Patricia Weiss

Das Lager


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alten Mercedes, ließ den Motor an und brauste mit Kavaliersstart davon.

      Laura folgte in vorsichtigem Abstand.

      2

      Eine Stunde später kehrte Laura in ihr Büro zurück. Koscewskij war ohne Umwege zu seinem Wohnort gefahren, es war ein Kinderspiel gewesen, seine Adresse herauszufinden. Zufrieden setzte sie sich mit einem Milchkaffee, ein paar Keksen und der Tageszeitung in die Kaffeeküche.

      Die Schlagzeile über die Frauenleiche im Dornheckensee sprang ihr sofort ins Auge. Während sie an einem Löffelbiskuit knabberte, überflog sie den Artikel. Der Hund eines Spaziergängers hatte die Frau im See gefunden. Neben dem Text prangte das Foto eines Golden Retrievers, der treu in die Kamera blickte. Der Polizeichef wurde in gestelztem Beamtendeutsch zitiert, dass er ein Fremdverschulden, das zum Eintritt des Todes geführt habe, nicht ausschließen könnte. Um wen es sich bei der Toten handelte, war noch nicht bekannt, außerdem wurde auf das Badeverbot im See hingewiesen.

      Laura starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Sie kannte den Dornheckensee gut. Früher war sie oft mit Schulfreunden dorthin zum Baden gegangen. Sie hatten ihre Decken auf der großen Liegewiese ausgebreitet und die freien Nachmittage in der Sonne genossen. Das Publikum war bunt gemischt gewesen und die Stimmung entspannt und fröhlich.

      Sie nahm sich ein Wasser und ging in ihr Büro, um im Internet weitere Informationen über den Leichenfund zu suchen. Die Boulevardzeitungen übten wenig Zurückhaltung und spekulierten wild ins Rotlichtmilieu und die Türsteher-Mafia hinein. Ihrer Meinung nach war die Tote eine Prostituierte, die bei Sexspielchen mit einem stürmischen Freier gestorben war. Andere Zeitungen vermuteten, dass eine kriminelle Bande aus Köln dahinterstecken könnte. Laura kam das abwegig vor. Warum sollten die so weit fahren, um eine Leiche zu entsorgen? In der Umgebung von Köln gab es genug Seen, die schneller zu erreichen waren. Doch die Schlussfolgerung, die sich daraus ergab, verursachte ihr Unbehagen:

      Trieb ein Psychopath mitten in Bonn sein Unwesen?

      Das Telefonklingeln riss sie aus ihren düsteren Gedanken.

      Eine Männerstimme mit leichtem Akzent, den sie nicht direkt zuordnen konnte, erkundigte sich, ob die Position als Detektiv noch frei sei. Laura hatte in den letzten Wochen mehrere Anzeigen in Zeitungen und Internetportalen aufgegeben, um Verstärkung zu finden. Die Resonanz war ernüchternd gewesen. Es hatten sich nur übergewichtige Rentner gemeldet, die nachts, wenn sie nicht schlafen konnten, gemütlich am Empfangstresen einer Firma hocken, Chips essen und fernsehen wollten. Doch dieser Mann, der sich als Marek Liebermann vorstellte, hörte sich vielversprechend an.

      Erfreut lud sie ihn ein, vorbeizukommen.

      ***

      Marek Liebermann war groß, athletisch und als er in Lauras Büro trat, schien er den ganzen Raum auszufüllen. Sie bot ihm einen Platz an und musterte ihn verstohlen. Dunkle Haare, dunkle Augen, ein leicht amüsierter Gesichtsausdruck. An seinem Hals fiel ihr ein Lederband auf, das im Ausschnitt des weißen T-Shirts verschwand. Ob daran ein Anhänger befestigt war? Oder ein Ehering? An seinem Finger trug er jedenfalls keinen.

      „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

      Dankend akzeptierte er ein Wasser und versuchte, seine großen Füße unter dem Tischchen zu platzieren.

      „Sie interessieren sich für die Mitarbeit in meiner Detektei, haben Sie Erfahrung in diesem Metier?“

      Marek lächelte und lehnte sich entspannt zurück. „Ich bin seit zwanzig Jahren in der Branche. Früher hatte ich eine eigene Detektei in Warschau. Vor zehn Jahren bin ich nach Deutschland gekommen und habe bei verschiedenen Agenturen gearbeitet. Wachschutz, Ermittlungen, Beschattungen, das ganze Programm.“

      Laura fragte ihn nach Einzelheiten zu seinen beruflichen Stationen und sprach schließlich den letzten, heiklen Punkt an, die finanziellen Konditionen. Ein fürstliches Gehalt, wie er es vermutlich gewohnt war, konnte sie ihm nicht bieten, doch zu ihrem Erstaunen wurden sie sich schnell einig.

      „Dann freue ich mich, dich in der Detektei Peters herzlich willkommen zu heißen, Marek. Auf eine gute Zusammenarbeit. Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass wir uns duzen?“ Laura erhob sich und schüttelte ihm die Hand.

      „Natürlich. Ich freue mich auch.“ Marek grinste und sah sich in ihrem Büro um. Sein Blick blieb an ein paar Büchern hängen, die auf dem Schreibtisch zu einem Turm gestapelt waren. „Sherlock Holmes? Nur von den Besten lernen, hm?“

      „Ich fand, es hätte eine gewisse Komik.“

      Marek lachte. „Wenn man alles Unmögliche ausgeschlossen hat, muss die Wahrheit übrig bleiben, so unwahrscheinlich sie auch klingt. Das ist doch Sherlock Holmes, der das gesagt hat?“

      Laura nickte.

      „In der Theorie stimmt das natürlich.“ Er nahm eines der Bücher vom Schreibtisch und blätterte darin.

      „In der Praxis nicht?“ Laura verschränkte die Arme und sah ihn amüsiert an.

      „Doch, auch. Leider hat man nie alle Informationen vorliegen. Wenn nach dem Ausschlussverfahren eine unwahrscheinliche Lösung übrig bleibt, gibt es meiner Erfahrung nach meist eine Lösung, die man übersehen hat.“

      „Alles eine Frage sorgfältiger Recherche.“

      „Und Intuition und Einfühlungsvermögen. Die wahren Abgründe im Inneren eines Menschen lassen sich nicht recherchieren. Die musst du erspüren.“

      „Du meinst Profiling? In den Kopf des Täters gehen, mit seinen Augen sehen, seine Gedanken fühlen?“

      Marek nickte.

      „Ich fürchte, dazu bin ich nur begrenzt in der Lage.“ Laura griff nach der Zeitung, die auf dem Tisch lag, und hielt den Artikel über den Mord am Dornheckensee hoch. „Was ging in dem Täter vor, als er das Mädchen ermordete? Es wird vermutet, dass er sie vor ihrem Tod gequält und missbraucht hat. Bestimmt kriegt er nur einen hoch, wenn er die Qualen seines Opfers sieht. Ich kann das nicht nachempfinden. Es stößt mich zu sehr ab.“

      Marek lachte. „Das ehrt dich, aber Vorbehalte und Schwarz-Weiß-Denken stehen einem bei unserer Arbeit nur im Wege. Die Einteilung in Gut und Böse ist irrelevant für die Suche nach dem Täter. Genauso das Mitleid mit dem Opfer. Es trübt deinen Blick. Du musst deinen Geist freimachen von Moralvorstellungen und sexueller Verklemmtheit. Es gibt nur die Bewertung, ob mir etwas Vergnügen und Lust bereitet oder ob es mich langweilt.“

      „Ob es mir Vergnügen bereitet?“

      „Ja, mir, dem Täter. Wenn ich in seinem Kopf bin und so denke wie er, bin ich der Täter.“

      „Wird man da nicht irgendwann selbst zum Psychopathen?“

      Marek lächelte sardonisch.

      „Das kann passieren. Manch einer hat den Weg aus der Dunkelheit nicht wieder zurückgefunden.“ Einen Augenblick starrte er abwesend auf die Zeitung, dann wechselte er abrupt das Thema. „Haben wir schon einen Fall?“

      Laura nickte und erzählte ihm bereitwillig von der ersten Klientin.

      „Koscewskijs Adresse hast du also schon. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wovon er lebt und mit wem?“

      „Genau. Das sollte nicht mehr allzu schwer sein. Wir können ihn morgen früh beschatten, dann werden wir sehen, wo er arbeitet.“

      „Sofern er tagsüber arbeitet“, wandte Marek ein. „Für den Fall, dass er Schichtarbeit macht oder Nachtwächter ist, sollten wir uns bereits heute Abend auf die Lauer legen.“

      „Stimmt, guter Punkt. Kannst du das übernehmen? Als erste Amtshandlung sozusagen?“

      „Kein Problem.“ Marek sprang auf. „Ich mache mich gleich auf den Weg. Je schneller wir die Informationen haben, desto besser. Wir sehen uns morgen.“