Dirk Meinhard

Sonnenkaiser


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      Auf dem Display wurde ein großer roter Button angezeigt, der die gut lesbare Aufschrift >>Fahrercheck<< trug. Genervt tippte er auf den Button. Das Ganze wiederholte sich zweimal, bevor das Überwachungssystem feststellte, dass der Fahrer tatsächlich wieder seinem Blick nach vorne auf die Straße richtete. Daniel wusste, es brauchte nur zwei weitere dieser Vorfälle und der Wagen würde dauerhaft per Blinksignal auf sich aufmerksam machen, bei Schrittgeschwindigkeit, während das Fahrbahnerkennungssystem den Wagen in die nächste Nothaltebucht lenken würde. Sicherheit war oberste Priorität im Straßenverkehr. Immerhin gab es in Deutschland pro Jahr nur noch weniger als eintausend Verkehrstote, als Ergebnis der immer weiter zurückgehenden Fahrzeugzulassungen und der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitssysteme in allen Fahrzeugen. Die kleine Kamera in der Instrumententafel vor ihm registrierte sein Gesicht, solange der Wagen sich vorwärts bewegte. Die Fahrzeugsteuerung analysierte die Aufnahmen und entschied darüber, ob der Fahrer eventuell nur noch als Passagier behandelt werden musste.

      Daniel atmete tief durch, während er den Wagen in die nächste Abfahrt Richtung Innenstadt steuerte. Kurz danach passierte er einen Kontrollposten, an dem einer der SUV parkte, die ihn wenige Minuten zuvor überholt hatten. Der Posten bestand aus zwei schweren zur Seite rollbaren Torelementen aus Stahl, um die gesamte Breite des Fahrwegs sperren zu können, und einem massiven Metallgerüst, das wie ein Bogen über der Straße stand und mehrere Kameras trug, die in beiden Richtungen Aufnahmen von Fahrzeuginsassen, Fahrzeugen und Passanten machten und in der Lage waren, weitergehende Scans außerhalb des Bereichs sichtbaren Lichts durchzuführen. Das Gerüst wurde auf beiden Seiten von einer etwa vier Meter hohen Mauer fortgesetzt, die auf jeder Straßenseite erst an den Hausreihen endete. Der Kontrollposten war einer von mehreren Dutzend, die alle Auswahlstraßen des Stadtzentrums sicherten. Das Ganze erinnerte an mittelalterliche Zustände, wenn auch die damals üblichen Zugbrücken fehlten und Kameras den Job der Mauerwache übernahmen.

      Innerhalb des gesicherten Bezirks war die Stadt außerdem mit einem Netz von Überwachungskameras überzogen. Die Sicherung der Kontrollposten führten Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma durch, von denen mehrere solche Dienstleistungen inklusive der Kameraüberwachung in allen größeren Städten anboten. In dieser Stadt gab es drei solche abgesperrten Bereiche. Außer dem Stadtzentrum waren das Gelände der privaten Universität und eines der südlichen Stadtviertel abgeriegelt und wurden von bewaffnetem Sicherheitspersonal bewacht.

      Vier breitschultrige Typen in schwarzer Kleidung mit kurz geschorenen Haaren standen neben den hochgestellten Schranken und beobachteten mit gelangweilter Miene Fahrzeuge und Fußgänger, die Richtung Innenstadt wollten. Sie trugen Halfter mit Elektroschockern und Schlagstöcke am Gürtel. An ihren Köpfen waren zudem Headsets mit einer kleinen Kameralinse zu erkennen. Als Daniel langsam an ihnen vorbeirollte, wurde er von den Männern nur mit einem kurzen desinteressierten Blick bedacht.

      Lediglich die automatische Mauterfassung schenkte ihm ihre volle Aufmerksamkeit, zumindest für den kurzen Augenblick, den die Geräte über der Durchfahrt benötigten, um sein Fahrzeug zu identifizieren und eine Zahlungsaufforderung an die Leihwagenfirma zu schicken, die einen Atemzug später bereits seinem Konto belastet wurde.

      Wenige Minuten später parkte er das Fahrzeug auf einem freien Rent-to-drive Parkplatz gegenüber dem Gebäude, in dem sein Termin stattfinden sollte. Das Amt für Arbeit, wie es einer Versprechung gleich genannt wurde, lag nahe dem Stadtzentrum in einer ehemals weniger angesehenen Gegend, in der es seit ein paar Jahren zumindest innerhalb des abgesperrten Bezirks keine Problemviertel mehr gab. Dafür hatten erst neue rechtliche Freiräume für finanzstarke Investoren und seit einer Phase der Stadtneuplanung die Sicherheitsdienste gesorgt.

      Es war scheinbar noch zu früh für den üblichen Publikumsverkehr in diesem Amt, denn die Straßen waren weitgehend menschenleer. Nur wenige Passanten schlenderten über die Bürgersteige. Zwei Fahrradfahrer rollten an ihm vorbei. Ein Wagen bremste abrupt hinter den Rädern ab und überholte sie mit weitem Abstand. Ein blaues Lauflicht auf dem Dach signalisierte die aktivierte autonome Steuerung des Fahrzeugs. Achtung, hier lenkt ein Computer.

      Daniel nahm seine Sachen an sich und stieg aus dem Leihwagen. Nachdem er das Fahrzeug auf dem Stellplatz über der Induktionsfläche abgestellt hatte, beendete er in der App den Leihvorgang. Sekunden später erhielt er auf dem Display die Information über den Mietpreis für die Fahrt. Das Bild wechselte und ein Fenster mit dem Logo seiner Bank öffnete sich, in dem er über die Abbuchung und seinen aktuellen Kontostand informiert wurde. Die angezeigte Zahl war beunruhigend klein. Aber er hatte heute einen Termin, der dieses Problem hoffentlich lösen würde. Auf dem Weg zum Eingang warf Daniel einen Blick auf das Display der Commwatch. Er war pünktlich. Ein paar Minuten blieben ihm noch.

      Das Erdgeschoss des Amtes bildete eine Halle, die den Blick bis zur Decke des Gebäudes zuließ. Auf der rechten Seite sah Daniel eine großzügige Wendeltreppe. Geländer zogen sich in den oberen Etagen über die gesamte Gebäudebreite hin. Dahinter verbargen sich vermutlich Büroräume. Im Erdgeschoss befand sich bis zur Wendeltreppe eine Reihe von Schaltern, über denen Nummerierungen angebracht waren. Die Anzeigen informierten außerdem darüber ob die Schalter besetzt waren und welche Besuchernummer die nächste war, die zur Bearbeitung anstand. Bildschirme ersetzten die Plätze der früheren Sachbearbeiter. Neben der Treppe stand ein Wegweiser, der darüber Auskunft erteilte, welche Abteilungen sich in den oberen Etagen befanden. Über der Liste der Büronummern prangte in kräftigen Buchstaben ein Hinweis: Kein Zutritt ohne Vorladung.

      Als ginge es darum, diesem Satz eine eindeutige Erklärung hinzuzufügen, stand auf dem ersten Treppenabsatz vor einem mannshohen Sperrgitter ein Uniformierter mit Bürstenhaarschnitt, der seine dunkle Jacke fast bis zum Platzen füllte und mit unbewegter Miene in die Halle hineinschaute, die Daumen in die Taschen seiner Jacke gehakt. Am Gürtel baumelte ein Schlagstock, daneben steckte in einem Halfter ein Taser, ein praktisches Elektroschockgerät für den Umgang mit problematischer Klientel.

      Zwei Frauen in abgetragener Kleidung standen an den Schaltern und sprachen mit Mitarbeitern auf den Bildschirmen. Der eigentlich dunkelgraue Fußboden der Halle hatte dringend eine Reinigung nötig. Helle Schlieren, Ränder und Abdrücke von Schuhsohlen überall zeugten noch von den letzten Regentagen. Die Wände waren ebenfalls alles andere als sauber. Gelangweilte Besucher hatten sich hier ebenso mit kleinen Graffitis und Schmierereien verewigt. Von einem dunklen Fleck nahe dem Eingang liefen schmale Spuren in eine Richtung über den Fußboden, als wäre Flüssigkeit verspritzt worden. Die Färbung erinnerte Daniel an Blut. Der Fleck war an den Rändern etwas verwischt, als hätte jemand seinen kräftigen Haarschopf dort angelehnt und hin und her bewegt.

      Daniel versuchte sich erst gar nicht vorzustellen, was hier passiert sein mochte. Er öffnete im Kalender seines Smartphones den eingestellten Termin.

      Jobvermittlung Desk 12 las er und schaute sich suchend um.

      Unter der gesuchten Zahl auf einem Monitor im rechten Teil der Halle wurde bereits seine Reservierungsnummer in kräftigem Rot angezeigt. Daniel stellte sich vor den Schalter und grüßte die Frau auf dem Schirm freundlich. Ein Schild an ihrer schlichten blauen Bluse wies sie als Fr. Wolenski aus. Frau Wolenski schaute ihn nur kurz an und tippte weiter energisch auf eine Tastatur während sie auf einen Monitor schaute. Daniel blieb geduldig vor dem Schalter stehen und schaute sich gelangweilt um. Einige Leute betraten die Halle und verteilten sich auf die anderen Schalter. Frau Wolenksi, die sich wohl längst im fortgeschrittenen Alter befand, beachtete ihn nicht weiter und ging ihrer Arbeit nach. Ihre grauen schulterlangen Haare waren strähnig, ihr Gesicht von vielen kleinen Falten durchzogen. Der Rücken der Frau war ungesund krumm, was dem Kopf beim Blick auf den Bildschirm eine unnatürlich abgewinkelte Position auf dem Hals verlieh. Sie trug dazu ein dickes schwarzes Brillengestell mit halbkreisförmigen Gläsern, das ihrem Gesicht eine zusätzliche Strenge verlieh.

      Wohl, um eine gewisse psychologische Wirkung gegenüber den Kunden des Amtes herzustellen, befanden sich die Bildschirme über Augenhöhe der Kunden. Über ihre Bürokamera schaute Frau Wolenski ein Stück auf Daniel herunter. Endlich nahm sie ihre Hände von der Tastatur und drehte ihren Stuhl herum.

      >>Sie wünschen?<<

      Sie schaute ihn über die sehr tief sitzenden