Irene Dorfner

Engelchen...


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aufzuwärmen. Allerdings hatte sie auch kein Interesse daran, sich auch noch im nächsten Jahr um fremde Kinder zu kümmern. Sie wollte nicht nach Amerika. Sie wollte ihr Leben genießen und in Deutschland bleiben.

      Sie würde nicht mehr Geld bekommen, das war ihr klar. Wie weit würde sie damit über die Runden kommen? Nicht lange, das Geld floss ihr nur so durch die Finger. Wie konnte sie ihre Situation ändern? Sie war in einer sehr guten Position, Sandro fraß ihr aus der Hand. Warum sollte sie ihn nicht so weit an sich binden, dass sie irgendwann die Stelle Majas einnehmen könnte? Sie sollte so schnell wie möglich von ihm schwanger werden. Ja! Das war die Lösung. Sie nahm nicht nur das Geld für diesen außergewöhnlichen Job, sondern würde sich Sandro schnappen. Wer sollte sie daran hindern?

      8.

      Der 52-jährige Dr. Bodo Salzberger hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Er machte sich keine Sorgen um seine Patientin, sie war schließlich aus freien Stücken abgehauen. Er machte sich vielmehr Sorgen um die erste Rate seiner Bezahlung, die er längst ausgegeben hatte. Auch die nächste Zahlung war bereits verplant. Er saß mit einem Becher Kaffee auf der Terrasse seines Hauses, von wo aus er einen phantastischen Blick über den Chiemsee hatte. Wie lange noch? Das Haus war bis unters Dach verschuldet und sein Bankberater hatte bereits Andeutungen gemacht, dass es Interessenten für sein Anwesen gab. Dr. Salzberger genoss trotz aller Sorgen und düsteren Gedanken den Sonnenaufgang. Was für ein Naturspektakel! So bekam er den Kopf frei.

      Dann klingelte das Telefon und er schreckte zusammen, als er die Nummer erkannte.

      „Ist sie zuhause aufgetaucht?“, fragte er sofort ohne Gruß.

      „Nein.“

      „Verdammt! Die Polizei hat auch noch keine Spur von ihr.“

      „Haben Sie einen Vorschlag, wie wir weiter vorgehen?“

      „Heute kommt Dr. Aicher. Ich habe es vorgezogen, ihm nicht abzusagen.“

      „Was soll das bringen?“

      „Ich werde die Krankenakte zu unseren Gunsten nochmals überarbeiten. Die angeblichen Untersuchungen und Medikamente, gepaart mit dem Verschwinden der Patientin, könnten für uns von Vorteil sein. Natürlich bekommen wir ohne die Patientin kein Gutachten, das ist klar. Allerdings wäre eine persönliche Einschätzung von Dr. Aicher sehr günstig für die weitere Vorgehensweise. Natürlich brauchen wir die schriftlich.“

      „Gut. Veranlassen Sie das.“

      „Das wird nicht einfach werden, aber ich werde mich bemühen.“

      „Kriegen Sie das irgendwie hin, schließlich ist Maja aus Ihrer Obhut verschwunden. Nächste Woche ist der Termin. Bis dahin muss alles hieb- und stichfest sein.“

      Dr. Salzberger durfte keine Zeit mehr verlieren. Dr. Aicher hatte sich für 10.00 Uhr angekündigt. Er parkte seinen Wagen neben dem Eingang der Klinik und ging ohne Gruß in sein Büro. Schwester Silke sah ihrem Chef hinterher. Natürlich hatte sie Verständnis für seine schlechte Laune, aber sie konnte schließlich nichts für das Verschwinden der Patientin. Nie im Leben hätte sie geglaubt, dass diese eine Flucht physisch schaffen würde. Wie groß mag die Angst der Patientin gewesen sein, um diese Strapazen auf sich zu nehmen?

      Dr. Salzberger nahm sofort die Akte Ettl an sich und manipulierte sie nochmals so geschickt, dass Dr. Aicher nur auf einen Schluss kommen konnte: Maja Ettl war psychisch krank und gehörte in stationäre Behandlung. Kurz vor 10.00 Uhr war Dr. Salzberger fertig und wartete.

      Pünktlich klopfte Dr. Aicher an die Tür. Der Spezialist war dafür bekannt, wortkarg, fast unfreundlich Kollegen gegenüber aufzutreten. Deshalb wunderte sich Dr. Salzberger auch nicht über dessen Art.

      „Führen Sie mich zur Patientin Ettl,“ sagte Dr. Aicher ohne Umschweife.

      „Die Patientin ist heute Nacht verschwunden,“ log Dr. Salzberger. Er konnte ihm nicht sagen, dass Maja Ettl bereits seit gestern Mittag abgängig war. Wie sollte er ihm erklären, dass er den heutigen Termin nicht abgesagt hatte, wofür noch genügend Zeit gewesen wäre?

      „Sie ist verschwunden? Abgehauen?“ Dr. Aicher sah seinen Kollegen mit großen Augen an. Salzberger nickte nur. „Die Krankenakte bitte.“

      Ohne Umschweife reichte er Dr. Aicher die Krankenakte. Er beobachtete ihn beim Lesen, wobei er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Der Mann reagierte so, wie er es erwartet hatte.

      „Wie hat die Frau es geschafft, unter Einfluss der Medikamente die Klinik zu verlassen?“

      „Vermutlich hat sie nicht alle eingenommen und die Pflegekraft getäuscht. Anders kann ich mir das auch nicht erklären.“

      „Davon müssen wir ausgehen,“ sagte Dr. Aicher. „Kann ich mit der Pflegekraft sprechen, die für die Patientin verantwortlich war?“

      Verdammt! Damit hatte Dr. Salzberger nicht gerechnet. Er hätte Schwester Silke instruieren müssen. Sie war nicht vorbereitet und würde alles verderben. Dr. Salzberger tippte ohne Sinn auf seiner Computer-Tastatur herum.

      „Das tut mir leid. Schwester Silke hat frei. Sie kommt erst zur Nachmittagsschicht um 16.30 Uhr.“ Würde Dr. Aicher diese Ausrede schlucken? Es folgte eine lange Pause.

      „So lange kann ich nicht warten,“ sagte Dr. Aicher schließlich und gab die Patientenunterlagen zurück. „Dann war ich umsonst hier.“

      „Nicht ganz. Darf ich um eine Einschätzung bitten?“

      „Ohne die Patientin gesehen zu haben?“

      „Es geht nur um eine Meinung aufgrund der Patientenakte. Vielleicht verstehen Sie, dass ich im vorliegenden Fall einen Haftungsanspruch der Familie erwarte.“

      „Sie wollen eine Absolution von mir? Eine Bestätigung, dass Sie die Patientin richtig behandelt haben?“

      „So in etwa. Sie wissen ja, wie die Familie in solchen Fällen reagiert. Gibt man zu viele Medikamente, bekommt man Ärger. Gibt man zu wenig, ist es ähnlich. Jetzt weiß ich auch, dass ich die Patientin ans Bett hätte fixieren müssen, aber hinterher ist man immer schlauer. Ich fixiere nicht gerne, das gibt immer Ärger.“

      „Kann ich bestätigen,“ sagte Dr. Aicher, der in der Vergangenheit mit heftigster Kritik von Familienangehörigen und Kollegen zu tun hatte. Auch er scheute sich davor, Patienten ans Bett zu fixieren. „Vorausgesetzt, dass die Angaben in der Patientenakte der Richtigkeit entsprechen, kann ich kein Fehlverhalten Ihrerseits feststellen. Ich wäre ähnlich vorgegangen. Außerdem besteht immer ein Restrisiko, das wir Ärzte und auch das Pflegepersonal nicht ausschalten können. Wenn ein Patient unbedingt die Klinik verlassen möchte, findet er einen Weg.“ Dr. Aicher wusste auch in diesem Punkt, wovon er sprach.

      „Würden Sie mir das schriftlich geben? Ich sehe eine Flut von Vorwürfen auf mich zukommen und würde mich mit einer Einschätzung von Ihnen sehr viel wohler fühlen.“

      „Gut. Aber Sie versichern mir, dass damit kein Missbrauch getrieben wird. Das ist kein Gutachten und darf als solches nicht verwendet werden. Die wenigen Worte sind nur für den Fall bestimmt, wenn die Angehörigen Ärger machen sollten und Ihnen Vorwürfe gemacht werden.“

      „Selbstverständlich.“

      Dr. Aicher konnte die Argumente seines Kollegen sehr gut nachvollziehen. Er zog einen Notizblock aus seiner Mappe und brachte mit schwungvoller Schrift einige Sätze aufs Papier. Er bemühte sich, sachlich zu bleiben, denn auf Klagen von Familienangehörigen konnte er auch sehr emotional, fast beleidigt reagieren. Er übergab Dr. Salzberger das Blatt und verabschiedete sich.

      Dr. Salzberger konnte es kaum erwarten, bis sein Besuch endlich verschwunden war. Jetzt las er das Geschriebene. Er war zufrieden und erleichtert. Das war genau das, was er haben wollte und das ihm die nächste Zahlung garantierte.

      „Ich habe eine Einschätzung Dr. Aichers. Mit der können wir auch ohne die Patientin punkten,“ sagte Dr. Salzberger, nachdem er die ihm bekannte Telefonnummer