten sollen. Vor Monaten haben wir mit der Teilnahme an den Spielen geliebäugelt, sie aber aus finanziellen Gründen zu Grabe getragen. Doch dank meiner unseligen Bekanntschaft und der fetten Klatschblatt-Wachtel hat sich das Blatt zu meinen Gunsten gewendet, eine sprichwörtlich Last Minute Buchung rückt in greifbare Nähe. In Gedanken streife ich über die grünen Wiesen Wiltshires, als Katees Ellenbogen mich unsanft in die Realität zurückholt.

      »Pennst du? Tottenham Court Road. Raus mit dir!«

      Wenn es hektisch wird, besitzt Katee die emotionale Qualität eines Coitus Interruptus. Als ob die High Heels, Hot Pants und ihre rote, wilde Haarmähne nicht ausreichen würden, mich um den Verstand zu bringen.

      Bei Katee und mir war es Liebe auf den ersten Blick. Amors Pfeil, Katee zwölf, ich dreizehn, an einem langweiligen Dienstag auf dem Schulhof. Die Zeit zwischen damals und heute ist privat. Oder, um mit Katees Worten zu sprechen: »Ich bin wie für dich gemacht, mein Sternenprinz.«

      Was bleibt mir anderes übrig, als meinem Engel zur Paradise Alley zu folgen?

      Die Gasse ist voller Menschen. Katee wird sauer, Geduld ist nicht ihre Stärke. Ein Mitarbeiter der Forge bahnt sich seinen Weg durch die Menge, drückt jedem ein kleines Pergament in die Hände. Ich überfliege den in mittelalterlicher Schrift verfassten Wisch. Kein Wunder, dass es Hinz und Kunz zum Laden treibt.

      Sonderverkauf zum Start der Jerusalem Games!

      Alle Kostüme und Schaukampfwaffen um 50% reduziert!

      Habt Geduld, Euer Warten wird fürstlich belohnt!

      Eine Stunde später betreten wir den Shop. Die Forge of Virtue ist ein Tempel für Mittelalterfreaks und Laienspieler. Was sie nicht im Programm hat, gibt es nirgendwo. Niemand hat eine derart umfangreiche, exklusive Auswahl zu bieten wie Chuck Brandon, der Chef des Ladens. Zauberhafte Damenkostüme, stattliche Rüstungen für den Herren, Schaukampfwaffen aus Latex und alles mit viel Liebe zum Detail. Einer der wenigen Orte, wo Angebot und Werbung übereinstimmen und ich mich wohl fühle.

      »Katee, Darling! Und Tommy, der Terrorist! Schön, euch zu sehen.«

      Chucky watschelt mit wiegenden Hüften auf uns zu und knutscht uns ab. Chucky ist schwul und zum Glück für meinen Hintern in festen Händen.

      »Sehr witzig«, knurre ich.

      Eine Sekunde später brechen wir in Lachen aus.

      Nach einer kleinen Ewigkeit schleppen wir uns mit vollen Taschen zur U-Bahn zurück. Der kleine Kaufrausch hat Spaß gemacht. Katee ist in Ekstase, kann es kaum abwarten, sich in ihr neues Kleid zu werfen. Auch ich bin voller Vorfreude, denke an die Jerusalem Games und schaffe es, den 11. September aus meinen Gedanken zu verbannen.

      Es hupt. Ein marineblauer Opel Astra bremst scharf und schneidet uns den Weg ab. Bevor wir uns versehen, schält sich ein großer, dunkelblonder Mann mit kurzen Haaren und einem sympathischen Gesichtsausdruck aus dem Auto.

      »Hey, Leute. Überraschung!«

      Die Welt ist klein. Philipp Becker. Unser Brieffreund aus Berlin.

      »Du hier?«, frage ich.

      »Yeah. Ich habe mich durchringen können, die Spiele zu besuchen. Habt ihr meine Mail nicht bekommen?«

      »Nein. Deine Mail wartet sicher in meinem Postfach in Oxford. Wir haben daheim kein Internet, es ist meiner Tante zu teuer.«

      »Verdammt und ich habe gehofft, dass ihr mir einen Parkschein besorgen könnt.«

      Mein Blick wandert über unseren Einkauf und bleibt auf Philipps Auto haften. Katee ahnt meine Idee und nickt mir unmerklich zu.

      »Phil, heute ist dein Glückstag! Wir haben gerade einen Parkschein gekauft. War für das Taxi vom Bahnhof nach Stonehenge gedacht. Du weißt ja, ohne den Schein kommt man nicht mal in die Nähe des Spielfeldes.«

      Der Köder ist ausgelegt, wird Philipp ihn schlucken? Verlegen blickt er auf seine Füße.

      »Also gut, was schulde ich euch?«

      »Stonehenge. Via Thornton Heath. Hin und zurück.«

      »Aufwachen, Sternenprinz! Wir sind da!«

      Ich fahre vom Rücksitz hoch und stoße mit meinem Kopf gegen das Wagendach. Autsch! Mit weit aufgerissenen Augen starre ich auf ein grell beleuchtetes Straßenschild.

      A344 Vollsperrung!

      Geschlossene Veranstaltung. Sie werden geparkt. Widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt. Gäste ohne Parkschein werden gebeten, zu Fuß weiterzugehen, Handwagen zum Gepäcktransport stehen bereit. Wer diese Regeln missachtet, wird an Myrrdin, unseren Hausdrachen verfüttert.

      Anstelle des angedrohten Ungetüms klopft eine mittelalterlich gekleidete Frau ans rechte Fenster. Philipp lacht herzlich und steigt links aus dem Wagen. Die holde Maid hat die vom britischen Standard abweichende Bauweise des deutschen Autos übersehen.

      »Seyd gegrüßt, Fremde! Würdet Ihr einer unbedeutenden Magd bitte Euren Parkschein reichen?«

      Philipp gibt ihr den Schein und mit einer aufreizenden Kusshand weist sie uns den Weg zum Parkplatz.

      »Hallo?«, ruft Katee schmollend. »Wenn die Herren der Schöpfung ihr Testosteron in den Griff kriegen, schaffen wir es vielleicht, pünktlich zu sein. Es geht auf halb zehn. Los jetzt!«

      Phillip parkt den Wagen und mein Engel hechtet zum Check-In. In der Zwischenzeit helfe ich meinem Freund beim Auspacken. Mein Traum geht in Erfüllung, ich bin in Stonehenge!

      Das Gelände wirkt bombastisch. Der berühmteste Steinkreis auf Erden ist nicht mehr zu sehen, eine als Kulisse nachgebaute Stadtmauer umgibt ihn. Im flackernden Licht unzähliger Lagerfeuer überlappen sich Gegenwart und Vergangenheit. Für einen Moment bekomme ich weiche Knie. Soviel steht fest: Die Spiele werden der blanke Wahnsinn!

      Jedes Jahr pilgern Zehntausende von Hippies und andere Besucher nach Stonehenge. Der zurückbleibende Müll und die Zerstörungswut einiger Idioten haben den Denkmalschutz herausgefordert. Was zur Folge hat, dass die Restriktionen härter werden und unzählige Veranstaltungsanträge an ihnen scheitern. Neben der Sommersonnenwende ist Chuckys multinationales Konzept einer kontrollierbaren Spielwelt die einzige Großveranstaltung, die mit dem Segen der Behörden starten darf.