Eberhard Weidner

TODESSPIEL


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Antonia?«

      »Am Nachmittag rief mich Daniel – das ist ein Kommilitone – an und sagte, dass ein paar Studienkolleginnen und -kollegen zu ihm kommen. Er fragte, ob ich auch vorbeikommen wolle.«

      »Was studieren Sie denn?«

      »Medizin.«

      »Können Sie sich Antonia als Ärztin vorstellen?«, fragte Kati. Ihr Tonfall und ihr skeptischer Gesichtsausdruck machten deutlich, dass zumindest sie mit dieser Vorstellung ihre Schwierigkeiten hatte. »Sie ist dann vermutlich die kleinste Ärztin der Welt.«

      »Besser klein und auf das Beste reduziert als so ein langer Lulatsch wie du«, sagte Antonia, meinte es aber allem Anschein nach nicht böse, denn sie grinste dabei. »Und stell dir vor, ich würde wie du Gymnasiallehrerin für Mathe und Physik werden. Die meisten Schüler wären größer als ich und könnten mir auf den Kopf spucken. Dann schon lieber die kleinste Ärztin der Welt.«

      Kati lachte. Anscheinend neckten sich die beiden Mitbewohnerinnen gern mit ihrer jeweiligen Körpergröße, die nur eins der auffälligsten Merkmale war, die sie voneinander unterschieden.

      »Wann kamen Sie dann an Sonntag nach Hause?«, fragte Anja die Medizinstudentin.

      »Ich glaube, das war um kurz nach zehn«, sagte Antonia und sah Kati hilfesuchend an.

      Diese nickte. »Ja, das kommt ungefähr hin.«

      »Ich dachte natürlich, Zoe wäre schon längst da«, sagte Antonia, »Aber das war sie nicht.«

      »Um noch einmal auf das Telefonat zurückzukommen, Kati. Worüber sprachen Sie noch mit Zoe?«

      Kati dachte ein paar Sekunden nach. »Ich sagte ihr, sie könne sich ruhig Zeit lassen und solle vorsichtig fahren. Sie fuhr nicht gern Auto, wenn es dunkel war. Aber das sagte ich ja schon. Außerdem hatte ich im Radio gehört, dass es noch regnen sollte. Das teilte ich Zoe mit. Sie war natürlich alles andere als begeistert und meinte, dass ihr das zu ihrem Glück noch fehlen würde.«

      Antonia sagte: »Ich hab zwar im Gegensatz zu Zoe kein Problem damit, nachts Auto zu fahren. Aber wenn es dann auch noch wie aus Eimern schüttet, mag ich das auch nicht.«

      »Wissen Sie zufällig, welche Strecke Zoe gefahren ist?«, fragte Anja. »Ich vermute mal, über die A 9, denn das ist die schnellste und kürzeste Verbindung zwischen Nürnberg und München.«

      Beide Studentinnen schüttelten synchron die Köpfe.

      »Zoe fuhr nicht nur nachts ungern«, sagte Antonia. »Sie hatte auch noch panische Angst vor Autobahnen. Wenn sie irgendwo mitfuhr, ging es gerade noch, obwohl sie auch da ständig Angst hatte. Aber sie selbst fuhr unter keinen Umständen auf der Autobahn.«

      »Dann muss sie die Bundesstraße genommen haben«, sagte Anja, während sie sich Notizen machte. »Kennen Sie zufälligerweise die genaue Strecke.«

      Kati schüttelte den Kopf. »Zoes Vater müsste darüber Bescheid wissen. Haben Sie schon mit den Eltern gesprochen?«

      »Nein. Das steht allerdings als Nächstes auf dem Programm. Bei der Gelegenheit werde ich Zoes Vater nach der Strecke fragen. Zurück zu Ihrem Telefonat mit Zoe. Worüber haben Sie noch mit ihr gesprochen.«

      Kati zuckte mit den Schultern. »Das war’s eigentlich schon, denn Zoe wollte endlich losfahren. Wir beendeten das Gespräch, und seitdem haben wir nichts mehr von ihr gehört.«

      »Und danach hatten Sie beide keinerlei Kontakt mehr zu ihr?«

      Kati nickte.

      »Ich hab Zoe und Kati eine WhatsApp-Nachricht geschickt, um ihnen mitzuteilen, dass ich in einer Stunde nach Hause kommen würde«, sagte Antonia. »Aber Zoe hat nicht geantwortet.«

      »Um welche Uhrzeit war das?«

      »Um neun. Das weiß ich noch ganz genau. Später hab ich dann gesehen, dass Zoe die Nachricht gelesen hat.«

      »Was haben Sie beide getan, nachdem Antonia nach Hause gekommen war?«

      »Wir haben auf Zoe gewartet«, sagte Antonia nach einem Seitenblick auf ihre Mitbewohnerin.

      »Aber sie kam nicht,« ergänzte Kati und bekam erneut feuchte Augen. »Und da begannen wir uns allmählich Sorgen zu machen.«

      »Ich dachte, Sie machen sich keine Sorgen«, sagte Anja zu Antonia.

      Die Angesprochene schüttelte den Kopf. »Ich sagte, dass ich mir keine allzu großen Sorgen um sie mache«, stellte sie richtig. »Aber ein bisschen schon. Vor allem am Sonntag. Schließlich hätte sie ja auch einen Unfall haben können.«

      »Aber jetzt glauben Sie anscheinend nicht mehr daran, dass ein Unfall passiert ist.«

      »In dem Fall hätte uns doch schon längst jemand informiert. Immerhin saß Zoe in ihrem Wagen, der auf sie zugelassen ist, und hatte wie immer ihre Papiere dabei.«

      Anja nickte. Einen Verkehrsunfall hielt sie ebenfalls für ein eher unwahrscheinliches Szenario. Denn erstens hatte Antonia recht, dass in dem Fall die Angehörigen oder die Mitbewohnerinnen längst benachrichtigt worden wären. Und zweitens hatte sie, nachdem ihr der Vermisstenfall heute früh zugewiesen worden war, umgehend alle Unfallkliniken zwischen hier und Nürnberg kontaktiert. Doch eine Person, auf die Zoes Beschreibung passte, war nirgendwo eingeliefert worden.

      Das teilte sie jetzt auch den beiden jungen Frauen mit.

      »Ich habˈs ja gleich gesagt«, meinte Antonia und warf ihrer Mitbewohnerin einen triumphierenden Blick zu.

      »Das beruhigt mich zwar ein bisschen«, sagte Kati. »Es stellt sich aber immer noch die Frage, was dann mit Zoe geschehen und warum sie noch immer nicht aufgetaucht ist.«

      »Vielleicht hat sie einen rattenscharfen Anhalter aufgelesen und sich mit ihm ein Hotelzimmer genommen«, vermutete Antonia. »Dann hätte sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können. Erstens hätte sie nicht bei Dunkelheit und Regen weiterfahren müssen. Und zweitens hätte sie auch noch jede Menge Spaß gehabt.«

      »Das glaubst du doch wohl selbst nicht.« Kati schüttelte ungläubig den Kopf. »Schließlich reden wir hier von Zoe. Wenn du verschwunden wärst, wäre das eine ganz andere Geschichte. Dann wäre so ein Szenario durchaus denkbar. Aber doch nicht Zoe!«

      »Stimmt«, sagte Antonia. »So etwas würde die heilige Zoe nie im Leben tun.«

      »Außerdem war das vorgestern Nacht«, gab Kati zu bedenken. »Selbst wenn sie irgendwo geparkt und im Auto geschlafen oder sich über Nacht irgendwo ein Zimmer genommen hätte, um nicht weiterfahren zu müssen, hätte sie spätestens gestern Vormittag heimkommen müssen. Deshalb muss ihr irgendetwas zugestoßen sein. Nur was?« Sie sah Anja an, als hätte diese als Ermittlerin der Vermisstenstelle eine Antwort auf ihre Frage.

      Doch Anja konnte ihr keine Antwort geben, sondern allenfalls Vermutungen äußern. Doch noch wusste sie zu wenig über Zoe Bergmann und die Umstände ihres Verschwindens. Ihre Vermutungen wären daher nicht mehr als reine Spekulation. Deshalb gab sie der Studentin keine Antwort.

      Antonia sah nun ebenfalls so aus, als würde sie sich langsam doch größere Sorgen um ihre Mitbewohnerin machen.

      »Sie müssen Zoe finden!«, sagte sie ungewohnt ernsthaft.

      »Genau das habe ich vor«, sagte Anja, »Aber um herauszufinden, was geschehen ist und wo Zoe steckt, muss ich alles erfahren, was Sie mir über Ihre Mitbewohnerin erzählen können.«

      »Was wollen Sie noch wissen?«, fragte Kati.

      »Sie sagten, dass Sie sich am Sonntag in der Nacht immer größere Sorgen um Zoe machten.«

      Kati nickte. »Wir haben immer wieder versucht, sie auf ihrem Handy anzurufen, aber sie ging nicht ran.«

      »Außerdem schickte ich ihr mehrere Nachrichten«, ergänzte Antonia. »Die wurden aber nicht einmal gelesen.«

      »Als es Mitternacht war«, übernahm wieder Kati, »war ich schon