Paul-Heinz Schwan

Schaum-Welt-Komfort


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der Explikation ermöglichte, durch welche die bisher unsichtbare Welt unter Bildzwang gesetzt wird.

      Noch bleibt eine Zeitlang die Suggestion intakt, das Wissen könne die Welt bewohnen wie der Bürger seine Villa. Aber all diese Neusichtbarkeiten: der aufgeschnittene menschliche und tierische Körper, Zellkerne, Atompilze, Innenansichten von Maschinen, Röntgenaufnahmen, Computertomografien, galaktische Fotografien…treten in die menschliche Wahrnehmung ein, als ob sie nur eine Fortsetzung der Unverhülltheit der ersten Tagesnatur wären: Sie sind es nicht!

      Sie sind durch einen ontologischen Graben getrennt von der naturwüchsigen, umsichtig-duldsamen Erkenntnisbereitschaft menschlicher Umblicke in mehr oder weniger vertrauten Umständen. All das ist nicht –zumindest nicht für den ursprünglichen- menschlichen Wahrnehmungsapparat bestimmt.

      Für dessen „Woher“ findet die Moderne unterschiedliche Erklärungen: aus dem Unbewussten oder der Latenz (dem „Schlaf“); aus dem Unwissen; aus der Verborgenheit in den Innenseiten des Faltenwurfs der Erscheinungen; oder aus irgendeiner anderen Fassung des kognitiven Noch-Nicht.

      Infolge dieser Invasion sind das menschliche Gehirn, das menschliche Genom und die menschlichen Immunsysteme so theatralisch auf die epidemische (verbreitete) Bühne gestellt worden, das ihre Bildungs- und Sensationsmöglichkeit die „Modernen“ ständig in Atem hält. Diese Themen weichen so erheblich von dem ab was die idealistische Philosophie Selbstreflexion genannt hat so das die Vorstellung absurd wäre, diese Vorgänge seien Ausfluss menschlicher Bestimmungen.

      Die neuen Besitztümer können nie in unser Eigentum übergehen, weil uns für alle Zeiten nichts fremder ist als die „eigene“ explizit gemachte Biomechanik.

      Aber, jedes Vordergründigwerden von lange Latentem hat immer seinen Preis.

      Denn das Streben nach Erkenntnis liegt ja seit Aristoteles offensichtlich in der Natur des Menschen.

      Man mag dem 20.Jhdt. alles Üble nachsagen –nur nicht, dass es den Preis für solche Verfremdungen nicht gezahlt hätte. Keine andere Epoche kann eine so weit getrieben Expertise vorweisen in der Kunst, die Existenz von ihren vitalen Prämissen her zu vernichten.

      Auf der Kehrseite werden die konstruktiven Erhaltungsbedingungen kultureller Räume sichtbar: technisch, künstlich, gestaltbar. Alles muss ausgehandelt werden, jeder und keiner will aber ein Wörtchen mitreden.

      Wir sind nie revolutionär gewesen

      Vor und nach 1917 tauschten oben und unten nicht die Plätze, nichts was auf dem Kopf stand wurde auf die Füße gestellt, nirgendwo wurden die Letzten die Ersten, nichts wurde umgewälzt nichts im Kreis gedreht. Vieles hat sich getan was aber eher für Paul Valerys These klingt: Die Franzosen - und eo ipso die Modernen hätten aus der Revolution eine Routine gemacht. Der wahre und wirkliche Grundbegriff der Moderne lautet nicht Revolution, sondern Explikation. Das ist für unsere Zeit der wahre Name des Werdens –dem man die herkömmlichen Modi des Werdens durch Drift, durch Nachahmung, durch Katastrophe und kreative Rekombination nachordnen oder zur Seite stellen kann.

      Das gegenwärtige Zeitalter wälzt die Dinge, die Zustände, die Themen nicht um:

      Es walzt sie aus. Es übersetzt das Monströse ins Alltägliche. Es erfindet Verfahren, um Unerhörtes ins Register des Realen einzubauen; es schafft die Tasten, die den Benutzern leichten Zugriff auf bisher Unmögliches erlauben. Es sagt den Seinen: Ohnmacht gibt es nicht; was du nicht kannst, kannst du lernen. Zu Recht heißt es das technische Zeitalter.

      In den folgenden Kapiteln werden einige Kapitel aus der Katastrophengeschichte des 20. Jhdt repetiert um zu zeigen, durch welche Kämpfe und welche Traumata der menschliche Aufenthalt in atembaren Milieus zu einem Gegenstand expliziter Kultivierung hat werden müssen. Alle Wert-,Tugend-, Diskursethiken müssen hohl bleiben, solange sie nicht in die Klimaethik übersetzt sind. Ist der Terror der Vater der Wissenschaft von den Kulturen?

      poetische einleitung luftbeben

       gaskrieg oder: atmoterroristische muster

      das 20. jahrdt brachte die praxis des terrorismus

      das konzept des produktdesigns den umweltgedanken

      daneben inkommensurable leistungen in den künsten

      terrorismus stellte die interaktion

      zwischen feinden auf neue grundlagen

      produktdesign schleuste

      den funktionalismus in die wahrnehmung

      kunst brachte lebensaspekte und erkenntnisphänomene

      in nicht bekannte nachbarschaften

      alle drei beschleunigten die explikation

      es begann am 22. April 1915 um 18.00 Uhr

      chlorgase als kampfmittel der deutschen west-armee

      gegen französisch-kanadische infanteriestellungen

      nicht auf den körper des feindes sondern

      auf dessen Umwelt zu zielen ist terror im zeitgemäßen sinn

      Shakespeare „Ihr nehmt mir mein Leben,

      wenn ihr mir die Mittel nehmt, wodurch ich lebe“

      „moderne“ mittel

      ökonomische ökologische psychosoziale

      grund-bedingungen menschlicher existenz

      nun vom feind her den entzug der lebensbedingungen

      betreiben

      der „neue“ terrorist versteht seine opfer besser

      als sie sich selber

      tauche opfer in unlebbares milieu

      chemie gas zielt auf atmung

      zentralnervöse regulierungen

      temperatur tödliche strahlung

      die entwicklung führte in forschung über

      militärklimata giftwolkenkunde

      d i e wissenschaft des 20. jhdt.

      „blaukreuz“ durchdrang masken

      „gelbkreuz“ beschädigte den organismus

      erblindungen katastrophale nervöse dysfunktionen

      atemnot höchste verzweiflung

      wer das atmen nicht unterlässt

      wirkt am eigenen tod mit

      gaskrieg zwingt zu atmotechnischen

      innovationen

      klimabildende faktoren

      in menschlichen aufenthaltsräumen

      gerieten unter explikationsdruck

      humanismus und terrorismus wurden aneinander gekettet

      terrorismus verschmilzt person und sache

      wird gewalt gegen menschen-umgebende sachen

      ohne die personen nicht personen bleiben können

      feindschaft: der wille zur auslöschung des gegners

      terrorist ist wer sich die lebensbasis

      des gegners erarbeitet und für die tat verwertet

      nach 1918 gerieten bettwanzen singschnaken mehlmotte

      kleiderlaus die landwirtschaft die reinraumschaffung

      in mühlen schiffen kasernen lazaretten

      schulen getreide- und saatgutspeicher

      ins visier der chemiker

       dem 1924 entwickelten und patentierten