H. G Götz

Caromera


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Stuhl, auf dem er kurz zuvor noch gesessen hatte und setzte sich.

      „Es scheint, dass Hauptman seinen Plan tatsächlich in die Tat umsetzt.“

      Lampert sah mit starren Blicken geradeaus.

      „Das kann doch nicht sein“, erwiderte Bogwin.

      „Miguel hat mir gerade erzählt das in der ganzen Stadt, ja selbst in den kleineren Städten und Dörfern um Prudencia herum, ältere und kranke Menschen plötzlich wie die Fliegen sterben. Zu hunderten werden sie aus den Häusern geholt und dort begraben, wo Platz ist.“ Lampert sah ihn mit vor Schreck erstarrten Augen an. „Aber wie kann denn das sein“, fragte ihn Bogwin, der sich ebenfalls wieder hingesetzt hatte. Erschrocken sah er Lampert von der Seite her an.

      „Miguel hat es mir gerade erzählt. Als er das letzte Mal, vor zehn Tagen in der Stadt war, schien alles wie gewohnt zu sein. Heute konnte er kaum einen freien Platz in den Parks, ja selbst auf den umliegenden Wiesen und Feldern sehen, auf dem keine Gräber ausgehoben waren. Mittlerweile mussten sie sogar beginnen die Toten zu verbrennen, weil es keinen Platz mehr gab, wo sie diese …!“

      Stille trat ein. Keiner wusste noch ein Wort zu sagen. Bogwin war es, der als erster aus seiner Lethargie erwachte.

      „Damit nicht genug“, fuhr Lampert fort. „Es wird erzählt, dass mehrere Mitglieder des obersten Rates von einem Tag auf den anderen verschwunden sind.“ „Sie sind einfach nicht mehr aufgetaucht. Kleiner ist auch dabei!“

      Lampert blickte seinen Freund vielsagend an. „Wie kann es sein, dass niemand Verdacht schöpft.“ Bogwin hatte sich, nachdem er den ersten

      Schock überwunden hatte, wieder an Lampert gewandt. „Natürlich wird über dieses und jenes gemunkelt“, ließ er ihn wissen.

      „Doch was können sie von einem Volk erwarten, dass am Verhungern ist? Dass es aufsteht und sich um Tote kümmert, wenn sie doch selbst auf bestem Wege sind, ihr

      Leben zu verlieren?“

      „Miguel hat erzählt, dass plötzlich Soldaten in Prudencia aufgetaucht sind. Einheiten, die dafür sorgen sollen, dass keine Panik im Land entsteht. So sagt man zumindest.“

      „Diese haben auch die Verantwortung über die Verteilung der Lebensmittel übernommen.“

      Lampert sah starr geradeaus, während er weitersprach.

      „Die einen glauben, dass es der Hunger ist, die die

      Menschen dahinrafft. Die anderen glauben, dass es eine Krankheit ist, die unter den gegebenen Umständen, umso leichter ihre Opfer findet. Andere glauben, dass es mit dem Auftauchen der Söldner zu tun hat!“ Lampert hatte sich während des Redens nach vorne gebeugt. Die Hände ineinander verschränkt, sprach er leise weiter.

      „Das was sie verteilen, reicht kaum aus, um einen

      Menschen zu ernähren, geschweige denn eine vierköpfige

      Familie.“

      „Wer sich dagegen auflehnt, wird von Söldnern zusammengeschlagen. Die Menschen getrauen sich fast nicht mehr, auf die Straße zu gehen.“

      Ein paar Sekunden vergingen, in denen keiner der beiden ein Wort zu sagen wusste.

      Schließlich tat Lampert einen Seufzer, der tief aus seiner Seele zu kommen schien.

      „An bestimmten Tagen wird eine Medizin ausgegeben“, sagte er weiter.

      „Diese soll, die Bevölkerung davor schützen, krank zu werden. Jeder in der Stadt ist verpflichtet, diese einzunehmen. Wer sich weigert, diese einzunehmen, erhält keine Nahrungsmittel, die ohnehin knapp bemessen sind!“

      Lampert wandte den Kopf, sah seinen Freund mit einem vielsagenden Blick an.

      Beiden war augenblicklich bewusst, dass Hauptman sich tatsächlich daran gemacht hatte, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

      Miguel hatte damit begonnen, die Sachen aus dem Wagen auszuladen.

      Auch ihm war anzusehen, dass ihm die Neuigkeiten schwer zu schaffen machten. Immer wieder schüttelte er den Kopf, formte Worte, welche für die anderen keinen Sinn ergaben.

      Nach einer Weile war es wieder Lampert, der zu sprechen ansetzte.

      „Miguel hat aber auch etwas anderes aufgeschnappt“, begann er.

      „Es gibt Menschen, denen das Ganze offensichtlich nicht ganz geheuer vorkommt. Es hat sich so etwas wie eine kleine Gruppe gebildet, die sich daran gemacht hat, gegen den neu gebildeten Rat zu protestieren, weil sie glauben, dass dieser etwas mit den ganzen Vorkommnissen zu tun hat.“

      Er sah Bogwin vielsagend an.

      Bogwin, der das Gehörte erst verdauen musste, sagte schließlich: „Ja aber, was sagt den das Ausland dazu? Auch wenn wir ein noch so unbedeutendes kleines Land sind. Es muss doch anderen Ländern auffallen, was hier vor sich geht!“

      „Es gibt keine Verbindung mehr nach draußen“, erwiderte Lampert auf die Einwände Bogwins.

      „Es gibt keine Funkverbindung mehr nach draußen, kein Telefon, das funktioniert. Selbst die Ein- und Ausreise aus Caromera ist nicht mehr möglich.“

      Lampert hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und den Kopf an die hohe Rücklehne gelegt.

      „Das heißt, wir sind auf uns allein gestellt!“

      Endlos lange kam es Bogwin vor, dass sie einander etwas gesagt hatten. Dann, als er es schließlich nicht mehr aushielt sagte er zu Lampert: „Wie müssen mehr über die

      Gruppe erfahren, die sich gegen den Rat gewandt hat!“ Die Antwort Lampert ließ nicht lange auf sich warten.

      „Ich bin ganz ihrer Meinung lieber Freund. Gegen diesen

      Wahnsinn muss etwas getan werden. Je eher …!“ Schon war er dabei von seinem Stuhl hochzuspringen.

      Bogwin hielt ihn zurück.

      „Langsam lieber Freund. Es bringt niemanden etwas, wenn wir blindlings, ohne einen Plan zu haben, zurück nach

      Prudencia fahren.“

      „Was schlagen sie vor“, fragte Lampert.

      „Wir können nicht allzu lange warten. Jeden Tag sterben Menschen und ich glaube kaum, dass dieser Hauptman eher damit aufhört bis ihm jemand Einhalt gebieten.“

      Bogwin schüttelte den Kopf.

      „Ich denke, so einfach ist die Sache nicht. Wir können nicht einfach zurück nach Prudencia, uns einen Knüppel schnappen und damit vor dem Ratsgebäude auftauchen.“

      Lampert gab sich einsichtig.

      „Sie haben ja recht. Nur …!“

      „Ich schlage vor das wir den guten Miguel so schnell wie möglich zurück in die Stadt schicken, damit dieser herausfindet, wie wir Kontakt mit dieser Gruppe aufnehmen können.“

      Lampert überlegte eine Weile und sagte dann: „Das klingt vernünftig. Ich werde noch heute Abend mit

      Miguel sprechen. Er hat noch ein oder zwei Freunde in Prudencia, bei denen er so lange unterkommen kann bis er etwas erfahren hat.“

      „Gut“, erwiderte Bogwin. „So machen wir das!“ Die Neuigkeiten aus der Stadt hatten ihm das bisschen Frieden geraubt, dass in ihm übriggeblieben war. Doch nun, angesichts der ungeheuerlichen Tatsachen, die sie durch Miguel erfahren hatten, war keine Zeit mehr um sich nur um das eigene Wohlbefinden Sorgen zu machen.

      „Ich verstehe nicht, wie es Hauptman gelungen sein soll, dass alles zu finanzieren“, gab Bogwin schließlich zu bedenken.

      „Woher hat er die Mittel? Diese Einheiten, von denen Miguel gesprochen hat, das Mittel, dass er dem Volk aufzwingt. Woher kommen plötzlich die Lebensmittel, die wenn sie auch nur in geringen Mengen verteilt werden, dennoch vorhanden sind?“

      Auf