Hellen Scheefer

Aufenthalt bei Mutter


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Schwester oft bei Elli und vertreibt ihr die Angst vorm alleine-Sein. Manchmal, wenn die Schwester früh am Tag zu Hause ist, darf Elli gleich nach dem Mittagsschlaf vom Kindergarten nach Hause gehen. Die Schwester passt dann auf Elli auf. Mutter hat halt im Haushalt zu arbeiten und keine Zeit für Elli. „Erzählst du mir eine Geschichte?“ Die Schwester lässt sich nicht lange betteln. „Soll ich eine von der Micky Maus erzählen?“ „Au, ja.“ Diese mag Elli besonders gern, die sind immer so lustig.

      Irgendwann, als die Geschichte zu Ende erzählt ist und beide Schwestern noch miteinander kuscheln, sagt die Ältere zu Elli: „Weißt du was? Als ich so alt war wie du, hat Vater mich auch so lieb gehabt wie dich jetzt.“ Elli schaut die Schwester verwundert an. „Und jetzt, jetzt hat er dich nicht mehr lieb?“ „Nicht so wie dich.“ Die Schwester sieht traurig aus. Elli überlegt. Irgendetwas ist komisch an der Sache. Dann endlich hat sie eine Idee: „Warum hat er denn nur mich lieb, er könnte doch auch uns beide lieb haben? Ich habe doch auch alle meine Puppen lieb.“

      “Ich weiß es nicht. Es war jedenfalls so. Seit du auf der Welt bist, hat er mich nicht mehr so lieb gehabt.“ Das findet Elli sehr traurig. Sie umarmt die Schwester. Es tut ihr leid, dass sie der Schwester Vaters Liebe weggenommen hat. „Weißt du was? Dafür bist du meine Lieblingsschwester.“

      Elli. vier.

      Es ist Abend. Elli war den Tag über im Kindergarten. Jetzt muss sie noch ihre Puppen für die Nacht fertig machen. Das Bettchen muss sie ordnen, die Decken liegen ganz knitterig. Elli hat vier Puppen, eine große und drei kleinere. Die Kleinen kann man in eine Jackentasche stecken. Sie legt sie fein säuberlich nebeneinander, so, dass keine der anderen beim Liegen weh tut. Dann möchte sie die Zudecke über die Puppen legen, damit die in der Nacht nicht frieren. Aber es will ihr nicht gelingen. Ihre kleinen Hände sind zu ungeschickt. Irgendwo schlägt die Decke immer Falten. Und die tun doch den Puppen beim Liegen weh! „Essen.“ Mutter ruft zum Abendbrot. Elli überhört den Ruf. Sie will unbedingt jetzt erst noch das Bettchen fertig machen. Mutter schaut ins Zimmer, wo Elli bleibt. Elli reagiert nicht. „Was machst du denn?“ Mutter kommt näher. Mutter beugt sich über Ellis Puppenbett und schaut ihr beim Ordnen zu.

      Eigentlich hat sie nie Zeit für Elli. Sie spielen auch nie miteinander. Nur wenn Elli krank ist, dann ist es schön. Dann kommt Mutter immer an ihr Bett und pflegt sie. Reibt ihr Brust und Rücken ein mit einer Salbe, die gegen den Husten hilft. Mutter bringt ihr Essen und Trinken ans Bett, wenn Elli krank ist. Sie ist dann auch immer sehr sanft mit Elli. Elli hat oft schweren Husten. Manchmal musste sie damit schon ins Krankenhaus, weil sie keine Luft mehr bekam. Wenn Elli gesund ist, redet Mutter kaum mit ihr. Sie hört Elli einfach nicht.

      Mutter wird ungeduldig. „Das reicht doch aber jetzt. Nun ist es doch wirklich ordentlich.“ Mutters Stimme klingt schon wieder gereizt. „Nein. Das ist noch gar nicht ordentlich. Siehst du denn das nicht? Hier liegen doch ganz viele Falten. Hilf mir doch mal. Ich kann das noch nicht so gut!“ Elli fetzt wütend das ganze Bett wieder auseinander „Nein. Du kommst jetzt essen. Du kannst das nachher zu Ende machen.“

      Elli bleibt nichts weiter übrig. Widerwillig folgt sie der Mutter an den Tisch.

      Sie hat wenig Hunger. Ihre Stulle mit Salami hat sie bald gegessen. Sie hat die beiden Scheiben, die jeder bekommen darf, weit hinten auf das Brot geschoben, damit das schönste für den letzten Bissen bleibt. Salami ist teuer und die Eltern haben wenig Geld. Elli kriecht bald auf Vaters Schoß. Vater redet grade. Vater redet viel am Tisch. Die anderen Großen diskutieren mit ihm. Aber Vater ist sehr klug, er hat immer Recht. Egal, worüber sie sprechen, Vater weiß immer ganz viele Gründe, warum die anderen sich irren. Mutter diskutiert nie mit. Und wenn, dann streiten sie sich. Oder Mutter irrt sich. Vater schreit auch schnell herum. Wenn jemand etwas falsch macht. Oder sich nicht ordentlich benimmt. Oder er lacht ganz laut, obwohl keiner lacht. Er weiß halt immer Bescheid. Er muss auch immerzu Mutter irgendetwas erklären. Das Radio zum Beispiel. Vater hat es Mutter schon zig-mal erklärt, aber jedes Mal neu weiß Mutter nicht, wie man es anmacht. Meistens macht es ein Anderer an. Und wenn niemand da ist, der es für Mutter anmachen kann, stöhnt und klagt sie, weil sie ja nicht weiß, wie man das Radio anmacht. Dann muss Vater ihr wieder erklären, was er ihr so oft schon gezeigt hat. Mutter ist aber auch zu dumm. So bestimmt halt immer Vater, was in der Familie passiert.

      Während Vater redet, angelt sich Elli seine Scheibe Salami von der Stulle. „Wirst du wohl! Das ist meine Scheibe Salami!“ Vater ist nicht auszutricksen. Er bemerkt einfach alles. Vater schnaubt wütend. Aber einen Moment später lächelt er besänftigt. Elli hat ihren Arm um seinen Hals gelegt, schmiegt ihren Mund an seine Halsbeuge und murmelt: „Darf ich nicht doch deine Salami? Ich möchte so gerne noch eine haben.“ Vater ist weich geklopft. „Na, gut. Aber nur eine. Schau mal, jetzt muss ich das halbe Brot nur mit Butter essen.“ Elli schiebt sich schnell die Scheibe in den Mund. „Das finde ich ja gemein!“ Die mittlere Schwester ist entrüstet. „Wir dürfen alle nur zwei Scheiben Salami haben.“, pflichtet der Bruder bei. „Also wirklich, Vati. Du kannst ihr nicht immer den Willen geben!“ Mutter schaut ärgerlich auf Elli. Elli schmiegt sich dankbar an Vater. Er küsst sie, lacht und bleibt eine Antwort schuldig.

      Später, nach dem Abendessen, ist Elli noch nicht müde. Eigentlich muss sie zu Bett gehen. Schnell, als niemand es sieht, läuft sie zu Vater ins Arbeitszimmer. Huhh, da steht ja Mutter. Sie redet mit Vater über irgendeine Sache der Erwachsenen. Als Elli ins Zimmer tritt, löst sich Mutter vom Schreibtisch. „Der Vati muss jetzt arbeiten. Du kannst ihn jetzt nicht stören. Geh in dein Bett, Elli.“ „Ooch.“ Elli protestiert. „Ich will ja nur noch mal kurz mit ihm schmusen.“ „Vati hat jetzt aber keine Zeit. Immer hältst du ihn von der Arbeit ab.“ Mutter fasst Elli bei der Hand und will sie aus dem Zimmer nehmen. Elli stemmt sich gegen den Türrahmen und beginnt zu plärren. „Ich will aber hier bleiben. Ich störe Vati gar nicht. Außerdem hat er es gern, wenn ich bei ihm bin.“ Mutter lässt Ellis Hand los. Vater zieht Elli herüber zu sich und setzt sie sich auf den Schoß. „Ein Weilchen kannst du ja hier bleiben. Aber dann musst du ins Bett gehen, einverstanden?“ Mutter schließt schweigend die Tür.

      Beth. fünf.

      Inzwischen waren zwei Jahre vergangen. Beth hatte sich einen Absolventenjob in Karls Heimat vermitteln lassen. Sie waren in eine größere Wohnung gezogen. Beth gebar ihr zweites Kind. Sie pflegte es ein Jahr lang, dann endlich wollte sie all dieses jahrelang gesammelte Wissen anwenden und Arbeiten gehen.

      Mit Beths Umzug in die gemeinsame Wohnung war auch der Streit zwischen ihnen eingezogen. Die wenigen Freunde, Karls Freunde, mochte Beth nicht. Sie selber hatte gar keine. Nach den Abschieden aus dem Ort der Kindheit oder vom Studienort war ihr keine ihrer Freundschaften wichtig genug geworden, um Kontakt zu halten. Beth gerieten halt alle Menschen ihres Alltags schnell in Vergessenheit.

      Karl hatte das Sagen. Er bestimmte die Anschaffungen, suchte die Möbel aus. Haushalt und Kinder waren Beths Feld. Karl war für Garten und Keller zuständig. Er baute Betten für die Kinder, Regale für die Wand. Er befand, ob das Essen schmeckte, die Wohnung ordentlich aufgeräumt sei und ob die Kleidung, die Beth trug, ihr stand.

      Sie stritten um den gemeinsamen Haushalt. Sie stritten, ob und wie sie ihre Freizeit miteinander verbrachten, stritten, welche Arbeit zu erledigen sei. Sie stritten um Kindererziehung, wegen ihrer Verwandten, stritten, wer mit welcher Meinung Recht hatte.

      Beth stritt gegen Karl. Mehrmals die Woche führte sein erster Weg nach Feierabend in die Kneipe. Erst abends, wenn die Kinder fertig zum Schlafengehen waren, kam er. Fröhlich beschwipst zog er Beth an sich, küsste sie feucht und griff ihr an den Leib.

      Wenn Karl mit Beth schlafen wollte, drängte er so lange auf sie ein, bis sie nachgab. Dennoch war sie selbstbewusster geworden. Seine Erfahrenheit machte sie nicht mehr verlegen. Sie war jetzt die Mutter seiner Kinder. Das wog seine Frauengeschichten auf. Sie hatte gelernt, sich ihren Teil der Lust selbst zu verschaffen. Sie versuchte, seine körperliche Heftigkeit an ihre Bedürfnisse nach behutsamer Berührung anzugleichen. Sie verzichtete auf ihr Bedürfnis nach sexueller Entspannung, hob sich quasi ihre Lust auf für das nächste