Paul-Heinz Schwan

Schaum-Welt-Komfort


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Isolation, denn

      -„wahre“- Kommunikation würde Kollision bedeuten.

      Ihre Abstimmung geschieht nicht im direkten Austausch zwischen den Zellen, sondern durch die mimetische Infiltration von ähnlichen Mustern, Erregungen, infektiösen Waren und Symbolen in jede einzelne Zelle.

      Die Zelle besteht aber nicht aus einem abstrakten Individuum, sondern in einer dyadischen –in jedem stecken zwei (s. Band I) – oder multipolaren Struktur. Ihre Monaden (Einzeller) sind Dyaden (mindestens zwei) oder komplexere Seelen-räumliche, gemeindliche und mannschaftliche Gebilde. Die Schaumzellen- “gesellschaft“ ist ein trübes Medium, das eine gewisse Leitfähigkeit für Informationen und Durchlässigkeit für Stoffe besitzt. Ausgießungen unmittelbarer Wahrheiten werden von ihm nicht weitergeleitet.

      Umfassende Übersichten stehen nicht zur Verfügung. Nachrichten sind selektiv übertragbar, Ausgänge ins Ganze gibt es nicht. Super-Visionen auf die Eine Welt unmöglich – und recht verstanden auch nicht wünschbar. Jede Lage im Schaum schafft eine Verschränkung von Umsicht und Blindheit. Jedes In-der-Welt-sein eröffnet eine Lichtung im Undurchdringlichen.

      Die Wendung zur pluralistischen Ontologie wird vorbedacht von der modernen Biologie und Metabiologie.

      „Jedes Lebewesen besitzt eine Spezialbühne, die genauso real ist wie die Spezialbühne des Menschen“…(Jakob von Uexküll)…eine polykosmische Agglomeration, eine Versammlung von Versammlern als semi-opaker Schaum aus weltbildenden Raumkonstruktionen.

      „Ein jedes Tierchen hat sein Pläsierchen“ hieß eine 1888 erschienene Gedichtsammlung von Edwin Bormann.

      Die Schäume in der Zeit des Wissens

      Die zarten Dinge werden spät Objekt. Das ist es, was sie mit den zahlreichen Selbstverständlichkeiten gemeinsam haben, die erst zur Auffälligkeit reifen, wenn sie verloren sind, und verloren sind sie in der Regel von dem Augenblick an, in dem sie in Vergleiche gezogen werden durch die sie ihre Gegebenheiten einbüßen:

      die Luft die wir gedankenlos atmen, die von Stimmungen gesättigten Situationen, in denen wir unbewusst existieren, die offenkundigen Atmosphären in denen wir leben, weben und sind sie alle stellen Spätankömmlinge im thematischen Raum dar, weil sie eine stumme Hintergrundausstattung im thematischen Raum bilden und bildeten.

      Bisher als diskrete Vorleistungen des Seins hingenommen, mussten sie Gegenstände der Sorge geworden sein, bevor sie zu solchen der Theorie gerieten.

      Sie mussten als fragil, verlierbar und zerstörbar erlebt werden, ehe sie zu bearbeitbaren Aufgabenfeldern avancierten. Der Hintergrund bricht sein Schweigen erst, wenn Prozesse im Vordergründigen seine Tragkraft überfordern.

      Wie weit musste es kommen, das Resonanzphänomene und interpsychische Verschränkungen in Beseelungsräumen zur Sprache gebracht werden konnte? Wieviel Verwüstung hingenommen werden, bis die konstitutiven Bedeutung von hinreichend guten Paarbeziehungen und Familienverhältnissen mit Respekt beschrieben werden konnten?

      Alles sehr Explizite wird dämonisch.

      Wehe dem, der Wüsten birgt: jetzt muss künstlich nachgebaut werden was früher als natürliche Ressource gegeben schien. Nun wird der Bedarf für Kulturwissenschaft für die Arbeit in Kulturtreibhäusern manifest.

      Um absolut zeitgenössisch zu sein, müssen wir voraussetzen, dass kaum noch etwas vorauszusetzen ist. Den Selbstverständlichkeiten wurde der Garaus gemacht. Sie werden zur sozialpolitischer Dauersorge. Wo „Lebenswelt“ war muss Klimatechnik werden.

      Revolution, Rotatation, Invasion

      Die Dämonie des Expliziten wächst in dem Maße, wie die Moderne den Fortschritt im Bewusstsein der Künstlichkeit vollzieht. Wenn Hintergründiges, bisher Unerwähntes zur Vorlage gebracht und ausgewalzt werden, dann zeugen diese Vorgänge von der radikal veränderten Stellung der Wissenden zu den jetzt gewussten Gegenständen, die früher anders oder nicht gewusst wurden.

      Was in diesem Zusammenhang „Revolution“ bedeutet, kann mit einem Blick auf die Durchbrüche und Freilegungen der Anatomen hinsichtlich des menschlichen Körpers erfasst werden. Dem herkömmlichen Dunkel der Eigenleiblichkeit werden nun die Organkarten und Bau-Zeichnungen der inneren Maschinenwelt gegenübergestellt. Ich muss jetzt auf anatomische Karten schauen um ihre Botschaft annehmen: Das bist du!

      Und von nun an kann nichts mehr zurück in die Naivität des Daseins vor dem Operieren-Können. Neuzeit ist Anatomenzeit, Zeit der Schnitte, der Invasionen, der Penetrationen, der Implantationen in den dunklen Kontinent, die ehemalige Lethe. Das E x p l i z i t m a c h e n ist kein reiner Diskurs.

      In der „Neuzeit“ operieren Subjekt sich selbst mit Karten über das eigene die ihnen Angriffspunkte des Selbst-Eingriffs vorzeichnen. Ein unvermeidlich unvollkommenes doch stets erweiterbares Durchgreifenkönnen in den eigenen somatischen und psychosomatischen Innengrund.

      Wenn Implizites explizit wird: Phänomenologie

      Der Haushalt des Wissens gerät durch unaufhörliche Invasionen der Intelligenz ins Verborgene in Bewegung: d. h. für die Tradition: das den Menschen die Ankunft der Gegenstände nicht auf einmal enthüllt werden sollten. Das Explizite knüpft am Impliziten an, wird eine Geschichte, eine Erzählung, vom Druck ausführlicher Erwähnung und Entwicklung entlastet, nicht schon im nächsten Augenblick abrufbar,

      nicht vom Diskursregime mobilisiert.

      Wo sie anspruchsvoll wird, trägt sie einen Namen: Phänomenologie: Gegenstände treten in Erscheinung und machen sich bereit für die logische Würdigung. Der Zeitpfeil des Denkens strebt auf höhere Explizitheit zu, mobilisiert die Argumente, der epistemische Zeitgeist hat zum Einsatz gerufen. Die wahre Geschichte des Wissens hat die Form des Phänomen-Werdens von vormals Nichterschienenem – des Übergangs vom Unbeleuchtetem in Beleuchtendes oder von Schattengegebenheiten in Vordergrund-Thematik. Reales Wissen: So nennen wir die Diskurse, die die lange Nacht der Implikationen durchlebt haben und sich im Tag des Thematisch – Ausgebreiteten tummeln.

      Der Glaube des alteuropäischen Wissenszuwachses stützte sich auf die Unterstellung, dass das spätere Wissen nichts anderes ausbreitet als das, was in den frühen Implikationen mitgegeben war. Phänomenologen verbreiteten die gute Nachricht, es gäbe kein Außen, dem nicht ein Inneres entspräche, kein Fremdes das nicht durch Aneignung ins Unsere eingearbeitet werden könnte. Noch im 15. Jhdt dachte Nikolaus von Kusanus an die Symmetrie von „Gott in einem Punkt“ bis zu „Gott als Entfaltung der All-Kugel“ und seinem menschlichen Mit-Denken-Können auf dieser großen Analogie.

      Wo der Optimismus in der alten Zeit den Ton angab, war man von der Verträglichkeit des neuen Wissens mit dem alten, erprobten, bewährtem überzeugt. Wie aber, wenn sich zeigen ließe, das mit dem Explizitwerden des Impliziten zuweilen etwas völlig eigensinniges, Fremdes, Andersartiges, etwas nie Mitgemeintes, nie Erwartetes und nie zu Assimilisierendes ins Denken eindringt? Wenn nicht mehr zutrifft, das das Subjekt im Neuen „zu sich“ käme? Ein bis zuletzt Fremdbleibendes, Äußeres, Ungeheures in die Ordnung des Wissens eindringt?

      Ungeheures erscheint

      Der Haushalt des Wissens gerät durch unaufhörliche Invasionen der Intelligenz ins Verborgene in Bewegung: d. h. für die Moderne: alles Explizit machen, mitgerissen vom Strom der vom Hintergrund in den Vordergrund fließt, heißt Forschung. In dieser Zeit sah sich die Phänomenologie als Rettungsdienst für die Phänomene in einer Zeit, in der die Erscheinungen nicht von selbst auffällig werden.

      Nun fällt etwas nicht mehr „von selbst“ ins Auge, sondern wird durch Forschung, invasive Explikationen; Messungen, Maschinen, künstliche Sensoren, zur Sichtbarkeit befördert. Jetzt werden die Sachverhalten zum Erscheinen genötigt: wie etwa die anatomischen Tatsachen die seit dem 16. Jhdt kein Humanismus mehr in das runde Bild vom lesenden Menschen zu integrieren vermochte oder