Hans-Jürgen Kampe

Vatter - es kostet nix


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Straße mit vielen gut erhaltenen stilvollen Häusern, die vor dem ersten Weltkrieg errichtet wurden. Mit Mansarddächern, Biber­schwanzziegeln, Sprossenfenstern mit Klappläden, häufig Wintergärten und großen Grundstücken mit schönen Vorgärten und Staketenzäunen.

      Es war eine Gegend, wo die Bewohner - außer Klaus und die 3 Kinder - ihre Kartons noch ordentlich zerrissen, falteten und schön plattdrückten. Bevor die Pappe dann im Altpapiercontainer artgerecht entsorgt wurde.

      Je weiter Klaus aber ging, umso mehr „verjüngte“ sich die Straße. Nach einem kurzen Weg, in dem Klaus zweimal verärgert in eine Pfütze getreten war, änderte sich der Stil der Häuser. Jetzt waren es „Kaffeemühlen“ mit spitzem Zeltdach aus den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts. Und gegen Ende der Straße, nahe des Waldes, standen wenig einfallsreiche Häuser aus den fünfziger und sechziger Jahren

      Mittlerweile hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und er beschloss, einen befestigten Weg unterhalb des Waldes bis in den benachbarten Stadtteil zu laufen.

      Noch war er allein unterwegs. Kein Hundebesitzer kreuzte seinen Weg mit irgendeinem Rüden, der Interesse an seiner Hündin zeigen könnte. An das aufwühlende Erlebnis mit Mila und dem völlig unbeherrschten Drogen-Schnüffel-Rüden vor fünf Jahren an der spanischen Grenze wollte er sich lieber nicht mehr erinnern.

      Klaus‘ Ziel war eine kleine Bäckerei in einem alten Haus in einer engen Seitenstraße. Seine jetzt elfjährige Tochter Emma hatte den unscheinbaren Laden mit der Backstube in einem hinteren Anbau entdeckt. Denn der Bäcker hatte eine Tür mit einem abgegriffenem Brezel-Griff und eine fast ein Meter hohe Figur im Schaufenster stehen.

      Die Puppe war wie ein Bäcker mit weißer Schürze und weißer Mütze gekleidet und nickte bedächtig mit ihrem schmunzelnden Gesicht auf und ab.

      Neben der nickenden Bäckerfigur war ein Schild befestigt, auf dem in alter Schreibschrift eingraviert war:

      „Altes Brot ist nicht hart – aber kein Brot ist hart“.

      Das konnte Emma damals weder lesen noch verstehen.

      Aber die nickende Puppe faszinierte die kleine Emma so, dass sie ihre Mutter immer wieder bekniete, doch mit ihr zum „Nickebäcker“ zu fahren.

      Im Laufe der Jahre hatten sich Klaus und Andrea daher angewöhnt, ihr Brot und ihre Brötchen beim Nickebäcker zu kaufen. Was Andrea und die Kinder bei Klaus einiges an Überredungskünsten gekostet hatte. Denn Klaus bevor­zugte eigentlich einen anderen „Lieblingsbäcker“. Nicht, dass die Brötchen da besser gewesen wären. Aber die Bedienung hatte sich zweimal zugunsten von Klaus ver­rechnet. Und das war für Klaus Grund genug, am liebsten weiter zu diesem Bäcker zu gehen. In der Hoffnung, dass die junge Frau hinter der Theke weiterhin nichts gegen ihre ausgeprägte Dyskalkulie unternahm.

      Aber die Spezialität des Nickebäckers war nun mal ein ganz außergewöhnliches Sauerteigbrot mit einer sehr knusprigen Kruste. Klaus hatte also gegen die Familie keine Chance.

      Das Brot wurde in der ungewöhnlichen Länge von einem Meter gebacken und wurde von den Kunden nur „das nord­hessische Baguette“ genannt.

      Da kein Mensch ein ein-meter-langes Brot kaufen wollte, wurde das Brot von der alten Frau des Bäckers mit einem großen, scharfen Messer in die gewünschten Stücke geschnitten. Die dann gewogenen Teile wurden nach Gewicht verkauft. Und wer wollte, konnte sich das leckere Krustenbrot von der immer freundlichen Bäckersfrau auch gleich in Scheiben schneiden lassen. Selbstverständlich wurde die rote Brotschneidemaschine noch von Hand bedient. Hinter dem Tresen waren an der Wand Regale aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts angebracht. Auf der abgeplatzten Resopalbeschichtung stapelten sich Mehl- und Kaffeepackungen, Hefe und Büchsen voller Kondensmilch, deren Haltbarkeitsdatum besser nicht hinterfragt wurde.

      Auch die Vollkornbrötchen mit den Körnern und den Mohnstreuseln waren bei der ganzen Familie Thaler sehr beliebt.

      Und da nach Klaus‘ heimlicher Prüfung die Brötchen zwar etwas teurer, aber dafür auch größer waren, als die Brötchen im Supermarkt, stimmte der sonst so sparsame Familien­vater zu, die Brötchen beim Nickebäcker zu kaufen. Aber nur samstags.

      Beim ersten Brötchenkauf vor einigen Jahren überwog noch Klaus ausgeprägter Trieb, zu sparen.

      Er wartete, bis er der einzige Kunde in dem kleinen Ver­kaufsraum war, räusperte sich verlegen und fragte die geduldige Bäckersfrau, ob er nicht auch Brötchen vom Vortag zum halben Preis haben könne. Die stämmige Dame schaute Klaus anfangs überrascht, aber dann doch etwas robust in die Augen.

      „Hammernet. So gern wie’s mir ja für Sie leidtät, junger Mann. Aber die hammer leider net mehr da. Denn unsere Brötchen sind mittags Gott sei Dank schon ausverkauft. Wenn Sie wollen könnte ich Ihnen einen Rest Teig aus der Backstube zusammenkratzen, zum selber aufbacken, dann wird es für Sie noch billiger“, war die leicht ironische Antwort der Nickebäckerfrau.

      Da der sensible Klaus sich noch einen Rest von Fein­fühligkeit bewahrt hatte, spürte er den Spott der alten Bäckersfrau und war für einen Moment beschämt. Obwohl er normalerweise so gern handelte, wie die Türkei mit der EU.

      „Na ja, so war das ja nun auch wieder nicht gemeint. Also ich kaufe dann doch die frischen Brötchen.“

      Seitdem hatte sich das Verhältnis zu der gutmütigen Bäckersfrau aber wieder deutlich entkrampft und Klaus wurde ein gern gesehener Kunde bei Emmas Lieblings­bäcker.

      Von seiner Anfrage bei der Frau des Nickebäckers hatte er Andrea vorsichtshalber nichts erzählt.

      Da Klaus wusste, dass der Nickebäcker auch samstags schon um sechs Uhr seinen Laden öffnete, stand er um zehn vor sechs vor der Tür.

      Als die Bäckersfrau die Tür mit dem wuchtigen Brezelgriff aufschloss, begrüßte sie ihn wie üblich mit einem freund­lichen „Guten Morgen“. Was sich bei ihr aber wie ein „Gumoke“ anhörte.

      Klaus hatte daher schon vor einiger Zeit im Familienkreis angefangen, die resolute Bäckersfrau als Frau Gumoke zu bezeichnen, was die Kinder sofort widerspruchslos aufge­griffen hatten.

      Die Brötchen, die er in einer großen Tüte mitbekam, waren noch ganz warm und knackten knusprig. Klaus hatte zwar an einen Stoffbeutel beim Weggehen gedacht, aber sein Portemonnaie vergessen. Aber die verständnisvolle Frau Gumoke meinte nur: „Das passt schon, Herr Thaler. Wir kennen uns doch schon so lange. Ich schreib‘ für Sie an, und Sie zahlen dann das nächste Mal.“

      „Das hätte kein Billigdiscounter mit mir gemacht. Und die Rechenkünstlerin in der anderen Bäckerei erst recht nicht. Da hätten wir heute Morgen ganz schön alt ausgesehen“, musste sich Klaus erleichtert eingestehen, als er sich mit der pudelnassen Mila auf den Heimweg machte.

      Vor lauter Frust über den aus ihrer Sicht viel zu frühen und sinnlosen Hundespaziergang hatte sich Mila bislang beharr­lich geweigert, ihr Bächlein zu machen.

      Also musste Andrea nachher nochmal raus.

      2

      „Der nasse Köter wird seine schwarzen Haare wahr­scheinlich im ganzen Haus verlieren. Und ich darf wieder saugen“, stellte Klaus fest, als er die schwere Eichenholztür mit dem Rautenfenster aufschloss. Nach dem Spaziergang spürte er eine aufkommende Lebensenergie, wie ein frisch geladener Duracel Hase.

      Obwohl es erst sieben Uhr morgens war, beschloss Klaus seine ganze Familie an seinen mittlerweile nach oben ge­schossenen Endorphinen und seiner Dynamik teilhaben zu lassen.

      Noch im Treppenhaus probierte er einen vollkommen missglückten Otto-Walkes Jodler. Es waren Laute, die ihm in Bayern ein striktes Kontaktverbot eingebracht hätten. Und danach kam ein aufforderndes „Bin wieder da.“

      „Was blökst Du denn so rum? Üb‘ lieber erstmal mit Frau Hoppenstedt für ein ordentliches Jodeldiplom. Zum Beispiel mit: Du Dödl Du, Du Dödl Da, aber gefälligst im Keller“, lästerte Andrea schlaftrunken und erinnerte ihren Mann an Loriots Kultsketch, den Thalers schon mit­sprechen konnten.

      Andrea