Wolfgang Quest

Mörderwelt


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kam eine Idee und er fragte, ob er Fayolas Sachen noch einmal ansehen könnte. Baranoff ging zum Bett, zog den Umschlag unter der Matratze hervor und brachte ihn Paulsen. Der nahm als Erstes den kleinen Knochen mit der Perlenkette heraus.

      „Irgendeine Ahnung, was das ist?“

      Baranoff schüttelte den Kopf. „Den hat sie mit reingetan. Vielleicht ein Glücksbringer oder so was.“

      „Kann ich den Kram mal mitnehmen?“

      Baranoff nickte. „Übrigens, Fayolas Freundin will auch aussteigen.“

      Paulsen blickte ihn an. „Und Sie wollen wieder den Helfer spielen?“

      Baranoff ächzte. „Keine Ahnung. Ziemlich riskant. Hat man ja gesehen.“

      Er stand auf und verschwand in der Toilette.

      „Zu zweit wäre es vielleicht machbar“, rief er vom Klo aus.

      „Was heißt zu zweit?“, rief Paulsen. „An wen denken Sie da?“

      Baranoff kam vom Klo zurück. „An uns beide zum Beispiel.“

      „Warum sollten wir das riskieren?“

      „Nur so. Ich würde dem Mädchen einfach gerne helfen.“ Er nahm sein Glas und hielt es Paulsen entgegen. „Übrigens, was dagegen, wenn wir uns duzen?“

      „Machen Sie doch sowieso schon die ganze Zeit.“

      „Ich mein offiziell, jetzt, wo wir zusammen beim Meffert eingebrochen sind.“

      „Von mir aus.“ Paulsen stieß mit ihm an. „Aber das ‚Du’ heißt noch lange nicht, dass wir uns im Knast die Zelle teilen.“

      Kapitel 9

      Kurz vor acht wachte Paulsen auf, packte seine Sachen und checkte aus. Es war nicht ausgeschlossen, dass das Rollkommando noch mal auftauchte, und unter den Fittichen von Meisterdetektiv Baranoff fühlte er sich nicht besonders geborgen. Statt weiter in der Prärieblume rumzulungern und Baranoff oder den Schuhvertreter zu belauern, schien es sinnvoller, die Spur der Nigerianer weiterzuverfolgen.

      Fünfzehn Minuten später betrat Paulsen Krohnkes Büro, bereit, vor dem Ein-Mann-Tribunal schonungslos offenzulegen, was bisher schiefgelaufen war. Er gestand, dass er mit dem Verdacht auf den Hoteldetektiv eine falsche Fährte verfolgt hatte und wartete ergeben auf Krohnkes gnadenloses Urteil. Doch der war wieder mal für eine Überraschung gut.

      „Was soll’s, dann begraben wir das Ganze.“

      Er schien erleichtert, den heiklen Auftrag abblasen zu können. Ohne viel Federlesen setzte er sich an den Computer und suchte nach den Dateien, die er zum Mordfall angelegt hatte.

      „Drei Klicks und schon haben wir wieder Platz für neue Themen“, frohlockte er geradezu.

      „Moment, Moment, nicht so eilig“, griff Paulsen ein. „Ich hab’ nicht gesagt, der Fall ist abgeschlossen.“

      Krohnke stoppte die Löscharbeiten auf dem Bildschirm und schaute ihn abwartend an.

      Paulsen gab sich geheimnisvoll. „Es gibt eine neue, eine brandheiße Spur.“

      „Brandheiß ist ja bei Ihnen alles. Deswegen verbrennen Sie sich ja auch andauernd die Finger. Und das Gesicht, wie ich sehe.“ Er starrte auf die Schwellung oberhalb Paulsens Wange.

      „Das bringen heiße Storys so mit sich.“

      Krohnke lachte. „Es sei denn, es sind bloß Strohfeuer. Viel Rauch um nichts sozusagen.“ Er blickte auf die Uhr. „Ihre Redezeit nähert sich dem Ende.“

      Paulsen war klar, dass es jetzt auf die richtige Strategie ankam. Die vielversprechendste war, Krohnke an sein journalistisches Idealbild zu erinnern. Darin sah er sich als Jagdhund, der unbeirrbar durch das Dickicht von Korruption und Verbrechen pirschte – auch wenn er seit Jahren nur noch hinter dem Schreibtisch saß.

      „Das habe ich ja von Ihnen gelernt“, sagte Paulsen, „ein Gespür zu entwickeln, ob aus dem Strohfeuer nicht vielleicht doch ein Großbrand wird.“

      „Paulsen, es reicht. Auf Ihre Bauchpinselei falle ich schon lange nicht mehr rein.“ Er wandte sich dem PC zu und scrollte auf dem Bildschirm herum.

      „Was ist denn mit dem Material, was Sie bisher gedreht haben? Kann man daraus wenigstens noch was anderes stricken?“

      Paulsen nickte. „Für eine kurze Reportage über den Beruf eines Detektivs reicht es allemal. Aber bevor Sie jetzt irgendwas ändern oder löschen, hören Sie mir noch eine Minute zu.“

      „Na, los, dann spucken Sie’s aus, wenn Sie noch was auf der Pfanne haben.“

      „Die Ermordete war eine Prostituierte, Zwangsprostituierte, und wollte aussteigen, und es sieht alles danach aus, als ob sie genau deswegen umgebracht wurde. Ich würde vorschlagen, dass ich mich etwas genauer im Milieu umschaue.“

      Krohnke hob warnend den Finger. „Wir sind nicht die Polizei und Sie kein Privatdetektiv.“

      Paulsen deutete auf die Beule an seiner Schläfe. „Aber ein Betroffener.“

      „Ein Grund mehr, die Sache abzublasen. Persönliche Rache als Motiv sollte tabu sein für einen seriösen Reporter.“

      „Ich will nur herausfinden, wer mich in die Mangel genommen hat und was dahintersteckt. Man könnte es auch als investigativen Journalismus bezeichnen.“

      „Nun tun Sie mal nicht so oberschlau. Es gibt noch andere Themen, um die wir uns kümmern müssen.“

      „Geben Sie mir nur noch ein paar Tage. Dann liefere ich Ihnen eine Story, die es in sich hat.“

      Krohnke betrachtete ihn einen Moment.

      „Paulsen, Sie rauben mir den letzten Nerv. Ich gebe Ihnen noch genau drei Tage. Wenn Sie dann nicht mit Details rüberkommen, die mir einen Schauer über den Rücken jagen, ist Ende mit der Detektivspielerei.“

      Paulsen machte sich an die Arbeit und suchte als erstes im Internet Material zum Stichwort ‚Zwangsprostitution‘. Dabei stieß er auf eine Beratungsstelle für Prostituierte mit dem Namen Minerva. Es meldete sich eine Frau Zöller, und er stellte sich als Reporter von Regio TV vor.

      „Worum geht es denn, wenn ich fragen darf?“ Ihre Stimme klang kühl wie eine automatische Telefonansage.

      „Um die Arbeit Ihrer Beratungsstelle.“

      Sie wirkte nicht gerade begeistert. „So, so. Tja, dann machen wir am besten einen Termin.“

      „Würde das heute noch gehen?“

      „Sie haben’s aber eilig. Na, gut, ich schau gerade mal … eventuell am späten Nachmittag?“

      Bis dahin hatte er noch eine Menge Zeit.

      Er fuhr zum Grünen Weg, um sich dort umzusehen. Das Auto war ein rollender Backofen. Die ganze Stadt ächzte unter der Hitze und sehnte sich nach Abkühlung. Am Himmel sah es verheißungsvoll aus, bleigraue Wolken türmten sich auf und schoben sich vor die Sonne.

      Der Grüne Weg im Norden der Stadt verlief am Rande des Gewerbegebiets entlang einer alten Bahntrasse. Auf der einen Seite begrenzte eine Backsteinmauer die verwilderte Böschung unterhalb der Gleise, auf der anderen Seite reihten sich schmucklose Betonwürfel mit neonhellen Firmenbüros und Ausstellungsräumen aneinander. Ein Rätsel, wen die Automodelle, fabrikneuen Baumaschinen und Designmöbel in dieser abgelegenen Gegend anlocken sollten. Die mittlerweile tiefschwarzen Gewitterwolken mit Streifen schwefelgelben Lichts ließen die Gegend noch unwirtlicher erscheinen.

      Ein halbes Dutzend junger dunkelhäutiger Frauen lungerten an der Straße herum, spazierten Handtaschen schlenkernd auf und ab oder lehnten rauchend an der Mauer zum Bahndamm, die meisten spärlich bekleidet mit Minirock, kurzem Top oder T-Shirt.

      Paulsen lenkte den Wagen einmal um den Block, verlangsamte