denken, was dich im fernen Neapel erwarten wird. Ich werde sie bis nach Triest begleiten.
Die nächste von uns Schwestern, die im zarten Mädchenalter verheiratet wird.
Für Mama ist eine Verbindung mit dem neapolitanischen Königshaus natürlich eine gute Partie. Was wir fühlen, ist egal. Maries Franz soll nachdem, was ich gehört habe, hässlich, missgestaltet, kränklich und geistig schwach sein.
„Wenigstens ist er, wie man hört, fromm“, sage ich und Marie bricht in wieherndes Gelächter aus, während sie hektisch an ihrer Zigarette zieht, die wir beide heimlich rauchen.
„Das ist für mich das allerschlimmste überhaupt. Bis auf Nene sind wir doch alle nicht fromm, Schwesterherz. Wenigstens ist sein Vater schon recht alt, er wird bald König und ich bekomme meine Krone. Es gefällt ihm sicher, näher mit euch verwandt zu sein und er hofft, dass dein Franzl ihm mit Truppen hilft.“
Ich werde die Marie gemeinsam mit meinem Bruder Ludwig bis nach Triest begleiten.
Was lachen wir heute gemeinsam über eine Erzherzogin in Ritterrüstung, die eigenständig loszieht und unsere Feinde massakriert.
Geliebte kleine Schwester!
27. Februar 1859
Ein Brief von Marie. Die arme Kleine, sie ist voller Kummer. Ihr Mann ist hässlich, schwächlich, dumm, impotent und hat einen religiösen Wahn. Was war sie doch voller Leben. Ihr erstes Zusammentreffen in Neapel verlief peinlich, da Marie kein Italienisch spricht und ihr Gatte kein Deutsch und kaum Französisch. Ich hoffe sehr, dass die Ehe sich mit der Zeit besser gestalten wird.
Wenn ich nur an unseren tränenreichen Abschied in Triest denke. Marie, die nun keine Wittelsbacherprinzessin mehr, sondern Prinzessin von Kalabrien und Kronprinzessin von Neapel – Sizilien war. In einer merkwürdigen Zeremonie wurde der Saal des Statthalters von Triest durch eine Schnur in zwei Hälften geteilt, eine symbolisierte Bayern, die andere war Neapel und als Marie hindurchschnitt, wurde sie zur Italienerin.
Mutterseelenallein segelte sie mit wildfremden Menschen, deren Sprache sie kaum verstand, nur mit ihrem Kanarienvogel, nach Bari. Es war wirklich ein herzzerreißender Anblick gewesen, der auch heute noch mein Herz rührt.
Mein Bruder Ludwig, der auch mitgereist war, hat das einzig richtige getan. Er findet heiraten nur der Raison wegen bescheuert. Marie und ich haben ihn alle beide ausgelacht und wahrscheinlich ob seines Mutes insgeheim bewundert. Und jetzt will er seine Worte wahrgemachen und seine langjährige Liebe, die Schauspielerin Henriette Mendel, mit der er sogar ein voreheliches Kind, die kleine Marie, hat, im Mai dieses Jahres gegen den Willen von Mama und Papa heiraten.
Dies hat er mir nach dem erbarmungswürdigen Triester Schauspiel, das sich ihm bot, unter dem Mantel der Verschwiegenheit gebeichtet.
Mama und Papa werden sicherlich toben und Ludwig muss gewiss auf sein Erstgeborenenrecht und sehr viel Geld verzichten.
Dafür hat er ein Leben in Freiheit – wie herrlich!
Ich stelle mir nur zu gerne Sophies sauertöpfisches Gesicht vor. Eine bürgerliche, jüdische Schauspielerin, die dem Schwager des Kaisers ein voreheliches Kind geschenkt hat.
Und die arme Marie hat einen impotenten Schwachkopf als Mann und ist dazu noch in einer äußerst prekären Lage. Die Revolutionäre wollen eine Republik und kein Königsreich, was ich verstehen kann. Aber umringt von den Revolutionären ist meine Schwester mit nichts als einem Schwachkopf an ihrer Seite, schutzlos und voller Angst.
Gottseidank gibt es noch den Vater des Prinzen, den König Ferdinand II., sodass Maries Franz nur Kronprinz ist.
Ich mag ihn mir nicht als König vorstellen!
09. April 1859
Von Marie höre ich selten. Die Korrespondenz nach Italien ist sehr schlecht, da ganz Italien in Auffuhr ist und die Einigungsbewegung unaufhaltsam voranschreitet.
Die radikalen Einigungskämpfer Giuseppe Garibaldi und Francesco Crispi planen mit Hilfe des Königreiches Sardinien-Piemont, der zu den Bourbonen gehörenden neapolitanischen Königsfamilie die Macht zu entreißen und deren Territorium dem künftigen italienischen Nationalstaat einzugliedern. Armee und Freiwillige schlossen sich schon Garibaldi an. Selbst unsere Provinzen in Oberitalien, die Toskana, Modena, Venetien und die Lombardei sind in Gefahr.
Das alles erfahre ich wieder einmal von Grünne und nicht vom Kaiser, dessen Gattin ich bin, selber. Sie halten mich alle für empfindsam und schwierig. Nur Grünne nimmt mich ernst, er ist mittlerweile mein bester Freund.
PS: Ich habe Ludwig und Henriette ein Telegramm zur Hochzeit geschickt.
24. April 1859
Wir haben Krieg!
Franz hat gestern ein Ultimatum nach Turin gesandt mit der Forderung, die Armee zurückzuziehen. Cavour hat abgelehnt und jetzt haben wir Krieg. Natürlich hat sich Cavour, der der Ministerpräsident des Piemonts ist, mit seinem König Viktor Emmanuel und Napoleon, dem linken Hund, gegen uns verbündet und uns in die Falle gelockt. Sein Heer stand schon an der Grenze zu Mailand und er hatte gar nicht vorgehabt, es zurückzuziehen. Natürlich steht Napoleon schon in den Startlöchern, um an Viktor Emmanuels Seite einzugreifen. Ein abgekartetes Spiel! Franz ist nämlich kaum vorbereitet auf eine militärische Auseinandersetzung. Es wird ein Fiasko werden – ein Fiasko mit tausenden Toten und Marie mittendrinnen. Wenn die Verwundeten in Laxenburg eintreffen, dann darf freilich ich sie pflegen. Das Los der Frauen!
19. Mai 1859
Für die ganze Welt ist Österreich der Angreifer und Frankreich kam dem Piemont natürlich zur Hilfe. Tausende von Soldaten, Tausende von grässlich Verwundeten, Tausende von Toten.
Keine Nachricht von Marie!
Preußen muss uns helfen! Oder die Russen!
Ich versuche mich, so gut es geht abzulenken und übereiche feierlich am Prater die Staatspreise für das Pferderennen, was vielleicht in der Bevölkerung nicht gut ankommt, aber eine strahlend schöne Kaiserin muntert die Leute sicher etwas auf.
Es ist so ein Durcheinander auf dieser Welt, die habsburgerischen Verwandten, die Herrscher in der Toskana und in Modena, mussten mit ihren Familien zu uns nach Wien fliehen und sind nun ständige Gäste bei unseren Familiendiners. Sie erzählen ausführlich von den Geschehnissen und schüren den Zorn auf die Revolution.
31. Mai 1859
Kann der Kaiser Marie helfen oder denkt er nur an Österreich? Er wird die Lombardei und Venetien an das Piemont verlieren und die Vorherrschaft in Italien an Frankreich. Ich habe Angst um ihn und ihn am Bahnhof unter Tränen verabschiedet. Er musste mir versprechen, gut auf sich Acht zu geben und um meiner und der Kinder willen nicht nur an Arbeit und Krieg zu denken. Auch Grünne flehte ich an, auf den Kaiser aufzupassen.
Heute bin ich in die Gnadenkirche Maria Lanzendorf und habe dort Gott um die Erhaltung des Lebens meines Gemahls gebeten, ganz innig habe ich ihn angefleht. Die Menschen waren wahrscheinlich ziemlich überrascht, mich zu sehen, da ich im Gegensatz zur Erzherzogin nicht unbedingt als überfromm gelte.