Patricia Weiss

Das Lager


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      „Wusste ich doch, dass du noch fleißig bist. Aber du solltest es am ersten Tag nicht übertreiben. Komm, ich habe Sekt mitgebracht, wir stoßen auf deine Karriere und dein neues Leben an.“

      Barbara zog eine Flasche aus ihrer großen Schultertasche und trat in Lauras Büro.

      „Schön, dass du mich besuchen kommst. Setz dich, ich hole uns zwei Gläser.“

      Als Laura ins Büro zurückkam, sah sie, dass ihre Freundin sich umsah und sie dann kritisch musterte.

      „Was hast du mit deinen Haaren gemacht? Selbstkasteiung? Oder hast du eine Wette verloren?“

      „Das ist praktischer.“ Laura presste die Lippen aufeinander.

      „Praktischer? Wenn du meinst. Aber es geht dir gut, oder? Das Thema Hendrik ist endgültig abgeschlossen?“

      „Klar. Sag mir lieber, wie du mein neues Reich findest?“

      Barbara schaute Laura einen Augenblick prüfend an, dann entschloss sie sich, auf den Themenwechsel einzugehen.

      „Sehr schön. Noch ein bisschen kahl, aber das ändert sich sicher bald. Mir gefällt der Schreibtisch. Sehr modern.“

      „Vielen Dank. Ja, es ist noch viel zu tun. Aber ich muss jetzt erst mal Geld verdienen, sonst sind die Rücklagen schnell aufgezehrt. Heute ist es gut gelaufen. Ich habe den ersten Auftrag bekommen und einen Mitarbeiter gefunden.“

      Die beiden nippten an ihrem Sekt, sie hatten die Sandalen abgestreift und die nackten Füße auf den Tisch gelegt. Eine angenehme Brise wehte durch die Terrassentür herein.

      „Worum geht es in deinem Fall? Mord und Totschlag?“

      „Natürlich nicht. Solche Aufträge nehme ich nicht an. Aber ich kann dir keine Details erzählen. Wenn ich in den Ruf komme, über meine Fälle zu reden, kann ich den Laden gleich wieder dichtmachen.“

      „Ist klar. Obwohl, neugierig bin ich schon.“

      „Das verstehe ich. Übrigens, hast du von dem toten Mädchen im Dornheckensee gelesen?“

      „Ja, schrecklich. Ob sie aus Bonn stammt?“

      „Wohl kaum, sonst hätte man sie doch längst identifiziert.“

      „Wer weiß? Es gibt viele Illegale in der Stadt, die im Verborgenen leben. Wer ihr das wohl angetan hat?“

      Laura zuckte die Schultern. „Ein Perverser. Sie werden ihn hoffentlich bald finden. Es ist ein unangenehmer Gedanke, ihn auf freiem Fuß zu wissen.“

      „Das arme Mädchen.“ Barbara senkte den Kopf und fuhr mit dem Finger über den Rand des Glases. „Keinen interessiert es, wer sie war. Alles, was man von ihr in Erinnerung behalten wird, ist, was ihr Mörder ihr angetan hat.“

      „Ja, Liebende werden durch den Tod getrennt, Opfer und Täter auf ewig miteinander verbunden. Das ist perfide.“

      „Etwas pathetisch formuliert, aber leider richtig.“

      Laura nickte und starrte nachdenklich auf ihr Glas. Schweigen breitete sich aus und lastete schwer wie eine Decke. Auf der Straße lachten ein paar Jugendliche, das brach den Bann.

      „Jetzt lass uns nicht trübsinnig werden. Heute ist dein großer Tag, den sollten wir feiern. Erzähl mir von deinem Detektiv. Wie sieht er aus? Was für ein Typ ist er? Sag bitte nicht, dass du einen Rentner mit Bierbauch eingestellt hast.“

      „Beworben haben sich jedenfalls genug. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, jemand Vernünftiges zu finden. Zum Glück hat sich Marek gemeldet. Seine Pensionierung ist noch in weiter Ferne. Allerdings scheint er eher ein Einzelgänger zu sein, der gerne seine eigenen Entscheidungen trifft.“

      „Also ganz anders als du.“ Aus Barbaras Worten war die Ironie nicht zu überhören.

      „Du hast ja recht.“ Laura lachte. „Ich bin auch nicht der geborene Teamworker. Aber wenn der Laden laufen soll, müssen wir zusammenarbeiten. Ich bin gespannt, ob es funktioniert.“

      „Du machst dir zu viele Gedanken. Entspann dich, es wird schon klappen. Und wenn nicht, suchst du dir einfach einen anderen Detektiv. Sieht er gut aus? Wäre doch schön, wenn du mal wieder auf andere Gedanken kämest.“

      „Was redest du da? Er ist sympathisch, aber irgendwelche emotionalen Geschichten sind das Letzte, woran ich zurzeit denke. Ich möchte die Agentur ans Laufen bringen. Alles andere ist sekundär.“ Sie holte tief Luft und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Außerdem glaube ich nicht, dass er der Typ für eine feste Beziehung ist.“

      Barbara lachte laut auf. „Dann passt ihr gut zusammen. Du willst ja seit dem Desaster mit Hendrik auch keine feste Bindung mehr. Ich freue mich schon darauf, ihn kennenzulernen. So, meine Liebe, ich muss los.“

      Sie sprang auf, schlüpfte in ihre Sandalen und schwang sich die reich verzierte Tasche über die Schulter. An der Verandatür drehte sie sich um.

      „Ich kenne jemanden, der dich bei dem organisatorischen Kram unterstützen könnte. Eine junge Frau, eher der ungewöhnliche Typ, mit vielen nützlichen Fähigkeiten. Du kannst sie dir ja mal anschauen. Ich schicke sie dir morgen vorbei. Und lass deine Haare wieder wachsen.“

      5

      Marek verfolgte Koscewskij seit Stunden.

      Nach dem Wutausbruch vor der Villa in Bad Honnef hatte Koscewskij sich in sein Auto gesetzt und war kreuz und quer durch die Gegend gefahren. Marek hatte den Eindruck, dass er sich erst klar werden musste, was er als Nächstes tun sollte. Schließlich fuhr er auf die Autobahn Richtung Köln und dreißig Minuten später stellte er sein Fahrzeug in der Parkgarage unter dem Dom ab.

      Marek folgte ihm in die zwielichtigen Gässchen des Viertels hinter dem Hauptbahnhof. Eine Spelunke reihte sich an die andere, in dunklen Ecken wurden Drogen verkauft und Prostituierte boten ihre Dienste an. Koscewskij steuerte eine Kneipe an, schaute kurz in den Gastraum und setzte dann seinen Weg fort zur nächsten Schenke. Marek überlegte, ob er den Besitzer der Hochsicherheits-Villa suchte. Allerdings war es schwer vorstellbar, dass die Gestalten, die sich hier herumtrieben, solche Häuser besaßen.

      Inzwischen waren sie bis zum finsteren Herz des Viertels vorgedrungen. Marek hatte Gerüchte gehört, dass dieser Ortsteil fest in krimineller Hand war und dass sogar die Polizei einen Bogen darum machte. Koscewskij schien das nicht zu stören. Ohne zu zögern, öffnete er die Tür der berüchtigtsten Kneipe der Stadt. Und dieses Mal kam er auch nicht gleich wieder heraus.

      Marek seufzte, dann stürzte er sich in die Nacht.

      

      

      

      

      IV. Polen, Ende April 1940

      

      

      Es war sein Geburtstag. Er war dreizehn geworden, aber er fühlte sich schon lange wie ein Erwachsener. Von seinem Vater und von den Brüdern, die in den Krieg gezogen waren, hatten sie seit letztem September nichts mehr gehört. Er vermied es, darüber nachzudenken. Solange sie fort waren, kümmerte er sich um die Familie.

      Es war das erste Mal, dass es an seinem Geburtstag keinen Kuchen gab. Seit die Deutschen einmarschiert waren, war es schwer, an Butter, Zucker oder Eier zu kommen. Mutter hatte deswegen geweint. Das war ihm peinlich gewesen. Er brauchte keinen Kuchen. Jetzt war Krieg, da musste man auf vieles verzichten.

      Die Deutschen sind Bestien, sagte seine Mutter immer.

      Es gab