Dirk Meinhard

Sonnenkaiser


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      >>Sie gehen rein, etwas essen trinken! Nicht gut aussehen!<<

      Der Bärtige deutete auf die Tür zum Mannschaftsraum.

      Er nickte und löste das Tau um seine Hüften. Auf zitterigen Beinen traute er sich unter Deck. Der Mief, der ihm entgegenschlug, eine Mischung aus fauligem Fisch, kaltem Zigarettenrauch und scharfem Schweißgeruch, ließ seinen Magen sofort wieder rebellieren. Er rülpste laut und hielt sich die Hand vor den Mund. Sogar seine Finger zitterten. Sein Kreislauf machte sich nun auch noch bemerkbar dank allmählicher Unterzuckerung. Das schummrige Licht aus ein paar Deckenleuchten fiel auf einen Tisch neben einer minimalistischen Küchenzeile mit Waschbecken, Propangaskocher und ein paar Schränken. Farbe blätterte von den Wänden, die wohl einmal blau gestrichen worden waren, vor Jahrzehnten zum Stapellauf.

      Der Mann in der Öljacke drängte sich an ihm vorbei und bückte sich vor einen Schrank der Küche. Dann stellte er eine Wasserflasche und ein kleines silbernes Päckchen auf den Tisch.

      >>Wasser und Zwieback. Gut für Seekrankheit. Kommt leichter wieder raus!<<

      Der Seemann zwinkerte ihm zu. Er nickte schwach, setzte sich an den Tisch und zwang sich dazu, den Zwieback aus der wasserfesten Verpackung zu essen und ein paar Schluck Wasser zu trinken, während der Bärtige, dessen Namen er nicht einmal kannte, ihm dabei zuschaute. Erstaunlicherweise protestierte sein Magen nicht gegen das Essen.

      >>Eigentlich Wetter im Mittelmeer ist harmlos. Aber ist etwas viel Seegang für Sie?<<, grinste der Seemann.

      >>Ich bin froh, wenn ich wieder festen Boden unter mir habe!<<, erwiderte er und wägte kurz ab, ob der letzte Bissen, den er heruntergezwungen hatte, noch einmal draußen nach dem Rechten schauen wollte, aber er entschied sich dafür, endlich wieder die Kontrolle über seinen Körper übernehmen zu müssen und atmete kontrolliert einige Male durch. Es wurde tatsächlich besser. Allmählich ließ das Zittern seiner Finger nach. Sein Kreislauf schien sich wieder zu erholen.

      Minuten später öffnete sich die Tür nach draußen wieder und ein junger blonder Mann in Ölzeug schaute herein.

      >>Wir sind gleich am Absetzpunkt! Fertigmachen Umsteigen!<<, rief er und schloss die Tür wieder.

      >>Holen Sie Ausrüstung! Ich räume Essen weg!<<, sagte der Bärtige.

      Er stand auf und betrat die beengte Schlafkoje hinter der Küche, in der sich die Betten für die vier Mannschaftsmitglieder und den Passagier befanden. Er griff nach der wasserdichten Tasche mit seiner Ausrüstung, die insbesondere aus seinem Touchbook, einem USB-Stick, mehreren Plastikkarten mit integriertem Chip, einem passenden Gerät zum Beschreiben dieser Karten und einem Mobiltelefon bestand, und kehrte an Deck zurück.

      Die Sonne beleuchtete bereits einen schmalen Streifen des Horizonts. In kurzer Zeit würde es deutlich heller sein, zu hell, für das, was sie vorhatten. Sie würden sich also beeilen müssen. Der junge Mann tippte ihn an die Schulter und deutete zum Heck des Bootes.

      >>Das andere Boot hält Kurs auf uns. Sie haben per Sprechfunk bestätigt, dass sie auf Kurs sind. Sie müssen sich beeilen. Der Torpedo ist bereit.<<

      >>Torpedo!<<, wiederholte er fassungslos und ließ den Mund offen stehen.

      Es fröstelte ihn ein wenig, als er ahnte, was ihm nun bevorstand. Der Kapitän hatte ihm gesagt, die beiden Boote dürften sich nicht direkt begegnen. Es gäbe aber einen einfachen Weg, ihn auf das andere Schiff zu bringen. Mehr hatte der Kapitän nicht gesagt und er hatte angenommen, jemand würde ihn in einem kleinen Schlauchboot auf einen magenzerreißenden Trip schicken.

      Der junge Mann führte ihn zum Heck des Bootes, wo ein gut zwei Meter langes und etwas mehr als einen halben Meter durchmessendes Objekt mit mehreren Finnen auf dem Deck nahe der Bordkante lag, befestigt an mehreren Tauen, die an einem Kran hingen, von dem aus eine Lampe das Heck beleuchtete. Auf der Oberseite des Objekts ragten zwei Rohre in die Luft, Schnorcheln einer Tauchermaske nicht unähnlich. Daneben lag eine feste Plane, unter der das Objekt vermutlich bis vor Kurzem versteckt worden war.

      Der junge Mann hantierte an dem torpedoähnlichen Gegenstand und öffnete ihn auf der Oberseite. Neugierig schaute er hinein. Die Öffnung war groß genug, um mit den Beinen zuerst in den Behälter einzusteigen und dann in den Torpedo hineinrutschen. Der Deckel, den der junge Mann zur Seite geklappt hatte, enthielt die Schnorchel. Auf der Unterseite des Deckels baumelten zwei kurze flexible Schläuche mit ovalen Aufsätzen.

      Es würde keinen Sinn machen, sich zu weigern, in diesen schwimmenden Sarg einzusteigen, denn es gab offensichtlich keine Alternative außer Brustschwimmen.

      >>Hat das Ding wenigstens einen Antrieb?<<, fragte er den jungen Mann.

      Sie durften die Aufmerksamkeit der marokkanischen Küstenwache nicht auf sich lenken. Immerhin befand sich dieses Boot bereits in Gewässern, die nicht mehr zu Spanien gehörten. Damit machte sich die Besatzung verdächtig, möglicherweise als Schlepper zu agieren, worauf schmerzhafte Strafen standen, das Versenken des Bootes inklusive.

      >>Nein, der Torpedo besteht nur aus Holz. Nicht ortungsfähig! Keine Angst, das Ding schwimmt hervorragend, auch bei stärkerem Seegang. Es ist komplett abgedichtet und innen sogar mit einer Folie abgeklebt, die Nässe abhält und Infrarot isoliert. Sie bleiben darin trocken und warm. Luft bekommen Sie durch die beiden Atemrohre, wenn Sie im Innern eines der Mundstücke benutzen. Auf der Unterseite ist zusätzliches Gewicht eingebracht, damit der Torpedo seine Lage beibehält und nicht rollt. Es wäre unangenehm, wenn die Atemrohre dauerhaft unter Wasser gerieten. Na ja, das Ganze dauert etwa eine Stunde, dann sind Sie an Bord des anderen Bootes.<<

      Fantastisch! Die Leute, die sich dieses Ding ausgedacht hatten, hatten offensichtlich an alles gedacht. Hightech der Holzklasse. Was konnte er mehr erwarten? Vielleicht noch Bordservice und Papiertüten?

      >>Und wenn nicht? Nicht ortungsfähig heißt, die Küstenwache kann mich übersehen, das andere Boot aber auch!<<, entgegnete er und betrachtete den Torpedo misstrauisch. Darin sollte er im Mittelmeer treiben, von den Wellen hin und her geworfen, und hoffen, er würde von den richtigen Leuten gefunden?

      >>Machen Sie sich darüber keine Gedanken! Wir haben das schon ein paar Mal gemacht und es hat sehr gut funktioniert! Es gibt einen kleinen Sender mit einer Reichweite von etwa zweitausend Metern. Damit findet man Sie, wenn man nach Ihnen sucht<<, beruhigte ihn der junge Mann und machte eine einladende Handbewegung.

      >>Wenn ich Sie absetze, erschrecken Sie nicht. Ich werfe noch ein paar andere Sachen ins Wasser.<<

      Der Blonde deutete auf ein paar Fässer und Kartons, die an der Bordwand standen.

      >>Soll halt aussehen, als würden wir ein bisschen Müll abladen!<<

      Er atmete tief durch. Bereit fühlte er sich nicht, eher als wenn nach seinem Magen auch sein Darm auf Entlastung plädierte.

      Ein eiskaltes Frösteln erfasste seinen Körper, als er den primitiven Schwimmkörper bestieg. Seine Tasche fand genug Platz oberhalb seines Kopfes in einer separaten Box. Seine Finger zitterten sichtbar, während er sie dort hineinstopfte. Sein Atem ging deutlich schneller.

      >>Wenn das Ding undicht ist und mein Touchbook nass wird, ist mein Auftrag erledigt<<, stöhnte er, während die Angst ihm einflüsterte, dass es besser wäre, dieses Ding wieder zu verlassen.

      >>Vertrauen Sie uns!<<, beruhigte ihn der Junge, der dieses Schwimmgerät bestimmt noch nie benutzt hatte.

      Er rutschte mit dem gesamten Körper in die enge Röhre. Sein Körper lag direkt auf der wasserdichten Folie. Genau genommen lag sein Körper in der durchnässten Kleidung und dem gummiartigen Mantel in einer gut isolierten Ein-Mann-Sauna. Zumindest blieb damit die Aussicht darauf, dass das Frösteln wieder weggehen würde.

      >>Benutzen Sie bitte Handtücher und setzen Sie sich nicht direkt auf die Holzbänke.<<

      Leider erheiterte ihn sein eigener Witz nicht.

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