Cristina Fabry

Kirche halb und halb


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was sie brauchen, hatte sie schon in der Pubertät aufgegeben. Schon blöd, dass alle ohne Mund-Nasen-Schutz gingen, keine Abstände einhielten und aus voller Kehle sangen. Vater hatte bereits angemerkt, dass man nicht so sorglos sein könne. Aber sich über Monate entziehen? Das sei auch keine Lösung.

      Regina seufzte, strich sanft über den noch flachen Bauch und fasste einen Entschluss: Sie würde sich mit einer Maske schützen und auf Abstand ganz hinten sitzen. Das war sie ihrem Kind schuldig. Das würden alle verstehen.

      Er hatte sich gerade mit Gockel getroffen. Der war auch schon voll auf Schaum. Letzten Monat war Gockels Vater gestorben, elend verreckt, erstickt an Covid 19. Gockels Vater hatte neben den Betbrüdern in der Wurstfabrik geschuftet. Die hatten das eingeschleppt. Er hatte nicht den Hauch einer Chance gehabt. Und Maik war jetzt auch bereit, endlich zu handeln. Er wollte sich mal wieder unbehelligt mit seinen Kumpels im Park treffen und nicht heimlich, mit gedrosselter Alk-Zufuhr, damit man nicht die Aufmerksamkeit der falschen Leute auf sich zog. Könnte alles viel unbeschwerter sein, wenn nur dieses Scheiß Christenpack von den Freikirchen nicht dauernd die Zahlen nach oben treiben würde. Die waren schlimmer als die Taliban und der IS zusammen.

      Als die Lunte gelegt und die Fluchtwege verbarrikadiert waren, zögerte Maik noch einen Augenblick. Der innere Zwerg der Empathie wollte ihn zurückhalten. Man konnte doch nicht einfach Menschen verbrennen. Die waren doch sicher nicht allesamt gefährliche Idioten. Maik schlug den Zwerg zu Brei. Er hatte sich entschieden. Sein Sturmfeuerzeug setzte die Kettenreaktion in Gang.

      Regina wurde auf einmal sehr warm. Es war so stickig in der Kirche. Oder lag das an der Maske? Aber die trug sie beim Einkaufen doch auch und hatte sich längst daran gewöhnt. Dann roch sie es.

      „Feuer!“, schrie sie. Erst hörte sie ein Gemurmel, dann aufgeregtes Rufen, dann Schreie der Todesangst. Alle rasten auf die Ausgänge zu, rannten sich gegenseitig über den Haufen, suchten nach Rettung. Sie musste ihr Kind schützen und mit dem letzten funktionierenden Rest ihres Verstandes suchte sie ihren Ausweg dort, wo niemand sonst es probierte: das kleine Fenster im Toilettenraum. Sie konnte kaum noch atmen. Der Rauch war undurchdringlich. Sie hatte es bis zum Griff geschafft, aber das Fenster ließ sich nicht öffnen. Irgendetwas blockierte den Mechanismus. Mit letzter Kraft griff sie nach einem Gegenstand, einem metallenen Schwingdeckel-Mülleimer. Sie schlug damit so lange verzweifelt gegen die Scheibe bis sie krachend zerbrach. Ein Windstoß fuhr hinein. Ein Moment der Erleichterung breitete sich in ihr aus, aber der dauerte nicht lange. Das Feuer bekam durch das geöffnete Fenster nur neue Nahrung. Ein letztes Mal öffnete Regina den Mund zu einem Schrei, dann sank sie entseelt auf die Kacheln.

      Als Maik die Schreie hörte, bäumte der innere Zwerg der Empathie sich ein letztes Mal auf und merkte an, dass sich das irgendwie falsch anfühlte. Maik ertränkte den Zwerg endgültig mit einem kräftigen Schluck Wodka. Gnade war etwas für Mittelmäßige. Er hatte seinen Platz gefunden.

      Maskuzid

      Als Corona zu Ende war

      und zumindest dies Virus besiegt,

      bürstete sie ihr goldblondes Haar,

      machte sich fein für ne Nacht an der Bar

      voll Zuversicht und außerdem schwer verliebt.

      Sie wartete lange, mit Engelsgeduld,

      trank erst Prosecco, dann Cocktails, dann Schnaps,

      gab der Dummheit des Liebsten die Schuld,

      war auch vom Schnaps schon ganz eingelullt

      und hielt Ausschau nach adäquatem Ersatz.

      Sie saß auf dem Hocker wie ein Bäumchen im Wind,

      ein trauriges Bild, kein Mann sah sie an.

      Unsichtbar ihr Liebreiz, schändlich verschmäht.

      Für Make-up-Korrekturen war es auch längst zu spät.

      Sie wurd‘ offensiv, doch kein Mann ließ sie ran.

      „Warum bleiben sogar die mit Mittelmaß hart?

      Haben die nur Augen für Fotoshop-Puppen?

      Wofür habe ich mich zwei Jahre aufgespart?

      Erduldet gebetet, gehofft und geharrt?“

      Sie kaufte sich wütend ne Packung voll Fluppen.

      Doch der Ansatz war falsch, das merkte sie gleich.

      Die tötet sich selbst, die zu viel pafft.

      Bisher war sie viel zu sanft, viel zu weich,

      so ein Blindgänger taugte am besten als Leich‘

      Zurückweisung blieb nicht mehr ungestraft.

      Von nun an sprach täglich sie Männer an.

      Das Küchenmesser aus Edelstahl

      versteckt unterm Mantel, und biss er nicht an,

      wurde gar frech und ranzte sie an,

      so traf die Klinge ihn abdominal.

      Sie schaffte ein Dutzend, dann wurd‘ sie gefasst

      Der Richter Erbarmungslos sprach seinen Bann:

      „Eine Frau, die derartig Männer hasst,

      gehört jawohl lebenslang in den Knast;

      und es braucht ein Gesetz zum Schutz für den Mann.“

      Nazarener

      Es war ein mulmiges Gefühl, mit dem sie die Kirche heute betrat. Zum ersten Mal wieder ein richtiger Präsenz-Gottesdienst. Zum ersten Mal nach dem Tag. Nicht dem Tag, an dem die Sonne am Himmel steht, nein nach dem Tag, dem unverwechselbaren Zeichen eines Graffity-Künstlers – oder Graffity-Dilettanten oder Dilettantin. Nur dies war ja eigentlich kein Tag gewesen sondern ein Symbol der Vogelfreiheit. Hier sind Nazarener, Juden oder Christen, kann man abschlachten.

      Niemand vermutete einen drohenden Anschlag. Viel zu ungenau und hastig hingemalt das Zeichen. Da hatte ein Teenager, der mal so richtig provozieren wollte, die Hosen voll. Einer der irgendwo etwas aufgeschnappt hatte und auch mal einer von den ganz bösen Jungs sein wollte. Denn vor den bösen Jungs hatten alle Angst. Die bösen Jungs wurden weder übersehen noch ausgelacht, auch nicht verbal oder mit Fäusten zusammengefaltet. Die Bösen Jungs waren die, die zusammenfalteten, über alles hinweg gingen und am Ende am lautesten lachten. Eigentlich war die neonfarbene Schmiererei nichts als ein Aufschrei der Ohnmacht. Aber das schlechte Gefühl blieb.

      Es kribbelte im Nacken. Lag das am lang vermissten Hallelujah? Sie konnte den Gedanken nicht mehr zu Ende denken. Plötzlich war alles auf einmal: laut, hell, heiß, drückend, reißend und dann nichts mehr.

      Kerim zuckte zusammen. Es piepte in seinen Ohren, alle Geräusche außerhalb seines Kopfes nahm er wie durch Watte wahr. Ein rauchender Trümmerhaufen, da wo er mehrere Sommer abends auf den Stufen gesessen und mit seinen Kumpels schachtelweise Kippen weggeraucht hatte. Wo er vor ein paar Wochen, etwas an die Wand gemalt hatte. Nur so zum Spaß. Weil die ihn nervten, die komischen Leute da, die immer so nett taten, ihn aber in Wirklichkeit nirgends dabei haben wollten. So etwas spürte man.

      Kerim aber, hätte lieber dazu gehört, statt sie jetzt brennen zu sehen. Er hatte nichts getan. Nur ein bisschen gesprüht. Er hatte es nicht so gemeint. Hatte nur die Bilder genossen, die er mit seiner Tat in seinem Kopf heraufbeschworen hatte. Furchtsam aufgerissene Augen in den selbstzufriedenen Gesichtern. Unsicherheit bei den Satten und Etablierten.

      Mit der Gastfreundschaft war das so eine Sache. Er hatte sie verraten, seine Gastgeber an ihre Schlächter verraten, die Gastfreundschaft selbst verraten, ihr Blut klebte jetzt an seinen Händen.

      Christizismus