Wolfgang Quest

Mörderwelt


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      Sie unterbrach sich und lächelte verlegen, als sei ihr gerade aufgefallen, dass sie mit einem Fremden zusammensaß und zu viel redete. Sie hob ihre Tasse und blickte ihn über den Rand mit Kulleraugen an. „Langsam bin ich aber neugierig, was Sie eigentlich von mir wollen.“

      „Etwas heikles Thema“, erklärte Paulsen. „Wir planen eine Reportage zum Thema Spielsucht. In dem Zusammenhang ist mir Ihr Freund aufgefallen. Anscheinend hängt er nächtelang am Computer und taucht in irgendwelche Fantasiewelten ab. Machen Sie sich als Freundin keine Sorgen?“

      „Ob ich mir Sorgen mache?“ Sie lachte trocken. Nach einer Pause sagte sie: „Das ist doch der Grund, weshalb wir uns getrennt haben.“

      „Getrennt? Seit wann?“

      „Schon vor einem halben Jahr.“

      Paulsen verschwieg, dass Tilman ihm etwas anderes erzählt hatte.

      „Und warum?“

      „Ich hab’s nicht mehr ausgehalten und bin ausgezogen.“ Sie kämpfte mit den Tränen. „Anfangs habe ich seine Spielerei nicht ernst genommen, aber es wurde immer schlimmer. Nachher hat er Tag und Nacht am Computer gehangen, Wolldecken vor die Fenster gehängt, die ganze Bude vollgequalmt und gespielt und gespielt. Wenn ich was gesagt habe, ist er sauer geworden, zwei Mal ist er völlig ausgeflippt und hat mich … ja, er hat mich geschlagen.“ Es brach aus ihr heraus, als ob sie selten Gelegenheit hatte, ihr Herz auszuschütten.

      Paulsen wartete, bis sie sich wieder gefasst hatte.

      „Waren auch Drogen im Spiel? Aufputschmittel, Wachmacher?“

      „Weiß ich nicht. Keine Ahnung.“

      Sie hob die Tasse mit zittriger Hand. „Vielleicht hilft es ja anderen, wenn man seine Erfahrungen öffentlich macht. Ich möchte aber nicht, dass Sie meinen Namen erwähnen. Auch nicht Tilman gegenüber.“

      „Das wird nicht passieren“, versprach er.

      Als er zurück zur Prärieblume kam, saß anstelle von Aschhoff ein glatzköpfiger älterer Mann mit pockennarbigem Gesicht an der Rezeption. Mürrisch händigte er Paulsen den Zimmerschlüssel aus, gähnte und riss dabei den Mund auf wie eine Krokodilschnauze.

      „Danke, dass Sie mich nicht verschluckt haben.“

      Der Mann sah ihn an, als wollte er doch noch nach ihm schnappen. Paulsen fuhr mit dem Aufzug, hoch und sinnierte über die Entstehung der Arten und das Verhalten der menschlichen Spezies im Allgemeinen. Über das von Tilman Aschoff im Besonderen. Seine Begeisterung für Rollenspiele hatte ihn offensichtlich ins gefährliche Abseits geschleudert. Überraschend war weniger, dass er spielsüchtig war, sondern dass so ein schmalbrüstiger Wicht gewalttätig werden konnte. Vorausgesetzt Svenja sagte die Wahrheit. Doch war ihm auch ein brutaler Mord zuzutrauen? Sein Gefühl sagte ihm nein.

      Er schaltete den Fernseher an, zappte herum und blieb bei einer Unterhaltungsshow hängen, in der ein Mann lebendig begraben, einem anderen der Mund zugenäht, ein dritter auf einen Rennwagen geschnallt wurde. Bevor die Sieger des lustigen Gewinnspiels feststanden, war Paulsen eingeschlafen.

      Kurz nach drei wachte er auf, als es über ihm rumste, und der Büffelhorn-Leuchter an der Decke schwankte. Flaschen klirrten.

      Er kletterte aus dem Bett, lief die Treppe hoch und klopfte an Baranoffs Tür. Keine Reaktion. Er drückte die Klinke. Die Tür war unverschlossen, und er trat in das trüb erleuchtete Zimmer, in dem es nach Bier und Zigarettenqualm roch. Im Schlafraum war die Nachttischlampe auf den Boden gekippt, und Baranoff lag neben dem Bett inmitten einer Batterie leerer Flaschen. Paulsen sprach ihn an, doch Baranoff muckte sich nicht.

      Paulsen versuchte, den massigen Körper zurück aufs Bett zu hieven, doch er war zu schwer. Schließlich gelang es ihm, Baranoff ein Stück nach vorn zu ziehen, bis sein Kopf außerhalb der klebrigen Bierpfütze lag, dann schob er ihm ein Kissen unter. Als er die Lampe zurück auf die Nachtkonsole stellte, sah er etwas unter der Bettmatratze hervorlugen. Ein dicker brauner Briefumschlag.

      Paulsen zögerte. Sollte er in Baranoffs Sachen herumschnüffeln? Vielleicht eine Chance, ihm auf die Schliche zu kommen. Kurz entschlossen griff er zu. Der Umschlag war nicht zugeklebt und enthielt einen Bogen Passfotos mit dem Portrait einer jungen Schwarzen. Hübsches Gesicht, langes glattes Haar und große Augen. Auf der Rückseite des Bogens stand in krakeliger Kinderschrift geschrieben: Fayola Mafuto.

      In dem Umschlag steckte noch etwas. Ein durchsichtiger Plastikbeutel mit einem kleinen Knochen, der mit einer Kette aus Grünen und blauen Glasperlen umschnürt war. Paulsen stopfte alles in den Umschlag und schob ihn zurück unter die Matratze. Bevor er das Zimmer verließ, warf er einen letzten Blick auf Baranoff. Der lag da und lächelte im Schlaf wie ein träumendes Kind.

      Kapitel 7

      Die Dreharbeiten am nächsten Tag sollten um elf Uhr beginnen. Als Paulsen mit Kameramann und Assistenten in der Prärieblume eintraf, war von Baranoff nichts zu sehen. Er bat den mürrischen Glatzkopf an der Rezeption, Baranoff zu wecken, worauf der Portier eine Nummer wählte und etwas in den Hörer raunte.

      Während sie warteten, überlegte Paulsen, wie er Baranoff ins Schwitzen bringen konnte. Dann, nach einer halben Stunde, kam Baranoff mit verkatertem Gesicht die Treppe heruntergepoltert. Über die gestrige Nacht verlor er kein Wort. Wahrscheinlich hatte er gar nicht mitbekommen, dass ihn jemand vor dem Ertrinken im Biertümpel gerettet hatte.

      Die ersten Aufnahmen machten sie in Baranoffs Wohn-Büro, das er erstaunlicherweise sogar gelüftet und notdürftig aufgeräumt hatte. Es dauerte eine Weile, bis Kameramann Lippe und Assistent Wisch nach den obligatorischen Nörgeleien wegen der ungünstigen Lichtverhältnisse endlich Kamera und Ton eingerichtet hatten. Paulsen begann mit einem Interview und bat Baranoff zu beschreiben, worin die Arbeit eines Hoteldetektivs bestehe.

      Baranoff legte los. Er schimpfte über die miese Bezahlung für einen Job, bei dem er rund um die Uhr einsatzbereit sein müsse, nur um sich mit allem möglichen Gesocks herumzuschlagen, das sich hier im Hotel einquartiere.

      „Wenn ein Gast gewalttätig wird oder auf andere Weise das Hotel schädigt, muss ich eingreifen“, erklärte er mit theatralischer Geste. Dann machte er eine bauernschlaue Miene. „Aber für solche Fälle habe ich das hier parat.“

      Er griff in die Schreibtischschublade, holte eine kurze Stahlrute hervor, hielt sie in die Kamera und grinste.

      Paulsen stellte sich dumm und fragte, was das sei.

      „Ein Totschläger, was denn sonst.“

      „Und damit gehen Sie auf die Gäste los?“

      „Nur auf die, die es verdient haben: Zechpreller, Diebe, Randalierer.“

      Er warf den Totschläger zurück in die Schublade. „Kurz gesagt, ’ne ruhige Kugel schieben ist hier im Haus nicht drin.“

      „Klingt nicht gerade nach klassischer Detektivarbeit.“

      Das wollte Baranoff offenbar nicht auf sich sitzen lassen. „Moment, Moment. Die Schattenseiten des Jobs habe ich nur erwähnt, damit der Zuschauer kein falsches Bild bekommt. Die Hauptarbeit ist natürlich die Lösung kniffliger Fälle. Und dazu braucht man nicht nur logischen Verstand, sondern vor allem lange Erfahrung, beides Voraussetzungen für unseren Beruf.“

      „Und Intuition?“

      „Und Intuition, selbstverständlich.“

      Er kam immer mehr in Fahrt, wandte sich zur Kamera, an die imaginären Zuschauer, und erklärte sich bereit, ein paar Methoden und Tricks zu verraten. Paulsen ließ ihn gewähren.

      „Wie findet man zum Beispiel heraus, wer bei wem auf dem Zimmer war?“, fragte Baranoff im Ton des Moderators einer Kindersendung. „Ganz einfach: Fuchsin! Fuchsin-Pulver auf die Türklinken streuen, und es gibt keine Ausflüchte mehr. Fuchsin hinterlässt Farbflecken an den Pfoten, die kriegt man kaum wieder ab.“ Er kicherte, dann ging er zum Schrank, gefolgt vom Kamerateam,