Wolfgang Quest

Mörderwelt


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in die Jeans gestopft.

      „Moment Zeit?“

      Paulsen blickte auf die Uhr. „Bin gleich verabredet.“

      „Nur kurz.“

      Kohlhammers Büro lag in einem flachen Anbau hinter dem Foyer. Sie passierten eine hölzerne Hängebrücke über einen Bach, der auf den Boden gemalt und von blank geputzten Kieselsteinen umsäumt war. ‚Sheriff's Office‘ verkündete das Schild an der Bürotür. Entsprechend war das Büro eingerichtet: ein antiker Waffenschrank mit Winchesterbüchsen, ein altertümlicher dunkelgrüner, mannshoher Tresor, ein Schaukelstuhl und auf einem Beistelltisch eine Lampe in Form eines Planwagens. Über dem dunkel gebeizten Schreibtisch hing das Foto des Indianerhäuptlings Sitting Bull. Mit strenger Miene blickte er auf die eintretenden Bleichgesichter.

      Kohlhammer setzte sich hinter den Schreibtisch.

      „Hat sich das mit dem Siegelbruch geklärt?“

      „Da gab’s nichts zu klären. Ich hatte nichts damit zu tun.“

      Kohlhammer rieb sich die Stirn. „Was Baranoff angeht … was zum Teufel ist so interessant an dem Kerl, dass er ins Fernsehen soll?“

      „Es geht um die Arbeit eines Hoteldetektivs. Baranoff hat sicher eine Menge zu erzählen.“

      „Hoteldetektiv? Na ja, sagen wir mal Hauswart. Und wegen dem haben Sie sich hier einquartiert?“

      Paulsen nickte. „Um ihm bei der Arbeit über die Schulter zu schauen.“

      Kohlhammer musterte ihn argwöhnisch. „Und was ist mit dem …“ Er zögerte, als scheute er sich, das unheimliche Wort auszusprechen. „Also, mit dem, was hier im Haus passiert ist? Wie denken Sie darüber?“

      „Das wollte ich Sie eigentlich fragen.“

      Kohlhammer blickte zu Sitting Bull, als suchte er bei ihm Rat. Nach einer Weile schien er ihn bekommen zu haben und tat ihn in gesetzten Worten kund:

      „Das Leben ist ein kurzer Schatten, der über das Gras huscht.“

      „Für Fayola Mafuto ein besonders kurzer Schatten“, sagte Paulsen. „War Ihnen die Ermordete eigentlich bekannt?“

      „Nein.“

      „Haben Sie keinen Überblick, wer hier im Hotel übernachtet?“

      „Ich kümmere mich um andere Sachen.“

      „Was ist mit Baranoff?“

      „Baranoff arbeitet seit knapp einem Jahr bei uns.“

      „Wenn ihn jemand verdächtigte, was würden Sie dazu sagen?“

      Kohlhammer überlegte einen Moment, dann sagte er:

      „Über einen Mann kann man nicht urteilen, bevor man nicht in seinen Mokassins gegangen ist.“

      Paulsen ließ die Indianerweisheit eine Weile nachklingen, als müsse er darüber nachdenken.

      „Anders gefragt: Könnte man Baranoff so etwas zutrauen?“

      „Fragen Sie ihn selbst. Für mich zählt das Wort eines Mannes noch etwas.“

      Paulsen gab es auf. „Wie bei den Indianern, meinen Sie, stimmt’s.“

      Kohlhammer blickte ihn forschend an, schien zu überlegen, ob er ihn auf den Arm nehmen wollte, dann nickte er.

      „Ja, wie bei den Indianern.“ Er deutete auf das Poster. „Wie er. Er hat zu seinem Wort gestanden. Zum Dank haben sie ihn abgeknallt.“

      Paulsen nickte. „Den Sieg am Little Big Horn hat man ihm nie verziehen.“

      Kohlhammer betrachtete ihn, und etwas wie Wohlwollen leuchtete in seinen Augen auf.

      „Sie interessieren sich für die Geschichte der Indianer?“

      „Ich weiß zumindest, dass es ’ne Tragödie war.“

      Kohlhammer stand auf.

      „Ich zeig Ihnen mal was.“

      Er trat an das Poster und deutete auf Sitting Bulls Brust.

      „Sehen Sie mal genau hin.“

      Sein Finger fuhr über ein paar dunkle Punkte auf dem mit Perlenketten behängten Hirschlederhemd.

      „Was sehen Sie da?“

      Paulsen wusste nicht, worauf er hinauswollte.

      Kohlhammer gab die Erklärung selbst. „Einschusslöcher. In dem Moment, als er ins Freie trat und die Deckung verließ, haben sie ihn erschossen.“

      Für Paulsen sahen die Punkte aus wie schadhafte Stellen auf der alten Fotografie, behielt es aber für sich.

      „Sie meinen, das Foto ist in den Moment gemacht worden, als er erschossen wurde?“

      Kohlhammer nickte. „Dabei wollte er nur verhandeln.“

      Er setzte sich zurück in den Sessel.

      Paulsen dachte, Zeit, das Irrenhaus zu verlassen. Er deutete auf seine Uhr. „Muss leider los.“

      Kohlhammer nickte gnädig. Paulsen hatte die Tür fast erreicht, da hörte er ihn sagen: „Wann wollten Sie denn mit der Reportage anfangen?“

      Überrascht blickte Paulsen sich um.

      „Wenn es geht, noch in dieser Woche.“

      „Geben Sie Ihr Bestes“, sagte Kohlhammer und blickte zu seinem Häuptling.

      „Danke“, sagte Paulsen mit letztem Blick auf den alten Kauz, der traumverloren dasaß, als ritt er durch die Weiten der Prärie – 140 Jahre zurück nach Little Big Horn.

      Paulsen ging hinaus. In dem alten Salonspiegel neben der Tür sah er, wie Kohlhammer ihm nachblickte. Für einen Moment schien es, als ob er grinste.

      Kapitel 5

      Paulsen hatte den Bahnhofsvorplatz erreicht, als das Handy klingelte.

      „Dein Freund hat so einiges aufm Kerbholz“, meldete sich Sascha.

      „Vorstrafen?“

      „’ne ganze Latte. Hausfriedensbruch, Urkundenfälschung, Erpressung, Einbruch und Amtsanmaßung.“

      „Anscheinend ein unternehmungslustiger Typ.“

      „’ne große Leuchte als Detektiv scheint er jedenfalls nicht zu sein. Als er mal einen jugendlichen Ausreißer zurückholen sollte, hat er versucht, daraus einen Entführungsfall zu konstruieren. Hat Schwein gehabt, dass er nicht im Knast gelandet ist.“

      „Was hat er früher gemacht?“

      „Bei ’ner Sicherheitsfirma gearbeitet, Überwachung von Gebäuden. Hat den Job aber vermasselt, ist entlassen worden, weil er betrunken auf Patrouillendienst mit einem Schäferhund war, dabei über den Hund gestolpert und schwer gebissen worden ist. Ins Bein.“

      „Ah, daher das Hinken.“

      Sascha lachte. „Das könnte natürlich auch an seinem Pferdefuß liegen.“

      Ganz unwahrscheinlich kam Paulsen die Vermutung nicht vor.

      Im Bahnhofsbistro suchte er einen Platz an der Theke, von wo er gute Sicht über die Halle hatte, und bestellte Sandwich und Kaffee. Die Schwüle war kaum auszuhalten. Ab und zu brach ein Sonnenstrahl durch das Hallenfenster, wurde vom verchromten Tresen reflektiert und stach ihm in die verkaterten Augen. Drei Kaffee später war er überzeugt, dass Baranoff ihm einen Bären aufgebunden hatte. Er bezahlte, wollte gerade gehen, als ihm ein Bahnschaffner auffiel, ein kleiner Dicker in dunkelblauer Uniform, mit Schirmmütze und roter Krawatte. Irgendetwas stimmte an dem Kerl nicht. Er stand mitten in der Halle vor einem Glaskasten, tat so, als studiere er die Fahrpläne, und beobachtete auffallend unauffällig die Leute ringsherum. Letzte Zweifel, um wen es sich