Wolfgang Quest

Mörderwelt


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beugte sich zur Tür und blickte in den Hotelflur. „Mein Gott, müssen Sie gleich so ’n Alarm machen? Wir haben Gäste im Haus.“

      „Ich mache gleich noch mehr Alarm. Vielleicht hilft Ihnen das auf die Sprünge.“

      Baranoff machte eine beschwichtigende Geste. „Warten Sie unten, ich komme runter.“

      „Ich gebe Ihnen fünf Minuten.“

      Als Paulsen die Treppe hinunterging, klapperte auf der zweiten Etage ein Eimer. Er traf auf eine kleine, grauhaarige Frau, die einen Handwagen mit Besen und Putzzeug hinter sich herzog. Auf seine Frage bestätigte sie, ja, sie habe die Tote am frühen Morgen gefunden, an Details können sie sich aber nicht mehr erinnern, die seien wie ausgelöscht. Sie habe das Hotelzimmer geöffnet, die Leiche erblickt und sei sofort davongelaufen. Das Einzige, was sich in ihr Gedächtnis gebrannt habe, sei der blutüberströmte Körper. Er drückte ihr ein Trinkgeld in die Hand, und sie zuckelte mit ihrem Reinigungswagen weiter.

      Im Foyer, gegenüber der Empfangstheke, gab es eine Sitzecke mit Wildwest-Flair: drei mit Büffelleder-Imitaten bezogene Sessel und als niedriger Tisch ein dunkelbraun gebeiztes Wagenrad unter Glas, vor der Wand ein Piano im Honky-Tonk-Stil.

      Paulsen rückte den Sessel so zurecht, dass er Aufzugtür und Treppenhaus im Auge hatte, falls Baranoff sich aus dem Staub machen wollte. Auf der anderen Seite der Sitzgruppe, hinter einem Spalier Bambuspflanzen, saß ein Mann in hellem Anzug, anscheinend ein Hotelgast, und las Zeitung. Nach zehn Minuten rasselte die Aufzugtür, und Baranoff erschien, eingezwängt in den gleichen verschwitzten schrumpeligen Anzug wie gestern. Ächzend ließ er sich in den Büffel-Sessel plumpsen.

      „Ist alles ein Missverständnis.“

      „Was heißt Missverständnis? Die Tür stand offen und das

      Siegel war aufgebrochen.“

      „Tatsache?“ Baranoff grinste. „Na ja, auch wenn es die

      Bullen nicht tun, ich glaube Ihnen.“

      „Hören Sie auf, Sie wussten doch, dass das Zimmer

      offenstand.“

      Baranoff kratzte an seinem Speckbauch. „Vielleicht war’s ja auch eine der Putzfrauen. Ich werde der Sache noch mal selbst nachgehen.“

      Nicht zu fassen, wie unverfroren er war, aber Paulsen ging es um etwas Anderes.

      „Vorschlag zur Güte, wir lassen die Geschichte erst mal beiseite. Ich bin nämlich noch aus einem anderen Grund hier.“

      Baranoff merkte, dass sich die Lage für ihn entspannte, hatte sofort wieder Oberwasser und setzte eine geschäftsmäßige Miene auf.

      „Dann lassen Sie mal die Katze aus dem Sack. Meine Zeit ist begrenzt.“

      Paulsen blieb freundlich und ignorierte den unverschämten Ton.

      „Wir planen eine Reportage über den Beruf des

      Privatdetektivs.“

      „Prima. Und was geht mich das an?“

      „Ganz einfach: Sie sind unser Mann.“

      Baranoff glotzte verständnislos.

      „Bei der Reportage geht es um Folgendes. Wir wollen ein paar Fragen nachgehen: Was macht ein Privatdetektiv? Wie kommt er an seine Aufträge? Wie geht er dabei vor? Was unterscheidet ihn von den Privatdetektiven, wie man sie aus den Krimis kennt? Man könnte auch sagen, wir vergleichen

      Mythos und Realität des Detektivberufes.“ Baranoff starrte Paulsen an.

      „Wollen Sie mich verarschen?“

      „Keinesfalls. Überlegen Sie doch mal, Sie könnten dazu beitragen, das schlechte Image des Berufs zu verbessern. Sie wissen, das Bild in der Öffentlichkeit ist heutzutage mies. Die Leute halten Privatdetektive für Spanner, die in der schmutzigen Wäsche anderer Leute schnüffeln und es mit dem Gesetz nicht so genau nehmen.“

      „Weil die Leute bekloppt sind.“

      „Sie haben es in der Hand, das Bild zu korrigieren.“ Baranoff rutschte auf dem Sessel herum.

      „Sonst noch was?“

      „Erstmal alles.“

      „Für so ’n Quatsch habe ich keine Zeit.“

      Er erhob sich und hinkte in Richtung Aufzug. Hatte

      Paulsen sich in ihm getäuscht? Er war davon ausgegangen, Baranoff würde aus Großmannssucht nicht nein sagen können, wenn er die Chance hatte, ins Fernsehen zu kommen. Offenbar hatte er ihn falsch eingeschätzt.

      Nach ein paar Schritten blieb Baranoff stehen und drehte sich um.

      „Ich bin für ein Hotel mit dreißig Zimmern verantwortlich. Wissen Sie überhaupt, was das heißt? Das heißt, Tag und Nacht in Bereitschaft sein. Ich hab’ genug um die Ohren, auch wenn hier nicht jeden Tag einer abgemurkst wird.“

      „Ah, der Baranoff!“

      Der Zeitungsleser von nebenan kam hinter den Bambuspflanzen hervor. Ein stutzerhafter Typ von Mitte vierzig mit Gel im Haar, heller Leinenanzug, altrosa Hemd und blau gepunktete Krawatte. Breit lächelnd ging er auf Baranoff zu.

      „Gut, dass ich Sie mal antreffe.“

      Baranoffs blickte ihm misstrauisch entgegen.

      „Ich habe den Eindruck, dass irgendwas mit der

      Telefonanlage nicht in Ordnung ist.“

      „Wieso?“

      „Sie macht so merkwürdige Geräusche.“

      „Ich bin hier nicht der Hausmeister.“

      „Aber Sie kennen sich doch hier aus. Vielleicht können

      Sie sich die Sache mal kurz anschauen.“

      Er warf einen Blick auf Baranoffs ausgetretene Latschen. „Bei der Gelegenheit zeig ich Ihnen auch gern mal meine neuste Schuhkollektion.“ Er lachte und wandte sich zum Ausgang.

      Baranoff blickte ihm nach, wie er mit dynamischen

      Schritten, die Aktentasche schwingend, hinausging.

      „Fühl dich ruhig in Sicherheit, Freundchen“, rief er ihm halblaut nach, dann wandte er sich zu Paulsen. „Den Windhund hab’ ich schon lange aufm Kieker. Meffert, Schuhvertreter – angeblich.“

      Ehe Paulsen nachfragen konnte, was Baranoff mit ‚angeblich’ meinte, sagte der: „Was soll denn dabei rausspringen?“

      „Wobei?“

      Baranoff warf einen kurzen Blick zur Rezeption, als wollte er sich vergewissern, dass niemand zuhörte, und kam zurück zur Sitzecke.

      „Bei der Reportage.“

      Paulsen brauchte einen Moment, bis er Baranoffs 180-Grad-Wende begriffen hatte.

      „Finanziell nichts. Aber was Sie nicht unterschätzen dürfen: Für Sie wäre es kostenlose Werbung.“

      Baranoff setzte sich, legte den Kopf in den Nacken und blickte zum Kristallleuchter an der holzgetäfelten Decke, als müsse er das Angebot überdenken.

      Paulsen tat so, als hätte er aufgegeben. „Tja, tut mir leid, dass ich Ihnen kein lukrativeres Angebot machen kann.“

      „Darum geht’s nicht.“ Baranoff kratzte sich am schlecht rasierten Kinn. „Meine Honorarsätze könnt ihr sowieso nicht löhnen. Wenn ich mitmache, dann nicht wegen der Mäuse, sondern aus ’nem anderen Grund.“ Er machte eine Kunstpause.

      „Und der wäre?“

      „Pflichtgefühl.“

      Paulsen blickte ihn an – ehrlich verblüfft.

      „Pflichtgefühl unserem Berufsstand gegenüber. Die Pflicht, ein so bestialisches Verbrechen aufzuklären. Man könnte auch sagen, ich tue es