Cristina Fabry

Kirche halb und halb


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Annegret rümpfte die Nase. „Evangelikalen-Mafia. Hört sich an wie Anarcho-Diktatur oder Burn-out-Entspannung.“

      „Ach ja?“, erwiderte Henning gereizt. „Und wie kommt es dann, dass weder das Gesundheitsamt noch die Polizei intervenieren, wenn die sich mit über hundert Leuten ohne Abstand und Maske zum Sing-Gottesdienst treffen?“

      „Die Polizei hat genug andere Probleme und das Gesundheitsamt ist auch total überfordert. Genehmigt ist genehmigt. Die schaffen das nicht.“

      „Die laufen in jedem städtischen und volkskirchlichen Jugendzentrum auf und gucken nach, ob die Arbeitsflächen auch sauber sind und ob da Küchenpapier rumsteht. Auf jedem kleinen Weihnachtsmarkt wurde kontrolliert, ob am Waffelstand auch warmes Wasser zum Händewaschen zur Verfügung steht. Aber wenn die Mennoniten oder Baptisten ihre Jesus-Partys im Bethaus veranstalten, halten alle die Füße still. Da stimmt doch was nicht.“

      „Ist wegen Religionsfreiheit.“, erklärte Annegret schulterzuckend.

      „Mit Religionsfreiheit ist aber eigentlich was Anderes gemeint. Auf jeden Fall steht die Religion nicht über staatlichen Gesetzen.“

      „Meine Fresse!“ Annegret atmete tief durch. „Jetzt reg dich mal ab.“

      „Einen Teufel werde ich tun!“, empörte Henning sich weiter. „Als ich vor zwei Jahren einen Bauantrag gestellt habe für ein Mehrfamilienhaus mit Wohneinheiten in unterschiedlichen Preissegmenten, Single- und Familien-Wohnungen, tolles Konzept, super Architekt, da wurde der Antrag ratz fatz abgelehnt. Jetzt wurde da plötzlich gerade eben ein Klotz hochgezogen, der nur eine Zielgruppe anspricht und der außerdem verboten hässlich aussieht und sich optisch absolut gar nicht in die Umgebung einfügt. Rate mal, wer der Bauherr ist.“

      „Dann hat eben mal einer Vitamin B beim Bauamt. So was kommt vor.“, erklärte Annegret lapidar.

      „Ja, aber die sitzen überall, halten zusammen wie Pech und Schwefel und schustern sich gegenseitig die Vorteile zu. Und keiner macht was dagegen, nur weil die keine SUVs fahren und sich nicht auf Menschenhandel verlegen.“

      „Nee, die haben ja so schon genug Kinder zur Verfügung.“

      Für einen Moment schien Henning die Sprache verloren zu haben, dann sagte er betont langsam: „Das ist jetzt aber böse.“

      „Das ist jetzt aber auch nicht unwahrscheinlich.“, erwiderte Annegret.

      „Die machen doch nicht in Kinderpornographie.“

      „Nee, eher altmodisch. Analog statt digital.“

      „Ja, kann sein, aber darum geht es nicht.“

      „Worum geht es dann?“ hakte Annegret nach

      „Die sind gefährlich.“ erklärte Henning. „Die haben einen Plan.“

      „Meinst du so was wie evangelischen Dschihad?“

      „Ja. Vielleicht nicht mit Bomben und Schusswaffen. Perfider. Durch Infiltration. So in dem Stil wie in Polen. Den Staat immer ein bisschen weiter nach rechts rücken. Bis sich niemand mehr traut, gegen die Religionsdiktatur aufzumucken.“

      „Gut, das wäre denkbar. Gibt ja etliche Religionsfaschisten in deren Kreisen. Sieht man ja in den USA, wozu das führen kann.“

      Elisa hatte alles mit angehört. Jedes einzelne Wort. Die beiden hatten nicht bedacht, dass die Wand zwischen dem Pausenraum und dem Lager dünn wie Papier war. Elisa notierte ihre Namen und noch ein paar Einzelheiten. Peter würde alles dokumentieren. Für später.

      Verkürzt

      Hätte sie das Ende abgewartet, hätte sie ihn nicht umgebracht.

      Sie dachte an Fabiola. Fabiola war die erste, an die sie dachte, wenn sie morgens aufwachte und die letzte, wenn sie abends einschlief. Auch den ganzen Tag über dachte sie an sie. Fabiola lebte nicht mehr. Leukämie. Sie war gerade mal acht Jahre alt geworden. Zwei davon hatte sie erfolglos gegen den Tod angekämpft. Ein Viertel ihrer viel zu kurzen Lebenszeit.

      „Jaja, kenn‘ ich schon, kenn‘ ich schon.“, stöhnte sie genervt. Nur noch ungern ließ sie sich aus ihrer Gedankenwelt reißen.

      „Nee, warte mal.“, protestierte Patrick. „Die Liste der Gehaltsempfänger ist lang. Du glaubst gar nicht, wer alles daran verdient hat.“

      Patrick las sämtliche Namen und vermeintlichen Zuwendungsmotive vor. Manche waren allzu durchschaubar. Unfassbar, wen die AKW-Betreiber alles gefügig gemacht hatten. Man fragte sich allmählich, ob es überhaupt noch jemanden gab, der nicht käuflich war.

      Als er fertig gelesen hatte, wusste sie, was zu tun war. Sie begann, sich darauf vorzubereiten. Das würde Fabiola nicht wieder lebendig machen, aber sie hätte dann vielleicht ihren Seelenfrieden. Und für die Zukunft würde es das Sterben so manchen Kindes wirksam verhindern.

      Drei Tage später wedelte Patrick mit einem USB-Stick. „Schmeiß mal deinen Laptop an, ich muss dir etwas Unglaubliches zeigen.“

      Eigentlich war sie schon auf dem Sprung. Der selbst gebastelte Sprengsatz lag einsatzbereit in ihrer Handtasche. Volker Beresin würde noch heute sein Leben aushauchen. Aber ein paar Minuten mehr konnte sie ihm ja gönnen.

      „Um Gottes Willen, wie lange dauert der Beitrag denn noch?“, stöhnte sie. „Das ist ja schlimmer als bei einem alten französischen Spielfilm, alle fünf Minuten ein Schnitt und ansonsten ne Kameraeinstellung wie beim Standbild. Passieren tut auch nix.“

      „Schon mal den Zauberberg gelesen, von Thomas Mann?“, fragte Patrick amüsiert.

      „Wozu?“, fragte sie angriffslustig. „Ich habe eine gute Zusammenfassung gelesen, jetzt weiß ich alles Wesentliche, was drin steht: Einer kommt wegen Lunge ins Sanatorium, sein Vetter kommt ihn besuchen, bleibt da und wird auch lungenkrank. Der erste Vetter stirbt, der zweite ist nach sieben Jahren geheilt und nebenbei geht es um Weltpolitik und speziell um die politische Lage in Europa kurz vor dem 1. Weltkrieg. - Und jetzt heb‘ die Pausenfunktion auf, ich habe nicht ewig Zeit.“

      „Dann musst du aber auch zuhören!“, insistierte Patrick und ließ den Beitrag weiterlaufen.

      „Besonders interessant ist hier die die Rolle von Volker Beresin, der als Journalist auf der Gehaltsliste der PERPETUUM stand...“ hörte man die Stimme der Moderatorin.

      „Weiß ich doch.“, zischte sie und stürmte aus dem Haus.

      Nichts sollte sie aufhalten. Sie fuhr so schnell es erlaubt war zu der ermittelten Adresse. Bloß nicht wegen überhöhter Geschwindigkeit in eine Polizeikontrolle geraten. Die würden womöglich den Sprengsatz entdecken und ihr Vorhaben vereiteln.

      Sie parkte zwei Häuser weiter. Beresin wohnte in einem schicken Neubau, viel Holz, viel Glas. Saß gerade am Küchentisch, vor sich eine Tasse und einen Teller. Zweites Frühstück, vermutete sie. Letztes Frühstück, entschied sie. Vielleicht war die moderne Verglasung bombensicher. Aber das würde ihm nicht helfen. Sie deponierte den Sprengsatz vor der Haustür und legte die altmodische Lunte. Sie klingelte, ging auf Abstand und zündete. Er öffnete die Tür und im gleichen Augenblick ging der Sprengsatz hoch. Perfektes Timing. Da war noch ein Schatten gewesen neben Volker Beresin. War ihm bis zur Hüfte gegangen. Wohl ein Köter.

      Zufrieden fuhr sie nach Hause. Das war erst der Anfang gewesen. Jetzt würde sie Patrick den Gefallen tun und sich den Beitrag auf dem Stick zu Ende ansehen.

      „... Volker Beresin, der als Journalist auf der Gehaltsliste der PERPETUUM stand, war von seinem Arbeitgeber dort als verdeckter Ermittler eingesetzt worden. Das Bestechungsgeld floss in einen Fond für die Behandlung der im Zusammenhang mit dem AKW erkrankten Personen. Durch seinen mutigen Einsatz konnte er sämtliche Kontakte offenlegen und hat so dafür gesorgt, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können...“

      Sie