Eberhard Weidner

TODESSPIEL


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nickte zustimmend. »Sie ist überhaupt nicht depressiv veranlagt, sondern immer fröhlich und heiter.«

      »Ausgeglichen«, präzisierte Kati.

      »Hat sie sich vielleicht über andere Dinge Sorgen gemacht?«, fragte Anja, die längst Routine darin hatte, in einem Vermisstenfall einen ganzen Katalog von Fragen zu stellen. »Über ihr Studium vielleicht? Oder gab es kürzlich Ärger oder Streit mit jemandem?«

      Während Kati noch nachdachte, schüttelte Antonia bereits den Kopf.

      »Zoe hat mit niemandem Streit oder Ärger«, sagte sie voller Überzeugung. »Es gibt, soweit ich weiß, auch keine Probleme in ihrem Studium. Sie ist intelligent und fleißig. Manchmal konnten wir sie überreden, mit uns auszugehen. Ansonsten hat sie sich allerdings völlig auf ihr Studium konzentriert.«

      »Das stimmt«, sagte Kati.

      »Gab es zwischen Ihnen in letzter Zeit Streit?« Anja erinnerte sich dabei vor allem an die Wortgefechte der beiden jungen Frauen, die sich nun mit fragenden Blicken ansahen. Dann begann Kati den Kopf zu schütteln, während Antonia ratlos mit den Schultern zuckte.

      »Sicher haben wir auch ab und zu unsere Meinungsverschiedenheiten«, sagte Kati. »Über den Putzplan beispielsweise. Es gibt in unserer WG nämlich eine Person – ich will keinen Namen nennen –, die es damit nicht ganz so genau nimmt und öfter mal vergisst, dass sie mit dem Putzen des Wohnzimmers, des Flurs, des Bads oder der Küche dran ist. Oder dass sie den Müll runterbringen und einkaufen muss oder mit dem Kochen dran ist.«

      »Ich weiß gar nicht, von wem diese Person da drüben, deren Name ich nicht nennen möchte, redet«, sagte Antonia mit übertrieben unschuldiger Miene.

      Kati verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Sie erwiderte jedoch nichts darauf, weil es entweder unter ihrer Würde oder zu diesem Thema ihrer Meinung nach schon alles gesagt worden war.

      »Aber das war nie ein richtiger Streit«, sagte Antonia zu Anja. »Zoe und Kati haben mich dann immer daran erinnert, dass ich dies oder das hätte tun müssen. Ich habe mich dann wortreich entschuldigt und es nachgeholt. Damit war der Fall erledigt.«

      Kati nickte. »Nein, richtigen Streit, bei dem die Fetzen flogen oder es Tränen gab, hatten wir keinen. Und wenn doch, dann hätten wir das geklärt. Wir drei sind zwar alle sehr unterschiedliche Charaktere, aber grundsätzlich verstehen wir uns trotzdem sehr gut.« Sie sah Antonia bedeutungsvoll an. »Ansonsten hätte ich es mit der da auch gar nicht so lange in einer Wohnung ausgehalten.«

      »Ja, ich liebe dich auch«, sagte Antonia und warf Kati einen Handkuss zu.

      Kati verzog das Gesicht und tat so, als würde sie ihm ausweichen.

      »Und wie ist Zoes Verhältnis zu ihren Eltern?«

      Die beiden Studentinnen richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Hauptkommissarin.

      »Prima«, meinte Antonia.

      »Zoe ist ein Einzelkind«, sagte Kati. »Nicht dass sie deshalb ein verwöhnter Fratz oder so was wäre. Aber man merkt es ihr trotzdem ein bisschen an. Ihre Eltern hätten es, glaube ich, lieber gesehen, wenn Zoe bei ihnen wohnen geblieben wäre und in Nürnberg studiert hätte. Dort hätten sie weiterhin ein Auge auf ihre Tochter gehabt.«

      »Das betrifft, glaube ich, hauptsächlich die Mutter«, sagte Antonia. »In den ersten drei, vier Wochen rief Frau Bergmann jeden Tag mindestens einmal an.«

      Kati schüttelte den Kopf. »Und wenn Zoe nicht da war, wollte sie immer ganz genau wissen, wo sie sich aufhielt und was sie da tat.«

      Antonia lachte. »Außerdem fragte sie am Anfang der Woche immer, ob Zoe am Sonntag auch in der Kirche war.«

      »Genau. Und wir mussten dann immer lügen und sagen, dass Zoe die Sonntagsmesse besucht habe.«

      »Wieso?«, fragte Anja.

      »Zoes Mutter ist anscheinend sehr, sehr, sehr religiös«, antwortete Antonia. »Zoe ist aber vor ein paar Jahren aus irgendeinem Grund komplett vom Glauben abgefallen. Ihrer Mutter hat sie aber nie etwas davon gesagt. Sie meinte, für die gute Frau würde dann eine Welt zusammenbrechen. Und das wollte sie ihr dann doch nicht antun, denn sie liebt ihre Eltern wirklich sehr. Deshalb hat sie es verschwiegen und seitdem immer so getan, als würde sie den Glauben ihrer Mutter noch immer teilen.«

      »Als sie noch bei ihren Eltern wohnte, ist sie sonntags auch immer noch brav mit zur Kirche gegangen«, übernahm erneut Kati. »Aber hier in München war sie noch kein einziges Mal.«

      Antonia sagte: »Nur wenn sie ihre Eltern besucht, was sie wie letztes Wochenende aus gegebenem Anlass gelegentlich tut, muss sie wieder mit in die Kirche.«

      »Wahrscheinlich war das vorgestern auch wieder der Fall«, meinte Kati. »Außer, sie hat ihrer Mutter endlich die Wahrheit erzählt.«

      »Wieso hätte sie das tun sollen?«, fragte Antonia ihre Mitbewohnerin.

      »Weil sie mich gefragt und ich ihr geraten habe, endlich reinen Tisch zu machen. Schließlich ist Zoe volljährig und kann glauben oder nicht glauben, was sie will. Und die ewige Lügerei finde ich ohnehin nicht gut.«

      »Ach«, sagte Antonia erstaunt. »Und wieso erfahre ich das erst jetzt?«

      Kati zuckte mit den Schultern. »Entschuldige, aber du warst eben nicht da, als sie mich fragte. Wahrscheinlich warst du gerade bei deinem letzten Drei-Tage-Liebhaber. Und dann muss ich wohl vergessen haben, es dir zu erzählen.«

      »Okay.«

      Die beiden Studentinnen wandten sich wieder Anja zu, die sich Notizen machte.

      »Was wollen Sie noch wissen?«, fragte Antonia eifrig, die anscheinend Gefallen an der Befragung gefunden hatte.

      Anja überprüfte ihre Notizen und überlegte kurz, dann blickte sie auf und sah die beiden jungen Frauen der Reihe nach an. »Das war es für den Moment.«

      Antonia sah beinahe ein bisschen enttäuscht aus.

      »Und was passiert jetzt?«, fragte Kati.

      »Ich würde mir noch ganz gern Zoes Zimmers ansehen«, sagte Anja. »Danach rufe ich ihre Eltern an und frage, ob sie heute Nachmittag Zeit für mich haben.«

      »Sie wollen dafür extra nach Nürnberg fahren?«, fragte Antonia.

      Anja nickte, während sie den Kugelschreiber in die Lasche steckte und das Notizbuch zuklappte. »Sicherlich könnte ich sämtliche Fragen auch am Telefon stellen und damit eine Menge Zeit sparen. Aber ich mache mir bei den Vermisstenfällen, die ich zu bearbeiten habe, lieber einen persönlichen Eindruck von den Angehörigen und Freunden der vermissten Personen.« Sie nahm die Akte vom Tisch und stand auf. »Wenn Sie mir jetzt bitte Zoes Zimmer zeigen könnten.«

      Sobald Antonia und Kati sie in Zoes Zimmer geführt hatten, bat Anja die beiden Studentinnen, sie allein zu lassen.

      Antonia öffnete den Mund, als wollte sie protestieren. Doch noch ehe sie ein einziges Wort äußern konnte, packte ihre Mitbewohnerin sie bereits am Arm und zog sie in Richtung Tür.

      »Komm mit!«, sagte Kati. »Lassen wir die Frau Kommissarin in Ruhe ihre Arbeit machen.«

      Anja wartete, bis die beiden jungen Frauen den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatten. Erst dann sah sie sich um und verschaffte sich einen ersten Eindruck vom Zimmer der Vermissten.

      Nach Anjas Ansicht enthielt es gerade einmal das Notwendigste, was man als Studentin brauchte, und erinnerte sie in seiner Schlichtheit ein bisschen an eine karge Mönchszelle. Ein ordentlich gemachtes Bett mit beige-weiß-karierter Bettwäsche. Ein tadellos aufgeräumter Schreibtisch, auf dem ein zugeklappter Laptop lag. Zwei einfache Regale, die mit zahlreichen Büchern gefüllt waren. Und schließlich eine Kommode und ein mittelgroßer Kleiderschrank. Sämtliche Möbel waren weiß lasiert.

      Anja ging zunächst zum Regal und sah sich die Bücher an. Der kleinere Teil bestand aus einer Reihe von Fachbüchern und Nachschlagewerken