Wolfgang Quest

Mörderwelt


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schön, ich weiß nicht warum, aber ich mach’ heute mal

      ’ne Ausnahme.“

      Er ging voran, wobei er das rechte Bein nachzog und leicht hinkte. Sie passierten eine halbhohe Schwingtür und kamen zu einem altertümlichen Lift mit vergittertem Schacht.

      „Der hat mit ’nem Hackebeil gewütet.“

      „Wer?“

      „Das wüssten alle gerne.“

      „Hat keiner was gehört?“

      Baranoff hämmerte mit der Faust auf den Türknopf und spähte nach oben in den Schacht.

      „Ich jedenfalls nicht, ich hab’ an der Matratze gehorcht.“

      Als er den fragenden Blick des Reporters sah, fügte er hinzu:

      „War krank und hatte ’ne Schlaftablette eingeworfen.“

      Der Aufzug kam heruntergerumpelt, und sie stiegen ein. Paulsen, dicht neben Baranoff, blickte in dessen schwammiges, rot geflecktes Gesicht, mit Poren auf der Nase wie kleine Bombentrichter.

      „Wohnen Sie hier im Hotel?“

      „Wo denn sonst? Meinen Sie, ich mach’ den Job ferngesteuert mit Drohnen?“

      Er lachte rasselnd, das Lachen ging über in Husten und verbreitete einen säuerlichen Biergeruch.

      „Wer hat das Mädchen gefunden?“

      „Die Putzfrau.“

      Oben angekommen ließ Baranoff den Reporter am Aufzug warten, er wolle erst nachschauen, ob die Luft rein ist. Was er damit meinte, war nicht ersichtlich. Eine Minute später kam er zurück.

      „Alles klar, Zimmer sieben. Gehen Sie schon rein. Ich muss noch mal kurz nach unten.“

      Damit verschwand er im Treppenhaus. Paulsen tappte den düsteren Flur entlang und fragte sich, was er im Zimmer der Ermordeten überhaupt wollte. Sie war gestern Morgen entdeckt worden, und er würde nichts finden, was die Spurensicherung nicht schon gefunden hatte. Doch irgendetwas zog ihn dorthin.

      Die Tür stand sperrangelweit auf. Die Fenstervorhänge waren geschlossen und er schaltete das Licht ein. Das Bett noch nicht abgezogen, das zerwühlte Laken gesprenkelt mit getrocknetem Blut, auf Sesseln und Teppichboden ein Dutzend rostbrauner Flecken, markiert mit Kreidezeichen.

      „Was machen Sie hier?“

      Paulsen wandte mich um. Die scharfe Stimme kam von einem dürren, etwa fünfzigjährigen Mann mit hagerem Gesicht und tiefen Falten um den Mund.

      Paulsen trat zurück auf den Flur.

      „Regio TV. Hab’ nur einen Blick reingeworfen.“

      Der Mann trug Jeansanzug, schwarzes Hemd mit

      Schnürsenkel-Krawatte und auf Hochglanz gewichste Cowboystiefel, fehlte nur der Sheriff-Stern. Mit leicht gespreizten Beinen stand er da wie ein Westernheld vor seinem Duellpartner.

      „Und das Polizeisiegel aufgebrochen.“

      Er deutete auf den Türrahmen, wo ein zerrissenes, graues Band mit Polizeistempel baumelte.

      „Die Tür war offen.“

      Der Cowboy lachte trocken. „Glaub nicht, dass die Polizei

      Ihnen das abnimmt.“

      „Darf man mal erfahren, wer Sie sind?“, sagte Paulsen.

      „Kohlhammer. Der Chef vom Laden. Schätze, Sie sitzen ganz schön in der Tinte.“

      Klang nach John Wayne.

      „Richtig, falls ich das Siegel geknackt hätte. Aber als ich kam, war die Tür schon weit offen. Ihr Hausdetektiv hat mich reingeschickt.“

      Kohlhammer runzelte die Stirn.

      „Baranoff?“

      „Ich weiß nicht, was Ihr Detektiv mir in die Schuhe schieben will, aber ich bin mal gespannt, wessen Version die Polizei eher glaubt.“

      Damit ließ er den Cowboy stehen und ging zum Treppenhaus.

      Am Hoteleingang kam ihm das Kamerateam entgegengetrottet. Kameramann Lippe und Assistent Wisch. Sie sahen nicht gerade einsatzfreudig aus, dafür waren sie beim Sender auch nicht bekannt, eher dafür, dass sie am liebsten jeder

      Anstrengung aus dem Weg gingen. Kurz besprachen sie die

      Lage. Lippe maulte wegen der strahlenden Sonne und harten Kontraste und filmte unter Vorbehalt die Außenfassade des Hotels.

      Paulsen wollte jemand finden, der bereit war, ein paar Fragen zu beantworten, doch Inhaber Kohlhammer lehnte ab, sein Faktotum Baranoff war nicht aufzutreiben, und den anderen Angestellten hatte Kohlhammer offenbar einen Maulkorb verpasst.

      Paulsen und sein Team packten ihre Sachen, fuhren zum

      Polizeipräsidium, um eine Stellungnahme von Pressesprecher Hugo Lambert einzuholen. Für die Aufnahme postierten sie ihn dekorativ am Eingang vor einer Reihe geparkter Polizeiwagen. Lambert erzählte wenig Neues. Im Hotel Prärieblume sei eine junge Frau tot aufgefunden worden, eine Angestellte habe die Leiche am Sonntagmorgen gegen acht Uhr fünfzig entdeckt, die Frau stamme aus Nigeria, die genaue Identität noch ungeklärt.

      „Können Sie schon sagen, ob Mord oder Selbstmord?“

      Lambert räusperte sich. „Wir gehen davon aus, dass ein

      Fremdverschulden vorliegt.“

      „Also Mord?“

      „Kann man wohl von ausgehen, wenn jemand enthauptet worden ist.“

      „Gut, dass Sie es nochmal erklärt haben.“

      Sie verabschiedeten sich so herzlich, wie das Gespräch verlaufen war. Auf dem Weg zum Fernsehstudio überlegte Paulsen, ob der Mord an der jungen Nigerianerin das Zeug zu einer größeren Story hatte. Was seine Fantasie anheizte, waren weniger die spärlichen Fakten als die merkwürdigen Umstände am Tatort – samt dubiosem Detektiv und schrägem Hotelbesitzer. Als sie in den Hof von Regio TV einbogen, beschloss er, seinem Bauchgefühl zu folgen, es sagte ihm, dass es sich lohnen würde, Zeit und Energie in den Fall zu investieren. Davon musste er allerdings noch Redakteur Krohnke überzeugen.

      Krohnkes Reich lag am Ende eines fensterlosen Flurs. Ein kleines, hässliches Büro mit grauen Metallschränken wie

      Bundeswehr-Spinde, einem olivbraunen Teppich und einem Resopal-Schreibtisch mit Chrombeinen. Aus dieser unscheinbaren Klause heraus steuerte er das Nachrichtengeschäft.

      Krohnke war ein Mann voller Gegensätze. Der dynamische Kurzhaarschnitt passte nicht zu dem müden Knautschgesicht, und er kombinierte modische Jeans mit ärmellosen Pullovern. Gewöhnlich muffelte er hier in seiner Bude herum, und man wagte kaum, ihn anzusprechen, dann wieder konnte er unerwartet nett und freundlich sein. Was seine Laune auf jeden Fall aufbesserte, war ein Schlagabtausch – am besten deftig oder fintenreich wie ein Duell.

      Kapitel 2

      „Da haben Sie sich ein echtes Ei gelegt, Paulsen“, empfing er Paulsen. Eine Spur Schadenfreude war nicht zu überhören.

      Paulsen nahm einen Stuhl, schob ihn an den Schreibtisch. „Freut mich, wenn ich Ihren tristen Büroalltag ein bisschen aufheitern kann.“

      „Menschenskind, Paulsen, ausgerechnet jetzt, wo die

      Medien so im Fokus stehen. ‚Lügenpresse’ und so weiter …“

      „Hört sich an wie Feigheit vor dem Feind.“

      „Im Ernst, Paulsen, diesmal kann ich Sie nicht decken.“

      Paulsen schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück. „Sagen Sie doch erst mal, warum Sie so aus dem

      Häuschen sind.“