Lars Hermanns

VIRUS – Im Fadenkreuz


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sie sich für mögliche Außendiensteinsätze vormerken lassen – wissend, dass selbst das für die meisten Menschen Undenkbare von ihr gefordert werden könnte.

      Inzwischen war Natascha in der Berliner Straße angekommen und bog nach links ab, in Richtung Osten, zurück zur Konstablerwache. Sie würde dann zurück in die Dienstwohnung in Bornheim fahren und alles für Jans Rückkehr vorbereiten.

      Auch wenn Jan Wagner äußerlich absolut nicht ihr Typ war – er war zu alt, zu dick, unrasiert, blond und blauäugig, während sie eher für einen George Clooney oder einen Pierce Brosnan zum Äußersten gegangen wäre –, so war er trotz allem liebevoll, zärtlich und vielleicht ein bisschen zu naiv, fand sie. Es schien ihn nicht einmal zu stören, dass es in der gesamten Wohnung keinerlei Fotos von ihrer Familie oder von Freunden gab – das wäre ihr selbst nämlich als erstes aufgefallen. Diesen Fehler konnte sie nun leider nicht mehr glaubwürdig ausbügeln und hoffte, dass er niemals nach ihren Eltern oder nach Freunden fragen würde.

      An der Konstablerwache angekommen, zog Natascha sich eine Fahrkarte, um mit der U-Bahn die fünf Minuten bis zur Seckbacher Landstraße zu fahren. Zwar hätte sie diese drei Kilometer auch bequem zu Fuß zurücklegen können, doch es hatte wieder leicht zu regnen begonnen, und mit ihren hochhackigen Schuhen wollte sie sich den Weg im Nassen nicht unnötig antun.

      Von der Seckbacher Landstraße aus waren es bloß noch dreihundert Meter Fußweg, die sie in knapp vier Minuten zurücklegte. Es war gerade einmal zehn Minuten nach zwei nachmittags, sie hätte also noch mindestens zwei Stunden Zeit, ehe sie mit Jan rechnen musste. Und diese Zeit wollte sie in Ruhe mit sich allein verbringen.

      So lieb Jan auch war, so anstrengend war es, ihn ständig verführen zu müssen, um ihn bei Laune zu halten. Nichts war gefährlicher als ein Mann, der die falschen Fragen stellte. Und Jan hatte die Angewohnheit, beinah alles von ihr wissen zu wollen. Zwar hatte sie für die meisten Fragen sorgfältig ausgearbeitete Antworten, doch bei Intimpartnern konnte es eben immer wieder vorkommen, dass Fragen auftauchten, auf die man sie nicht zuvor gebrieft hatte. Und was sollte sie dann antworten?

      Karben

      Die Hausarbeit war getan, und Jan saß nun endlich mit einer Savinelli 320 KS auf dem Balkon im ersten Stock, wo er sein Raucherzimmer eingerichtet hatte. Der S.V.H. von DTM war eine seiner liebsten Mischungen und glimmte bedächtig in der Pfeife, wobei sich ein äußerst angenehmer Geruch ausbreitete, den Jan so sehr liebte. Normalerweise hätte er sich jetzt drinnen, beim Rauchen, einen schönen Film angesehen. Doch dank Natascha war heute alles anders.

      Gegen fünfzehn Uhr würde er sich fertigmachen und gemütlich nach Frankfurt fahren, wobei er zuvor Hanna einen Besuch abstatten wollte, um – wie versprochen – Döner und Lahmacun zu besorgen.

      Was sie wohl heute vorhat, fragte sich Jan, dem Natascha noch immer viele Rätsel aufgab. Sie war wunderschön – nahezu perfekt. Und eben dies gab ihm immer wieder zu denken. Nicht, dass er nicht auch früher Chancen bei anderen Frauen gehabt hätte. Die hatte er, hatte sie aber immer links liegenlassen, da er mit seiner Jugendliebe glücklich zusammen und später glücklich verheiratet gewesen war.

      Doch Natascha?

      Seiner Meinung nach spielte sie in einer völlig anderen Liga. Dass ein Otto Normalbürger wie er mit einer Frau wie Natascha ins Bett ging, ohne dafür bezahlen zu müssen, erschien ihm zunehmend genauso wenig möglich wie eine sexuelle Beziehung einer Frau wie Jessica Alba mit einem Typen wie Steve Buscemi. Diese Vorstellung war einfach nur absurd!

      Je länger Jan Pfeife rauchend darüber nachdachte, umso mehr hatte er das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmen konnte.

      Bloß: Was?

      Nachdem sie am Samstag stundenlang gevögelt hatten, als gebe es kein morgen mehr, hatte er, während Natascha kurz duschte, sein Portemonnaie überprüft. Es hatte nichts gefehlt. Geld und Kreditkarte waren noch da. Auch danach hatte sie nie Geld von ihm verlangt. Die Bestellungen mit dem Essen an Samstag und Sonntag hatte sie über Handy vorgenommen und direkt online bezahlt. Selbst das gemeinsame Essen am Freitagabend, beim Griechen – jeder hatte seine eigene Zeche bezahlt.

      Auf sein Geld konnte sie es folglich nicht abgesehen haben. Zudem hatte er zwar ein Haus, war finanziell jedoch trotz allem keine gute Partie. Seine Arbeit warf nicht genug ab, um davon reich werden zu können. Auf seinem Girokonto waren keine zehntausend Euro, und seine Sparbücher würden erst in ein paar Jahren ausgezahlt werden. Viel war bei ihm wirklich nicht zu holen.

      Wieso also interessiert sich so eine heiße Schnitte wie Natascha für einen Loser wie mich, fragte Jan sich wieder und wieder. Mit seinem Bauch, seinen nicht unbedingt schönen Beinen und seinem grau werdenden, blonden Haar war er alles andere als ein Adonis, und so einer würde wesentlich besser zu Natascha passen.

      Vorhin hatte er spaßeshalber im Internet nach Natascha Papst – so hatte sie sich ihm in der S-Bahn vorgestellt – gesucht und nichts gefunden. Auch das wunderte ihn sehr, da Social Media Plattformen wie facebook, LinkedIn und Instagram heute praktisch zum guten Ton gehörten, und insbesondere Leute im Alter von Natascha waren dort praktisch omnipräsent. Doch zu seiner Natascha gab es absolut nichts. Gut, überlegte er, vielleicht machte sie sich nichts daraus, ihr Leben jedem öffentlich zugänglich zu machen. Doch selbst seine Eltern waren in facebook mit ihren Freunden und Verwandten vernetzt.

      Fragen über Fragen, und Jan hoffte inständig, dass Natascha sie ihm möglichst bald beantworten konnte. Was auch immer das Geheimnis hinter dieser blonden Schönheit war, nichts konnte so schlimm sein, dass sie es ihm nicht sagen könnte.

      Frankfurt

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      Die SMS von Odysseus war knapp und in Großbuchstaben geschrieben – wie immer.

      Morgen geht es also endlich los, dachte sich Natascha. Dann sollte sie erfahren, was eigentlich ihr Auftrag war, und was Jan dabei für eine Rolle spielte.

      Laut Andromeda war er wirklich bloß ein Zivilist, den Natascha schließlich selbst ausgewählt hatte. Ihre Wahl war auf ihn gefallen, weil sie in Frankfurt niemand anderes hatte entdecken können, der auch nur halbwegs den Vorgaben aus Berlin entsprochen hätte. Es sollte ein Mann zwischen dreißig und sechzig Jahren sein, unverheiratet, harmlos und unauffällig aussehend, um kein Aufsehen zu erregen. Jan war leider der einzige halbwegs normale Mann gewesen, an dessen Hand sie keinerlei Ehering hatte entdecken können. Nun musste sie es also durchziehen …

      Jan erschien pünktlich um siebzehn Uhr an ihrer Tür. Natascha öffnete ihm, küsste ihn zur Begrüßung und freute sich riesig über den Döner Kebab, den er ihr mitgebracht hatte.

      Jan hingegen überlegte bei jeder ihrer Regungen, ob sich etwas dahinter verbarg.

      War sie ehrlich zu ihm?

      Spielte sie nur mit ihm?

      Sollte es bloß ein Spiel sein, so überlegte er, werde ich alles tun, um in der Kürze der Zeit mitzunehmen, was nur geht. Wie sagte schon Michael Douglas in Basic Instinct über Sharon Stone? ›Sie ist der Fick des Jahrhunderts‹. Dieser Gedanke überkam Jan, während er sein Wohnzimmer saugte, und eben deshalb hatte er auch mehr und mehr das Gefühl, dass mit Natascha vielleicht irgendetwas nicht stimmte. Er erwartete förmlich, dass plötzlich eine ihrer Ex-Gespielinnen auftauchte, die er vielleicht eines Tages – wissentlich oder unwissentlich – vor den Kopf gestoßen hatte, und die es ihm oder ihr heimzahlen wollte.

      »Wie war dein Tag?«, fragte Natascha und riss ihn aus seinen Gedanken.

      »Danke, gut. Hausputz und so. Und bei dir?«

      »Meeting mit einer Kollegin. Nichts Weltbewegendes. Ein ganz normaler Arbeitstag, könnte man sagen.« Natascha packte den Döner und Jans Lahmacun auf je einen Teller und richtete alles auf ihrem kleinen Esstisch an. »Möchtest du ein Bier?«

      »Leitungswasser reicht, danke.«

      »Vielleicht