Hellen Scheefer

Aufenthalt bei Mutter


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die Straße zu betreten. „Warum dürfen wir denn nicht mit zum Roller kommen?“ Vater gibt keine Antwort. „Ich hab gesagt, ihr sollt hier warten!“- Seine Stimme klingt scharf. Elli schweigt lieber. Sie weiß: es ist sinnlos weiter zu betteln, wenn Vaters Stimme so klingt.

      Als Vater mit dem Motorroller zurückkommt, setzt er das fremde Mädchen auf den Sitz hinter die Schutzscheibe. „Und ich? Darf ich nicht mitkommen?“ Das ist eigentlich Ellis Platz. „Doch, klar kommst du auch mit.“ „Ja, aber wo denn?“ „Na, hinter mir ist doch auch noch ein Platz.“ Elli erschrickt. Nein, wenn sie das geahnt hätte, wäre sie lieber allein mit Vater in den Wald gefahren. Dort hinten hat sie noch nie gesessen. Das kann sie doch gar nicht. „Ich weiß doch gar nicht, wie das geht! Wie soll ich mich denn da festhalten?“ „Da ist doch ein Griff.“ Vater rutscht ein Stückchen nach vorn, und tatsächlich schaut da ein weißer Gummigriff aus der Sitzbank heraus. „Ich habe aber Angst. Ich denke, da hinten dürfen nur die Großen sitzen?“ „Na und? Du bist doch schon groß!“ Vaters Stimme wird wieder barsch. „Du bist schon fünf Jahre alt! In deinem Alter muss man so etwas schon können!“ Elli zögert noch. Vater herrscht sie an: „Jetzt aber los, steig endlich auf!“ Elli ist dem Weinen nahe, aber sie muss sich fügen, wenn sie mit in den Wald möchte. Also überwindet sie ihre Angst und steigt auf den Rücksitz des Rollers. Und ab geht die Fahrt. Als sie im Wald ankommen, ist Elli stolz auf sich. Sie ist tatsächlich nicht herunter gefallen!

      Vater ist immer noch barsch. Die Mädchen wollen loslaufen, wohin es ihnen gefällt, aber Vater hält sie zurück. „Hier geht’s lang.“ Er weist auf einen Hang mit vielen Bäumen. Elli versucht wieder ihre Überredungskünste. Komisch, heute hat sie kein Glück bei Vater. Er lässt sich nicht beeindrucken. Sie müssen ihm folgen. Dann läuft Elli voran. Sie ist wütend, dass sie sich bei Vater nicht durchsetzen kann. So gehen sie eine Weile durch den Park und Elli läuft vorneweg. Nach einer Weile hört sie Vater rufen: „Elli, du kommst sofort hierher!“ Elli kennt den Ton. Dann hat der Spaß ein Ende, Vater lässt nicht mit sich handeln. Als sie sich umdreht, merkt sie, dass sie allein ist. Die anderen beiden sind auf der Wiese am Hang. Elli sieht Vater an einem Baum knien. Mit dem Rücken vor ihm steht das Mädchen, er hat ihm die Hosen ausgezogen und herrscht es gerade an, dass es sich nach vorn beugen solle. „Nein! Nicht auch noch das.“ Elli ist enttäuscht. Sie hatte sich gefreut, dass Vater mit ihnen im Wald spazieren gehen wollte, und nun macht er ,Das'. Widerwillig geht sie zu den beiden herauf. Sie ist traurig. Immer muss Vater diese blöde Sache machen. Wenn sie das gewusst hätte, wäre sie nicht mit in den Wald gekommen. Das Mädchen, anfangs war es wohl schockiert und bewegte sich nicht, weigert sich nun, sich nach Vaters Willen nach vorn zu beugen. Vater beginnt sein Geschäft. Merkwürdiger Weise fängt das Mädchen an zu weinen. Das kann Elli nun gar nicht verstehen. Sie stellt sich aber auch zu dumm an. Elli wusste aus Erfahrung, dass man sich geschickt halten musste, damit es nicht wehtat, was Vater da machte. Das Mädchen zerrt und macht sich steif. Elli fühlt sich überlegen, sie macht das viel besser. Doch irgendetwas stimmt nicht. Das Weinen des Mädchens wird immer heftiger. Sie scheint nicht nur Angst zu haben, Vater scheint ihr auch wirklich weh zu tun. Machte er mit dem Mädchen etwas anderes als mit ihr?

      Elli beginnt zu zweifeln. Vielleicht hatte das Mädchen ja Recht? Vielleicht ist Elli nur Vaters Geschäft zu sehr gewöhnt und hat vergessen, dass man dabei schreien sollte? Vielleicht hat er dem Mädchen auch wirklich wehgetan, währenddessen er ihr nie weh tat? Hatte er nicht irgendwann einmal gesagt: „Dir tue ich nicht weh.“?

      Doch. Einmal hatte er ihr wehgetan. Sie waren im Schlafzimmer, in seinem Bett. Er hatte gesagt. „Heute machen wir es einmal anders.“ Dann hatte er ihr seinen ‚Daumen’ irgendwo in ihren Körper gesteckt. Es hatte so wehgetan, dass sie nur noch einen riesengroßen Schmerz im Bauch verspürte. Es schien ewig zu dauern, ehe Vater zufrieden war. Elli war damals vor Schmerz schwarz vor Augen geworden. Als Vater wieder bei sich war, hatte er sie gefragt: „Und, wie fandest du es?“ „Es hat sehr weh getan.“, hatte Elli gehaucht. Ihr fehlte immer noch der Atem zum Sprechen. „Ach so? Dann machen wir es nicht mehr ‚So’. Dir tue ich nicht weh. Du bist doch meine Beste.“

      Das Weinen des fremden Mädchens ist inzwischen in Schreien übergegangen. Vater hat begonnen, auf das Kind einzuschlagen. „Bist du still, wirst du wohl nicht schreien!“ Das Mädchen hört nicht auf zu schreien. „Ich schlage dich solange, bis du aufhörst zu schreien.“ Vater schlägt weiter auf es ein. Seine Schläge werden härter. Elli steht inzwischen fassungslos daneben. So hat sie ihren Vater noch nie gesehen. Er ist ganz und gar außer sich. Sie hat noch nie derart ihren Vater Schlagen sehen.

      Elli hält die Situation nicht mehr aus. Sie erträgt nicht mehr, zuzuschauen, wie der Vater auf das Mädchen einschlägt. Längst hat sie Mitleid mit dem Mädchen erfasst. Was macht Vater da nur mit dem Mädchen? Er schlägt und schlägt auf das Kind ein, er schlägt es ja noch kaputt! Elli zittert am ganzen Körper und plötzlich beginnt auch sie zu schreien. Elli schreit das Mädchen an: „Hör auf zu schreien, sonst hört er nicht auf, dich zu schlagen!“ Das Mädchen stutzt und sieht zu Elli auf. Für einen Moment schaut das Mädchen schweigend Elli an. Dann hört es auf zu weinen, lässt Vaters ‚Geschäft’ über sich ergehen. Vater hört auf, das Mädchen zu schlagen. Endlich lässt Vater von dem Mädchen ab und ruft nach Elli. Elli tritt an ihn heran. „So, nun zeig ihr mal, wie man Das richtig macht.“ Elli stellte sich für Vater in Position, während er beginnt, sich an ihr zu befriedigen. Komisch. Es tut Elli wirklich nicht weh. „Siehst du, so muss man das machen.“ Elli will das Mädchen trösten: Vaters Geschäft ist doch wirklich nicht so schlimm. Das Mädchen jedoch schaut verständnislos auf Elli. Dann dreht es sich mit einem Ruck um und läuft schnell davon, den Hang hinunter. Es dauert nicht lang, bis Elli das Mädchen aus den Augen verloren hat.

      Vater ist irgendwann zufrieden. Doch Elli muss die ganze Zeit über an das Mädchen denken. Warum hatte es so geschrien? Sollte auch sie besser schreien, statt Vater duldsam zu Gefallen zu sein? Was hatte das Mädchen gedacht, als es Elli anschaute, zusah, wie Vater sich an Elli befriedigte? Elli war traurig zumute, weil das Mädchen von Vater solche Schmerzen erlitten hatte. Es schien die Sache zwischen ihr und Vater sehr unerträglich zu finden.

      Als Vater seine Kleidung geordnet hat, können sie endlich spazieren gehen. Sie gehen zum Teich, unten in der Niederung. Als sie sein Ufer erreichen, sehen sie das fremde Mädchen. Es steht am anderen Ufer des Teiches, in sicherer Entfernung. Elli ruft das Mädchen. Sofort läuft es davon. „Lass sie laufen.“ Vater hat kein Interesse mehr an ihm. „Aber, wo läuft es denn hin? Es kennt sich doch hier gar nicht aus?“ „Ist doch egal. Was geht uns das an?“ „Und wie kommt es wieder nach Hause?“ „Was weiß ich. Da hat es halt die Strafe. Was schreit es auch so herum.“ Vater hat keine Lust mehr, im Park zu spazieren. Er entscheidet, dass sie nach Hause fahren. Sie gehen zurück zu der Stelle, an der der Motorroller abgestellt steht. Elli schaut immerzu nach dem Mädchen. Es muss doch mit ihnen mitfahren, anders kommt es doch nicht den weiten Weg wieder nach Hause. Als Vater Anstalten macht, den Roller zu starten, sagt sie: „Und das Mädchen? Wie kommt es jetzt zu seiner Mutti zurück?“ „Na, irgendwie wird sie es schon finden.“ „Aber es weiß doch gar nicht den Weg! Es kann doch nicht über Nacht hier im Park bleiben!“ „Also gut, ich gehe zurück und schaue nach ihm.“ Vater stellt den Roller wieder ab. Elli ist zufrieden. „Du bleibst aber hier und wartest!“ Auch gut, wenn er nur nach dem Mädchen suchen geht. Vater geht den Weg zurück, den sie zu dritt gegangen waren. Es dauert lange, ehe er wieder kommt. Allein. „Ich hab sie nicht mehr gefunden. Sie ist irgendwo hingelaufen.“ Elli versteht nicht, was sich das Mädchen denkt. Wo soll es jetzt nur bleiben? Bald wird es Abend. Sie ist traurig wegen dem Mädchen.

      Elli geht zu Vaters Roller und steigt auf ihren alten Platz hinter der Windschutz­scheibe auf. Wenigstens muss sie nicht wieder hinter Vater auf dem wackeligen Rücksitz sitzen.

      Beth. acht.

      Beth war in ihrer neuen Heimat angekommen. Kinder, Haushalt und Arbeiten gehen hatten sich in einem Rhythmus aus Gewohnheiten und Wiederholungen miteinander verwoben, Beth und Karl hatten sich im Alltagseinerlei zusammengerauft. Ruhe war in ihr Leben eingekehrt.

      So oder ähnlich gab Beth zur Antwort, wenn