Fae Clarke

Das bittersüße Traumkonzert


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Denn viel zu lang ist das erste Konzert her, aber noch heute zehrt sie von diesen Eindrücken.

      Heute findet das Abschlusskonzert der Welttournee statt, doch leider hat sie abermals keine Karte ergattern können, es war wieder viel zu schnell ausverkauft und die Zeit war zu knapp. Deshalb dachte sie sich am Vorabend spontan, sie könnte sich ihre Freundin schnappen und den doch recht weiten Weg auf sich nehmen, um wenigstens einen kurzen Blick auf die Band zu erhaschen. Nein! Auf IHN. Aus der Nähe.

      Da sie beide gleichermaßen verrückt sind, saßen sie daraufhin bis tief in die Nacht zusammen und planten alles Notwendige, da sie ihr gemeinsames Geschäft an einem Donnerstag nicht so einfach schließen können; erst recht nicht in der Hochsaison. Schnell waren auch die Lösungsansätze gefunden.

      Kaum aufgewacht eilt sie ins Wohnzimmer hinunter, um die Musik lautstark aufzudrehen. Kurz schließt sie die Augen und genießt seine Stimme. Im Rhythmus tänzelt sie in die Küche und startet wie jeden Morgen die Kaffeemaschine. Nachdem sie sich fertiggemacht hat, lauscht sie erneut der Musik, währenddessen sie frühstückt.

      Als es klingelt, läuft sie freudig zur Tür, um sie zu öffnen. Eine strahlende Sonja steht wie erwartet davor und begrüßt sie überschwänglich. Die Freundin folgt ihr in die Küche, um sich ebenfalls einen Kaffee einzuschenken.

      »Ich habe Bescheid gegeben. Laura und Tim übernehmen bis Sonntag das Geschäft. Somit brauchen wir uns keine Sorgen zu machen und wir haben ein paar Tage Urlaub«, erklärt diese und nippt an ihrem Kaffee.

      »Das ist ja super«, erwidert Lilith aufgeregt. »Hatten sie wirklich nichts dagegen? Es ist immerhin sehr kurzfristig.«

      »Nein, sie winkten beide ab und lachten, als sie erfuhren, warum wir eine Auszeit nehmen möchten.«

      Das stimmt, denn sie hatten seit Jahren dem Laden den Vorrang gegeben und immer zurückgesteckt. Sie sogar mehr als die Freundin und deshalb freut sie sich so dermaßen auf den kleinen Trip.

      »Na? Schon nervös, deinen Schwarm zu treffen?«, unterbricht Sonja ihren Gedankengang.

      »Und wie! Aber von einem Treffen kann wohl kaum die Rede sein. Wenn wir ihm tatsächlich gegenüberstehen sollten, wäre das sicherlich reiner Zufall? Und außerdem werde ich mich nicht trauen, irgendetwas zu ihm zu sagen, um ihn auf mich aufmerksam zu machen.«

      »Dafür hast du doch mich, Süße. Wir machen das schon! Und außerdem … habe ich doch mein Buch dabei. Darin müssen sie sich einfach verewigen. Ich bringe sie schon dazu.«

      Damit holt sie ihr schwarzes, ledergebundenes Buch aus der Umhängetasche hervor. Ihr geliebtes Skizzenbuch. Denn sie zeichnet ein wenig und das nicht einmal so schlecht, schließlich hatte sie in ihrer Jugend einen Zeichenkurs belegt. Nutzt es aber ebenfalls für ihre Gedanken und andere Dinge. Darin haben sich schon einige Künstler und Musiker verewigt, nimmt es so gut wie überall mit hin und sie hütet es wie einen Schatz. Lässt sogar sie, ihre beste Freundin nur das sehen, was sie selbst für sehenswert oder geeignet hält.

      »Dann wollen wir mal sehen, ob er wirklich so großartig ist, wie jeder behauptet«, meint Lilith grinsend, während sie die Tassen abspült. Innerlich jedoch könnte sie jedoch platzen vor Nervosität.

      »Na ja, was man so liest und hört … Solange er kein Idiot ist und uns ignoriert, weil wir nicht die typischen, aufgetakelten Fans sind, nicht dem Klischee entsprechen, wird es schon schief gehen.«

      »Ich kanns kaum mehr erwarten. Wie lange brauchen wir eigentlich bis zur Konzerthalle?«

      »Mindestens drei Stunden, aber ich würde vorsichtshalber eine weitere dazurechnen. Wir haben also nur noch ein bisschen Zeit. Wir müssen uns schließlich einen guten Platz erkämpfen und ihn unbedingt sichern; bloß keinen Millimeter weichen! Wir würden es wahrscheinlich bitter bereuen.«

      Die beiden lachen, kichern, tuscheln und schwatzen aufgekratzt, währenddessen sie sich vor dem Spiegel im Vorraum noch einmal begutachten und hier und da zupfen und nachbessern. Nach einigen Minuten verlassen sie schließlich das Cottage. Lilith genießt die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut, an diesem verheißungsvollen, warmen Julitag, den sie sicherlich niemals vergessen wird. Egal wie er auch endet.

      Gemeinsam gehen sie zu Sonjas Auto und steigen ein. Noch bevor sie sich anschnallen, dreht die Freundin die Musik laut auf. Beide sind richtiggehend musikvernarrt und lieben es, immer und überall zu singen und zu tanzen. Beinahe jedes Wochenende verbringen sie in ihrem Club, um dort der Musik zu frönen und mit ihren Bekannten ausgiebig zu feiern.

      Diese eine Band passt eigentlich gar nicht zu ihrem gängigen Musikgeschmack, aber sie haben sich schlichtweg in seine Stimme und die Melodien verliebt. Der Sänger hat es besonders Lilith angetan und sie bekommt ihn einfach nicht mehr aus ihrem Kopf. Seit einigen Wochen ist das richtiggehend zu einer Manie geworden. Vielleicht wird heute ein lang ersehnter Traum wahr und er wechselt möglicherweise sogar ein paar Worte mit ihr? Das würde ihr schon völlig genügen. Seine Stimme zu hören, sein umwerfendes Lächeln zu sehen, welches nur ihr gilt …

      Sonja startet völlig unerwartet das Auto und reißt sie damit aus ihren weiteren Gedanken. »Festhalten, wir kommen!«, ruft sie laut auflachend und fährt los.

Klavier-Silhouette

      E

      igentlich hätte ihr klar sein müssen, dass sich kurze Zeit vor dem monatelang ausverkauften Konzert extrem viele Fans einfinden werden, um wie sie wenigstens einen Blick auf die Band zu erhaschen oder ihren Idolen womöglich ein Autogramm zu entlocken.

      Seit geschlagenen zwei Stunden stehen sie nun hier, um diesen perfekten Platz in vorderster Reihe entlang des Weges zu sichern. Allmählich schmerzen ihre Füße und damit auch ihr Rücken, aber die Aufregung und Vorfreude halten sie immer noch aufrecht.

      Sonja steht vor ihr eng an den Absperrzaun gepresst. Ihr rotblonder Wuschelkopf ist nach links geneigt, um das erste Bandmitglied auch ja gleich entdecken zu können.

      Hoffentlich war das kein Fehler, denkt sie und schaut besorgt auf die Menschenmassen um sich herum. Die Sonne erhitzt zusätzlich die Gemüter und die Bekleidung der Mädchen ist dementsprechend knapp bemessen. Ob das an den hohen Temperaturen liegt oder um die Bandmitglieder auf sich aufmerksam zu machen und mit den Reizen zu spielen? Hastig fährt sie die gedankliche Schublade wieder ein. Schließlich steht sie ebenfalls hier.

      Nun schmunzelt sie sogar leicht. ›Na, wenigstens kann ich mich amüsieren‹, denkt sie.

      Langsam wird sie ruhiger und beginnt die Frauen um sich herum genauer zu betrachten. Hautenge Oberteile, die mehr zeigen, als sie verhüllen, knappe Shorts oder Röcke werden zur Schau gestellt. Mähnen, die durch den Schweiß und die Hitze merklich zusammenfallen. Grelles und aufdringliches Make-up sind scheinbar das A und O. Sie blickt an sich herab und fragt sich, ob sie hier unter den ganzen aufgemotzten Groupies nicht zu sehr heraussticht. Ebenso wie Sonja trägt sie schlichtweg schwarz.

      Während sie sich von oben herab betrachtet, wird sie durch ein jähes Kreischkonzert aus ihren Überlegungen gerissen. Neugierig wagt sie sich einen Schritt nach vorn und beugt sich dabei über die Freundin. Diese erklärt lautstark: »Ich sehe zumindest schon einmal Joe.«

      Lilith kneift die Augen etwas zusammen und sie erblickt einige Meter entfernt ebenfalls den Drummer. Hinter ihm ein Pulk schwarz gekleideter Anzugträger. Sind das Manager? Oder Bodyguards? Egal wer sie sind, sie versperren die Sicht auf den Rest der Band.

      Achselzuckend stellt sie sich wieder gerade hin und richtet ihre kurzärmelige Bluse. Das Gedränge wird stärker und ihr unangenehm. ›Was habe ich mir dabei gedacht, mich in eine solche Menschenmenge zu stellen?‹

      Erneut kriecht die Panik in ihr hoch. Instinktiv greift sie nach Sonjas T-Shirt, um zumindest den Anschein von Halt und Sicherheit zu gewinnen. Doch der innere Drang in ihr ist größer als die Furcht. Auf Zehenspitzen stehend sieht sie nach links und erblickt ihn. Augenblicklich schießt ihr das Blut in den Kopf, ihr wird noch heißer,