Lars Hermanns

VIRUS – Im Fadenkreuz


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nichts überstürzen.«

      »Wie geht es jetzt weiter?«

      Odysseus legte sein Smartphone beiseite, ehe er sagte: »Wir werden mit unserem Agenten in Kontakt bleiben. Jetzt, am Wochenende, muss zunächst die Verbindung zu unserem Zivilisten intensiviert werden. Davon hängt wirklich alles ab! Ich hoffe, dass wir am Montag, spätestens jedoch am Dienstag mit der Mission ›Hölzernes Pferd‹ beginnen können.« Nach diesen Worten griff er sich eine Zigarette aus einem silbernen Etui, zündete sie an und blies Rauch in die Luft.

      Karben

      Jan hatte nicht viel Zeit gehabt. Er war vom Bahnhof Groß-Karben aus mit seinem Auto, einem beinah dreißig Jahre alten, weißen Opel Kadett E mit gerade einmal sechzig Pferdestärken, durch den Regen nach Roggau gefahren. Hier besaß er ein kleines Haus, dessen Hypothek er immer noch abzuzahlen hatte, und um das er sich dringend wieder mehr kümmern musste. Den Rasen hatte er schon lange nicht mehr gemäht, und die Fenster waren ebenfalls in einem traurigen Zustand. Eine Haushaltshilfe wäre nicht schlecht gewesen, doch dafür fehle ihm schlicht und ergreifend das Geld.

      Eine gute Dreiviertelstunde später stand er mit seinem Wagen bereits wieder am Bahnhof und wartete auf das Eintreffen der S6 aus Friedberg.

      Wer war die Frau – Natascha?

      Sie war offensichtlich deutlich jünger als er; wieso hatte sie ihn ausgewählt?

      Meinte sie es ernst, oder spielte sie nur mit ihm?

      Bald, überlegte er, werde ich es wissen.

      Dann sah er die S6 aus Friedberg ankommen. Er wusste, dass Natascha die Unterführung würde nehmen müssen und hatte seinen Wagen daher nahe der Bushaltestellen geparkt. Und da sah er auch schon ihre platinblonden Haare aus der Menge der Pendler herausstechen.

      Frankfurt

      Knapp vier Stunden später fuhren Jan und Natascha in seinem weißen Kadett die Friedberger Landstraße entlang nach Frankfurt.

      »Du hättest mich wirklich nicht fahren müssen«, beteuerte Natascha zum wiederholten Male. Während des Essens beim Griechen waren sie zum vertrauten ›Du‹ übergegangen.

      »Papperlapapp«, antworte Jan erneut. »Es regnet noch immer, und außerdem sollte eine hübsche Frau wie du abends nicht allein mit der S-Bahn fahren müssen.«

      »Ach, du findest mich hübsch?«, kokettierte sie mit einem zuckersüßen Lächeln.

      Jan wurde verlegen und konzentrierte sich auf den Verkehr, da er nicht wusste, was er darauf erwidern sollte.

      »Du bist süß. Danke. Du, da vorn musst du nach links …«

      Wenige Minuten später standen sie vor einem großen Mehrfamilienhaus in einem Viertel, das mehreren solcher Wohnhäuser Platz bot. Entlang der Straße gab es einige Parkplätze, doch um diese Uhrzeit waren die meisten bereits belegt. Zwischen den Häusern gab es sogar Grünflächen, teilweise mit Sträuchern und Bäumen bepflanzt. Kein schlechter Platz, um in Frankfurt am Main doch noch halbwegs das Gefühl zu haben, im Grünen zu wohnen.

      »Möchtest du auf einen Kaffee mitkommen?«

      »Hast du auch Tee?«, fragte Jan.

      »Ja«, antwortete Natascha lachend, »damit kann ich auch dienen.«

      Jan lenkte seinen alten Opel auf einen der wenigen Parkplätze, anschließend gingen er und Natascha, locker miteinander plaudernd, die restlichen rund hundert Meter zu Fuß.

      Nataschas Wohnung lag im dritten Stock eines vierstöckigen Mehrfamilienhauses und war, wie Jan bemerkte, doch recht schlicht eingerichtet. Alles war in Weiß gehalten: Fliesen, rau verputzte Wände und Decken, Möbel. Vor allem aber vermisste Jan das, was normalerweise die Wohnung von Frauen kennzeichnete: Das Persönliche! Es gab keinerlei Nippes, keine gerahmten Fotos von Freunden und Familie.

      »Setz dich bitte, ich gehe schnell in die Küche«, sagte Natascha und verschwand.

      Jan blickte sich um, und irgendwie kam ihm all das sehr surreal vor. Natascha war traumhaft schön und wirkte beinah wie das Bildnis einer Göttin, überlegte er. Wäre er zehn Jahre jünger gewesen, hätte es ihn vielleicht nicht einmal besonders gewundert, von einer hübschen Frau nach oben gebeten worden zu sein. So jedoch wunderte er sich schon sehr. Und wieder fiel ihm auf, dass er nichts Persönliches von Natascha entdecken konnte. Die Bücher in den Regalen waren zwar interessant, doch trotz allem kam ihm die Wohnung kalt und ohne Leben vor.

      Natascha kam plötzlich aus der Küche und trug ein Tablett mit zwei Gläsern: Ein Longdrinkglas und ein Martiniglas. »Du sagtest vorhin beim Essen, dass du gern Gin Tonic trinkst«, flötete sie heiter und reichte Jan das Longdrinkglas.

      »Danke, das ist lieb«, sagte Jan, während er das Glas entgegennahm. »Doch ich muss gleich noch Auto fahren.«

      »Ist doch bloß ein Glas«, erwiderte sie und nahm ihrerseits das Martiniglas, in dem eine Olive in einer klaren Flüssigkeit schwamm.

      »Was trinkst du?«, fragte Jan.

      »Wodka Martini«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Geschüttelt, nicht gerührt.« Wieder lachte sie herzhaft auf und blickte Jan direkt danach tief in die Augen. »Komm, lass uns anstoßen.«

      »Gern«, sagte er. »Aber bitte, nur dieses eine Glas.«

      Sie stießen miteinander an und tranken jeder einen kräftigen Schluck ihres Getränks.

      »Ist er dir so recht?«, fragte Natascha, und Jan bejahte, während er sich schließlich auf ihrer weißen Ledercouch niederließ.

      »Was arbeitest du eigentlich?«, fragte er sie plötzlich, und Natascha versah ihn mit einem merkwürdigen Blick.

      »Ich arbeite an der Frankfurter Universität als Labortechnikerin. Und du?«

      »Vermögensberater.«

      »Vermögensberater?«, fragte sie mit einem zweifelnden Unterton nach. »Wieso fährst du dann nur einen uralten Opel? Ich dachte immer, euch ginge es in eurer Branche so gut.«

      »Weißt du«, setzte Jan an, »es gibt zweierlei Typen von Vermögensberatern: Die einen arbeiten für ihre Kunden, die anderen für sich selbst.«

      »Das verstehe ich nicht, fürchte ich.«

      »Es geht um Provisionen. Wenn du einen Vermögensberater wählst, wird er dir früher oder später allerlei Produkte verkaufen wollen. Diese sind nicht unbedingt schlecht, doch kannst du nur selten sicher sein, dass sie auch zu hundert Prozent zu dir passen oder gar nötig sind. Doch der Vermögensberater macht seinen Schnitt, streicht die Provision für die neuen Verträge ein und freut sich, dass er erfolgreich einen neuen Kunden an Land gezogen hat.«

      »Ooooookay … und die anderen?«

      »Die anderen sind die armen Schweine, die ehrlichen Vermögensberater, die eben nicht auf Provisionsbasis arbeiten. Sie nehmen stattdessen einen festen Stundensatz für die Beratung, und es liegt beim Kunden allein, ob man eine halbe Stunde oder gleich mehrere Stunden mit ihm verbringt.«

      »Und dadurch verdient man weniger Geld, nehme ich an?«

      »Ganz genau«, antwortete Jan und nahm einen weiteren Schluck von seinem Gin Tonic. »Ich werde dadurch zwar nicht reich werden, doch behalte ich wenigstens mein reines Gewissen.« Er trank noch ein Schluck Gin Tonic und fühlte sich von Sekunde zu Sekunde lockerer, ungezwungener. »Und wie schaut es da bei dir aus? Was machst du so im Labor?«

      Natascha setzte sich dicht neben Jan auf die Couch, und er bemerkte erst jetzt, dass ihre weiße Bluse einen Knopf zu weit geöffnet war als es sich eigentlich geziemt hätte. Und ihr Parfüm roch verführerisch. Schnell trank er wieder einen Schluck und erwiderte Nataschas feurigen Blick, als sie antwortete.

      »Ich bin Labortechnikerin und analysiere zumeist