Helmut G Götz

Simons Weg


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ansah.

      Der Wehen Schreiber gab plötzlich keinen Ton mehr von sich. Auch die Herztöne, so glaubte Claudia, schienen auf einmal ungleichmäßiger, weniger rhythmisch zu sein. Doch da, noch bevor sie richtig in Panik verfallen konnte, meldete sich das Gerät wieder mit seinen nervigen Piep-Tönen zu Wort als auch schon die nächste Wehe einsetzte.

      Auch diese ebbte so schnell ab, wie sie gekommen war. „Was ist los“, fragte sie den Arzt, nachdem es ihr gelungen war, genug Sauerstoff in ihre Lungen zu bekommen.

      „Die Herztöne …!“

      Der Arzt sah auf den Monitor des Überwachungsgerätes und seine Stirn legte sich abermals in Falten. Doch anstatt auf ihre Frage mit einer Antwort zu reagieren, sagte er zur Schwester: „Schwester, wir machen alles für einen Kaiserschnitt fertig. Das dauert mir zu lange.“

      „Das geht mir jetzt aber ein bisschen zu schnell“, protestierte Claudia, noch immer im Stillen.

      „Ich würde es gerne noch einmal versuchen“, sagte sie zum Arzt, bevor dieser richtig von seinem Stuhl aufstehen konnte. Dieser sah sie an. Er schien zu überlegen und willigte nach ein paar Sekunden ein. „Gut“, sagte er. „Wir versuchen es noch ein Mal.“ Woraufhin er sich wieder zwischen ihre Beine setzte und sich in Position brachte. Den Wehen Schreiber mit seinen Augen fixierend, so als könnte er diesen mit seinem strengen Blick dazu bringen, endlich das von sich hören zu lassen, was er hören wollte, ruckelte auf seinem Stuhl herum.

      Nach einer Minute, kündigte sich die nächste Wehe an. „Okay“, sagte der Arzt. „Da kommt die Nächste. Noch einmal tief Luft holen und wenn ich es ihnen sage, pressen was sie können!“ Als die Wehe ihren Höhepunkt erreicht hatte, presste Claudia, so stark es ihr nur möglich war. Doch wieder, kaum als sie das Gefühl hatte, dass der Kopf des Babys drauf und dran war durchzukommen, schien es ihr, als würde der Kopf feststecken. Der Arzt versuchte mit seinen Fingern, um den Kopf Simons herum zu gelangen. In diesem Moment wusste Claudia, dass definitiv etwas nicht stimmte. Nicht nur das etwas nicht stimmte, sondern dass etwas gehörig schief zu laufen schien. Claudia war es schließlich, die, noch vor dem Arzt, jenes Wort aussprach, dass bereits im Raum schwebte.

      „Kaiserschnitt!“

      „Ja“, bestätigte der Arzt nickend.

      „Ich denke, es ist das Beste, wenn wir einen Kaiserschnitt vornehmen, Frau Stahlheimer! Sieht so aus, als möchte der junge Mann weder vor noch zurück.“ Das Wort hatte ihm eine Art Erleichterung auf sein Gesicht gezeichnet und bewirkte, dass es weniger angespannt aussah. Er stand auf. „Die Wehen kommen mir etwas zu unregelmäßig und ich möchte kein Risiko eingehen“, fügte er hinzu. So sehr er sich auch um Ruhe bemühte, die Anspannung auf seinem Gesicht sprach Bände. „Wir sollten schnellstens den kleinen Mann aus seiner engen Behausung befreien.“ Das was er als Scherz gewusst haben wollte, wirkte auch diesmal nicht. Zumindest nicht bei ihr. Unter den Umständen, in denen sie sich befand, war sie nicht wenig versucht, gegen die Bezeichnung „Behausung“ zu protestieren. Angesichts der Tatsache, dass der Arzt sich nicht weniger zu sorgen schien, wie sie selbst, hielt sie von der Versuchung ab, dagegen zu protestieren.

      Zwei Stunden später wachte Claudia in dem Zimmer auf in das man sie anfangs gebracht hatte. Mit halbgeöffneten Augen sah sie sich um. Das Licht, das durch die Jalousien hereinfiel, tat ihren Augen weh. Ihr war übel, dachte, sie müsse sich jeden Moment übergeben. Der Schmerz, der von ihrer Leibesmitte ausging wurde, von Sekunde zu Sekunde stärker. Wäre nicht die unbändige Neugier auf ihren neugeborenen

      Sohn gewesen, hätte sie sich sehnlichst zurück in den tranceartigen Zustand gewünscht, aus dem sie eben erst erwacht worden war. Schmerzen, waren noch nie ihr Ding gewesen. Schon gar nicht solche, die einem glauben ließen, dass ihre Vagina für den Rest ihres Lebens, nie wieder für etwas anderes zu gebrauchen wäre, als in der Gegend herumgetragen zu werden. Gerade in diesem Moment betrat eine ihr unbekannte Krankenschwester, ihr Zimmer.

      „Hallo Frau Stahlheimer“, sagte diese mit einem warmen Lächeln auf ihrem Gesicht. Claudia wollte den Gruß erwidern, merkte aber, dass ihre Kehle staubtrocken war. „Kommen sie“, sagte die Schwester.

      „Sie können ruhig einen Schluck trinken.“ Womit sie zum Nachttischchen ging, ein Glas Wasser einschenkte, um dann Claudia dabei zu helfen, sich aufzusetzen. Beim Versuch, sich aufzusetzen, durchfuhr sie ein Schmerz, der sie aufstöhnen ließ. „Ganz langsam“, sagte die Schwester. „Warten sie, ich helfe ihnen.“ Die Stimme der Schwester klang weich, fast melodiös in Claudias Ohren.

      Die Schwester – sie konnte an dem Namensschild deren Vornamen, Veronika erkennen, hielt Claudia das Glas hin und stützte ihr den Rücken ab, sodass sie kleine Schlucke trinken konnte. Als sie sich wieder zurückgelehnt hatte, fasste sie sich einen Moment und fragte die Schwester: „Wie geht es meinem Kind?“

      Die Schwester stellte das Glas auf das kleine fahrbare

      Kästchen und sagte: „Dem Buben geht es gut.“

      „Wir haben ihn auf die Neugeborenen Station gebracht.“ „Sobald der Arzt mit den Untersuchungen fertig ist, wird er ihnen gebracht“, ließ sie sie wissen. Claudia schloss kurz die Augen, fasste neue Kraft und fragte dann: „Geht es ihm wirklich gut?“

      „Ja, alles in Ordnung“, bestätigte ihr die Schwester. Claudia versuchte herauszufinden, ob diese ihr etwas verschwieg, konnte aber an ihrem Verhalten oder gar ihrem Gesichtsausdruck, nichts erkennen. Die Schwester verließ das Zimmer, nicht ohne Claudia wissen zu lassen, dass sie nicht zögern sollte die Glocke zu bedienen, wenn sie etwas brauchen sollte. Claudia bedankte sich, wobei sie ein Lächeln zustande brachte. Doch, so sehr sie sich auch bemühte, das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, wollte sich nicht vertreiben lassen.

      Eine Woche nach der Entbindung, verließ Claudia mit

      Simon das Krankenhaus. Ihre Eltern, die jeden Tag zu Besuch gekommen waren, bestanden darauf sie persönlich nach Hause zu bringen. Claudia, von den Fahrkünsten ihres Vaters nicht begeistert, fügte sich notgedrungen. Zuhause angekommen, brachten sie das Gepäck in das kleine Häuschen, das am Rande der kleinen Stadt lag, in dem sie, vor noch nicht allzu langer Zeit gezogen war.

      Noch immer fragte sie sich, wie das gerade einmal sechstausend Einwohner zählende Örtchen wie sie es nannte, zum Titel Stadt gekommen war. Besaß es doch gerade einmal einen Stadtkern, den man in knapp zehn Minuten durchlaufen konnte. Ganz zu schweigen davon, dass es im Grund nur eine sogenannte Hauptstraße gab, an der sich die Mehrzahl der Geschäfte drängte. Im Industriegebiet (die Alteingesessenen liebten diesen

      Begriff) fanden sich drei Supermärkte, die diesen Begriff auch tatsächlich verdienten, ein Sportcenter und ein Restaurant, das sich damit über Wasser hielt, „All-you-can-Eat“ für Fernfahrer anzubieten. Dennoch, sie liebte diese dörflich wirkende Stadt. Ihr kleines Häuschen, dass sie sich mit dem Geld ihres schwanzgesteuerten Ex-Ehemannes gekauft hatte. Eine Bezeichnung, mit der sie ihn ab dem Zeitpunkt bedacht hatte, als sie dahintergekommen war, dass er die kleine und um zwanzig Jahre jüngere Brünette aus seinem Büro, mit schöner Regelmäßigkeit gevögelt hatte. Anfangs, nachdem sie dahintergekommen war, dass ihr Exmann, der Brünetten das gab, was eigentlich und alleinig ihr zustand, fühlte sie sich wie ausgemustert und abgelegt. Dachte an Rache. Daran ihm das Gleiche anzutun. Ihm sein heißgeliebtes Cabrio zu zerkratzen. Ihn eventuell zu ermorden. Schließlich besann sie sich aber eines Besseren. Als sie schließlich begriffen hatte, dass in der Ruhe die Kraft lag (eine Ansicht die sie früher zum Würgen gebracht hatte) packte sie ihn bei dem, was ihm am Wichtigsten war. Geld!

      Dieses und damit das Häuschen, dass sie nun mit ihrem Sohn bewohnen würde, als auch die Tatsache, dass eben diese Brünette, ihn, den Schwanzgesteuerten, einen fabelhaften Tripper angehängt hatte, glich den Schaden einigermaßen wieder aus. Die Tatsache, dass sie sich gerade von diesem …., (manchmal benutzte sie nur den leeren Wort Raum) anstatt der vollen Bezeichnung, schwängern hat lassen, verbuchte sie mittlerweile als eines der wenigen guten Dinge, die sie durch ihren Ex erfahren hatte.

      Angesichts ihrer mittlerweile 45 Jahre, hatte ihr die Schwangerschaft zu Beginn Kopfzerbrechen bereitet. Bis sie eines Tages aufwachte und feststellte, dass