Katharina Maier

Frevlersbrut


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Schöpfungen. Plötzlich schwang die Hintertür des Hauses auf, und Synnda Pánn trat in die heimelige Hitze des späten Nachmittags hinaus. Lys blickte von ihrer Arbeit auf und ihrer Mutter begierig entgegen. Die Witwe erwiderte die Erwartung in den Augen ihrer Tochter mit unbewegter Miene.

      »Gerade war ein junger Mann bei mir, um mit mir zu sprechen«, sagte sie nach einem Moment. Lys’ Gesicht leuchtete wie eine Kerze, doch die Miene ihrer Mutter veränderte sich nicht, und das Strahlen verdunkelte sich.

      »Was hast du zu ihm gesagt?«

      »Ich habe ihm noch keine konkrete Antwort gegeben.« Synnda Pánn konnte sehen, wie ihre Tochter regelrecht in sich zusammenfiel, und seufzte. »Lys, Liebling, bist du dir sicher, dass es das ist, was du willst?«

      Das eifrige Nicken ihrer Tochter brach der Töpferin fast das Herz.

      »Mama, ich liebe Eftnek Neoly!«

      Wieder seufzte Synnda Pánn. »Das mag ja sein, Kind, aber du weißt nicht, worauf du dich da einlässt. Er ist der Erste Sohn einer Großen Alten Familie. Er stammt aus dem Zentrum des Reiches! Du hast keine Ahnung, was das bedeutet.«

      »Mama, du weißt doch selbst, dass Eftnek nicht so ist wie die anderen Murrapynnai!«

      Die Nordlerin an Lys’ Seite lachte tirilierend. »Hast du gerade wirklich deinen Herzallerliebsten einen ›Reichling‹ genannt? Du verbringst eindeutig zu viel Zeit mit Nohaín und mir, Lys Feuerstein.«

      Lys funkelte ihre Freundin an. »Nicht jetzt, Ahn! – Mama, schon allein, dass Eftnek genug über die Bräuche auf Yallchá wusste, um dich um meine Hand zu fragen, zeigt doch, wie aufgeschlossen er ist. Und er hat mir meine Freiheit versprochen!«

      »Und was hast du ihm als Gegenleistung versprochen?«

      »Respekt«, antwortete sie und schob das Kinn vor. Wenn ihre Mutter auf einen Kampf bestand, dann sollte sie ihn haben. Lys Pánn hatte schon ihr ganzes Leben genau gewusst, wenn sie etwas wollte, und jetzt war das Eftnek Neoly.

      Die Töpferin stieß ihren dritten Seufzer aus. »Liebling, ich will ja gar nicht an ihm zweifeln – oder an dir. Aber du wirst nicht nur Eftnek heiraten, sondern auch seine Familie. Eine der Großen Alten! Dafür habe ich dich nicht erzogen, Lys.«

      »Hier sitz’ ich, forme Menschen Nach meinem Bilde«, sagte die Nordlerin in ihrem Singsangton, und kleckste einen schwarzen Punkt auf ihre Leinwand. »Sei vorsichtig, Töpferin.«

      Synnda Pánn blickte die Malerin mit sanftem Tadel an. »Sannáh, Schatz: Lys und ich führen gerade ein sehr wichtiges Gespräch. Und ich werde dich jetzt sicher nicht fragen, wie du auf die Idee kommst, ich würde Terraner töpfern wollen.«

      Sannáh summte ein wenig, ohne auf die Rüge einzugehen. »Der Holzsteinschnitzer liebt Lys wie verrückt.«

      »Ja«, entgegnete die Töpferin trocken. »Das habe ich inzwischen begriffen.«

      Lys dagegen betrachtete ihre Freundin mit verengten Augen. »Willst du mir irgendetwas sagen, Ahn?«

      Sannáh ließ nachdenklich ihren Pinsel sinken. »Er ist tief wie ein Urwald, der Holzsteinschnitzer. Aber er hat dunkle Wurzeln.«

      Lys sackte der Unterkiefer herunter. »Ich dachte, du wärst auf meiner Seite!«

      »Wer hat gesagt, dass ich das nicht bin?«

      »Und was soll das dann mit den ›dunklen Wurzeln‹? Das klingt, als hätte er irgendein düsteres Geheimnis oder als würde er von innen heraus vergiftet!«

      »Das habe ich nie gesagt«, entgegnete Sannáh sanft. »Wieso hörst du mir nicht zu?«

      »Meine Tochter ist verliebt, Sannáh«, meinte Synnda Pánn. Die Trockenheit war noch in ihrer Stimme, aber die Härte war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie seufzte ein letztes Mal. »Wir können heute Abend mehr darüber reden, Lys. Aber ich möchte, dass du eines gleich weißt: Wenn du ihn wirklich willst, dann werde ich dir nicht im Weg stehen. Natürlich werde ich das nicht. Doch du musst dir darüber im Klaren sein, worauf du dich einlässt.«

      Mit diesen Worten wandte sich Synnda Pánn ab und ging zurück ins Haus. Sie hätte es besser wissen sollen, als ein solches Gespräch in Sannáhs Gegenwart zu beginnen. Manchmal fragte sie sich, wie Tante und Onkel Kenntemp mit dem Mädchen überhaupt zurechtkamen, bodenständige Leute, die sie waren. Besagtes Mädchen blickte Synnda Pánn nach und klopfte gedankenverloren mit ihrem Pinsel gegen ihr Knie, der unbekümmert schwarze Farbspritzer auf ihrem hellen Kleid verteilte.

      »Wähntest du etwa, Ich sollte das Leben hassen, In Wüsten fliehn, Weil nicht alle Knabenmorgen-Blütenträume reiften?«, sagte sie, wieder in ihrem Singsangton, und Lys rollte die Augen.

      »Ahn, du liest eindeutig zu viel terranisches Zeugs. Und glaub ja nicht, dass ich so schnell vergesse, was du über Eftnek gesagt hast. ›Dunkle Wurzeln‹, also wirklich! Und ich mag es nicht, wenn du ihn ›der Holzsteinschnitzer‹ nennst. Er hat einen Namen, weißt du!«

      Sannáh wandte ihren ruhigen Blick ihrer Freundin zu. »Du hörst eine Beleidigung, wo es keine gibt, Lys Feuerstein.«

      Diese schmollte immer noch ein bisschen, auch wenn sie sich in Wahrheit über ihre Mutter ärgerte, die sie eben wie ein kleines Kind behandelt hatte, und nicht über Sannáh.

      »Ich habe dich nie etwas Ähnliches über Nohaín sagen hören – irgendein ominöses Gerede über seine Dunkelheit.«

      »Weil er keine hat, Lys. Glaub mir, Nohaín ist nicht das Problem.«

      »Aber Eftnek schon, ja?«

      »Vielleicht nicht«, entgegnete Sannáh und strich abwesend einen weiteren schwarzen Wirbel in ihr Bild. »Aber ich ganz bestimmt.«

      Schwelle

      Myn liegt auf ihrem Rücken und starrt hinauf in das begrünte Geäst eines Baumes, der ihr riesig erscheint, obwohl ihr Richard Shelton versichert hat, dass seine Dimensionen für die Erde keineswegs außergewöhnlich sind. Da um sie herum noch eine ganze Reihe weiterer Exemplare derselben Sorte stehen, glaubt sie dem Terraner. Er hat eine Pause vorgeschlagen nach all dem, was sie ihm gerade erzählt hat, und sie hierhergebracht, zwischen die Bäume und ins Grüne. Myn verwundert das nicht. Sie liegt auf einer grauenvoll bunt karierten Picknickdecke, die ihrerseits auf unerhört dichtem, weichem Gras gebettet ist. Die Wiese ist mit winzigen Blumen durchsetzt, die sich stellenweise zu kleinen Grüppchen zusammenfinden, und wirft sanfte Hügelchen, die Myn an ihr heimatliches Meer erinnern. Richard Shelton sitzt neben ihr auf der Picknickdecke und kaut an einem Sandwich, das Myn ihm zuvorkommenderweise übrig gelassen hat. Wenn ihn die Mengen verwundern, die diese entortete Singisin zu verschlingen in der Lage ist, sagt er es nicht. Es wird langsam kühl um die beiden herum, aber keiner macht Anstalten, ihr improvisiertes Picknick abzubrechen. Mich stört die abendliche Kühle auch nicht weiter, und ich lasse mich recht unverblümt neben Richard Shelton auf seiner hässlichen Decke nieder. Unverblümtheit steht mir, und außerdem bin ich zu alt, um meine Gewohnheiten zu ändern. Tod tut, was Tod will. Das war schon immer so. Ich halte mich an die Regeln, das genügt, und so bemerken mich die beiden nicht. Die Blumen neigen sich mir zu, aber das ist auch alles.

      Nachdenklich betrachte ich die kleine Myn. Das Leben hat viele Male an dem Feuertierchen hinterlassen. Natürlich sticht mir eines ins Auge, das sie damals schon trug, zu jener Zeit, von der sie ihrem terranischen Zuhörer erzählt. Es hat einen silbrigen Schimmer und ist an einer seltsamen Stelle: hinter ihrem rechten Ohr und schräg den Nacken hinauf. Mein Himmelsreiter hat sie dort viel zu oft berührt, um kein Zeichen zu hinterlassen, schon als sie noch Kinder waren, doch da war die Geste noch unbedeutet gewesen und frei. Ich lehne mich schräg an Richard Shelton vorbei, um sanft über das silbrige Mal zu streichen, und er macht eine scheuchende Geste mit den Händen, als würde ich ihm die Sicht versperren. Er beginnt selbst schon, Zeichen auf ihr zu hinterlassen wie Fingerabdrücke auf Bienenwachs, obwohl er sie noch kaum berührt hat. Ich kichere leise und schnalze mit meinen Knochenfingern gegen sein Ohrläppchen. Ich bin eine alte Frau, ich darf so etwas.

      »Schluss