Cristina Fabry

Kirche halb und halb


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nicht ertragen konnte. Danach funktionierte sie einfach. Wäsche waschen, Arbeitsauftrag beenden, Lasagne in den Ofen schieben.

      Gegen halb acht schaltete sie das Lokalfernsehen ein. Mehr aus Gewohnheit, denn um zu sehen, was über ihre Tat berichtet wurde.

      „… Atomkraftgegner vermuten, dass Volker Beresin und seine dreijährige Tochter Opfer von Drahtziehern hinter dem PERPETUUM-Konzern wurden. Die Polizei ermittelt in sämtliche Richtungen.“

      Detox

      Es waren seit jeher die schönen Dinge, die sie liebte. Das Gefühl von fließender Seide auf frisch geduschter und duftend einbalsamierter Haut. Exklusiver Darjeeling aus hauchzarten Porzellantassen. Vollendete Blüten in dezenten, wohlproportionierten Vasen.

      Er dagegen war eher ein Naturbursche. Liebte auch die Schönheit des Waldes, Vogelgesang, Sonnenaufgänge, Schwimmen in stillen Seen – aber für das Zarte und Zerbrechliche in geschlossenen Räumen fehlte ihm jedes Gespür. Nicht nur, dass er filigranes Porzellan achtlos zerbrach, empfindliche Stoffe falsch wusch und Bilder an der Wand ignorierte. Es war ihm noch nicht einmal peinlich. Für ihn besaß das alles keinen Wert.

      Sie passten nicht zusammen. Sie wusste das und war dennoch an ihm zerbrochen. Sie war ihm immer aus dem Weg gegangen, weil sie von Anfang an ahnte, dass es so käme, wenn sie ihn an sich heran ließe.

      Aber er hatte sich ihr wiederholt entgegengestellt, sie herausgefordert, ihre Aufmerksamkeit eingefordert und sie hatte ihn nicht zurückgestoßen. Wie hätte sie das auch tun können, so strahlend und eindrucksvoll wie er war?

      Irgendwann war der Punkt erreicht. Der Point of no return. Sie hatte ihn in ihr Herz gelassen und damit die Kettenreaktion ausgelöst, die sie immer vermeiden wollte. Eine sehr kleine Zeit war sie hocherfreut über diese Entwicklung. Voller Zuversicht, Ideen, Tatendrang und Lebensfreude.

      Als er ahnte, was er ausgelöst hatte, zog er die Bremse. Das war deutlich zu spüren, doch sie war schon zu weit gegangen, konnte nicht zurück, konnte nicht aufhören mit dem Hoffen und Sehnen – und jedes Mal zerbrach etwas in ihr. Am Ende fühlte sie sich ganz leer, beinahe ausgelöscht. Was blieb, war nur der Schmerz, der in sämtlichen Gliedern steckte.

      Sie würde sich auflösen, langsam dahinsterben, etwas Anderes blieb ihr nicht übrig. Sie suchte nach der Wut, aber die Wut hatte sich auch aus dem Staub gemacht. Sie nützte ja auch nichts, brachte nur eine kurze Zeit Erleichterung, ein Hochgefühl des Wiedererstarkens, aber dann, wenn sie sah, dass sie trotzdem verloren hatte, war die Leere danach noch schlimmer, der Schmerz noch lähmender.

      Mit letzter Kraft schleppte sie sich zur Arbeit. Sie würde einfach weiter funktionieren, bis sie umfiel oder eines Morgens nicht mehr aufwachte.

      Und dann kam Susanne. Susanne die sich mit ihrem anlasslosen Selbstbewusstsein gern als Überlegene ausgab, obwohl sie kaum etwas vorzuweisen hatte. Die ihr immer Steine in den Weg gelegt hatte, ihre Pläne durchkreuzt, intrigant hintertrieben hatte, einfach aus Bosheit, weil sie ihr den Erfolg nicht gönnte. Susanne war seine älteste Freundin. Sie hatte er an sich herangelassen. Sie schätzte er und hielt unbeirrbar an der Verbindung fest. Susanne hatte ihn vergiftet. Nein, nicht mit Elixieren aus einer Phiole, auch nicht mit Magie oder Zaubersprüchen – aber sie hatte ihn geprägt, bearbeitet, nicht aus den Fingern gelassen, war verantwortlich für all die Blockaden, die dafür sorgten, dass er kaum einen Menschen wirklich an sich heran ließ.

      Sie musste ihn von diesem Gift befreien, damit er wieder er selbst werden konnte. Susanne grinste breit. Hatte wieder einmal erfolgreich, etwas verhindert, was ihr viel bedeutet hätte. Damit war jetzt Schluss! Endlich kam die Wut zurück. Und mit der Wut die Kraft und die Zuversicht.

      Als Susanne mit eingedrückter Hirnschale vor ihr lag, ausgeblutet und erstarrt, war die Wut verraucht. Und sie wusste wieder, dass sie nicht gewinnen konnte. Nein, jetzt hatte sie endgültig verloren.

      Lyrischer Happen für den kleinen Hunger zwischendurch

      LIEBELEI

      Es ging der Halter Karsten Ströter

      Gassi mit seinem Straßenköter

      Von Weitem sah er Lieses Wonnen

      sich schlüpfrig auf der Wiese sonnen.

      Er wollte ihren Pöter kosten,

      schickte den Köter auf den Posten.

      Der Hund hingegen hatte Pläne:

      tote Katzen, platte Hähne.

      Und der Hund, der alte Schlappen

      trug in seinem Schlund ‘nen Happen.

      Trat mit der Tatze in den Kot

      und machte dann die Katze tot.

      Der Köter spürte Lieses Zorn,

      den Ströter nahm sie auch aufs Korn.

      So starb er selbst an Ströters Tic

      und nahm sich eines Töters Strick.

      Drum Obacht, wer der Liebe traut,

      oft sind ja nur die Triebe laut.

      Der Recke war nichts für die Liese,

      wieder nur ein Leckeriese.

      Ohne Männer lief es doch.

      Die Liese grub ein tiefes Loch.

      Dann warf sie einen Batzen Kalk

      auf den toten Katzenbalg.

      Abstinenz

      „Warum hast du das gemacht?“, fragte ich Lilly.

      Sie zuckte mit den Schultern. Wie blöd war ich eigentlich? Das war doch eine von den nutzlosen Fragen, auf die verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche nie eine Antwort hatten.

      „Hat Alex dir etwas getan oder oder dich bedroht?“

      „So ähnlich.“

      „Kannst du mir das erklären?“

      „Alex wusste was.“

      „Etwas, das ein Geheimnis bleiben sollte?“

      „Genau.“

      „Was wäre denn so schlimm daran, wenn Alex dein Geheimnis ausgeplaudert hätte?“

      „Kann ich nicht sagen.“

      „Ich sag‘s keinem weiter.“

      „Aber musst du doch. Sonst schmeißen die dich doch raus.“

      „Scheiß der Hund drauf. Ich tu so als wenn ich‘s nicht weiß. Wenn du mal irgendwann behauptest, du hättest es mir erzählt, sage ich einfach, dass du dir das ausgedacht hast.“

      „Okay.“

      „Also?“

      „Es ist wegen mir und Jakob.“

      „Ihr seid zusammen?“

      „Ja.“

      „Und?“

      „Jakob leitet doch die Theatergruppe. Und ich spiele nur mit.“

      „Stimmt.“

      „Und er ist ja achtzehn und ich noch nicht. Ist also verboten.“

      „Laut Kirchengesetz.“

      „Ja, genau.“

      „Aber deswegen ist es ja keine Straftat. Die Kirche kann euch nicht verbieten, zusammen zu sein. Im schlimmsten Fall müsste Jakob als Mitarbeiter aufhören oder du müsstest die Gruppe verlassen.“

      „Aber