Dagmar Isabell Schmidbauer

Marionette des Teufels


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Schritte zu hören. „Ich glaube, wir sollten jetzt lieber aufhören, ich möchte nicht, dass Sie hier von jemandem gesehen werden.“

      Sie stand auf, zum Zeichen, dass Schluss war, und im gleichen Moment wurde ihr klar, dass es vielleicht ohnehin ein Fehler gewesen war, hier mit ihm zu sprechen.

      „Ja, ich verstehe. Wäre es Ihnen denn recht, wenn ich noch einmal wiederkomme?“ Er stand ihr gegenüber, ein bisschen größer als sie und sah sie fast bettelnd an. „Oder vielleicht könnten wir uns ja auch woanders weiter unterhalten?“ Die junge Frau streifte mit ihren Händen über den billigen Putzkittel. Dabei spürte sie die Geldscheine in ihrer Tasche und wurde leichtsinnig.

      „Warum eigentlich nicht?“

      Es war wirklich schön mit ihm, aber andererseits hatte sie ihn noch immer nicht gefragt, wie er ausgerechnet auf sie gekommen war.

      Wochen später …

      Die letzten Stunden hatte Sophia damit zugebracht, alles aufzuräumen, zu putzen und wegzuschaffen, was man in ihrer Wohnung nicht finden sollte. Dann hatte sie ein Bad genommen, ihre langen blonden Haare gewaschen und die Fußnägel lackiert. Doch jetzt, nachdem sie alles erledigt hatte und es, außer zu warten, so gar nichts mehr zu tun gab, spürte sie, wie die Nervosität von ihr Besitz ergriff. Wie ein gejagtes Tier lief sie in der Wohnung herum: Berührte kurz ihre Geige, wusste aber, dass sie jetzt nicht spielen konnte, legte sich aufs Bett und stand gleich darauf wieder auf, schaltete den Fernseher an und wieder aus. Sie wollte sich etwas zu Essen machen, hatte aber keinen Hunger. Schließlich nervte sie sogar das Ticken der Uhr in der Küche, weshalb sie energisch die Küchentür schloss.

      Sophia fühlte sich allein auf der Welt. Allein mit diesem Gefühl der Unruhe, das sie seit einiger Zeit nicht mehr losließ und dem sie sich auf keinen Fall ausliefern durfte. Nicht heute. Nicht jetzt. Nicht in diesem wichtigen Moment.

      Sie überlegte, dass sie etwas anziehen sollte, was angemessen war, verschob es dann aber auf später. Es blieb ihr noch genug Zeit, bis ihr Besuch kommen würde.

      Stattdessen ging sie zum Fenster und blickte hinunter auf die Postackerstraße. Dort herrschte um diese Zeit kaum Verkehr, denn es war bereits dunkel und die Straßenlaternen brannten. Doch das gelbe Licht wurde vom Nebel fast gänzlich verschluckt.

      Als sie im Schlafzimmer an ihrem Spiegel vorbei kam, sah sie, wie blass und fahl sie war. Trotz ihrer erst zweiunddreißig Jahre, zeigten sich bereits die ersten Fältchen um die Augen. Sie sah genauer hin, lächelte und hoffte, sie würde sich in den nächsten Jahren irgendwie an sie gewöhnen. Und dann dachte sie an ihren bevorstehenden Triumph und wie sie ihn auskosten würde. Auf das, was heute vor ihr lag, hatte sie schließlich ihr ganzes Leben gewartet.

      Als es dann tatsächlich klingelte, war sie zunächst verwirrt und gleich darauf erleichtert. Zumindest bis zu dem Moment, bis sie bemerkte, dass sie noch immer den alten Bademantel trug. Sie musste im Sessel sitzend eingeschlafen sein und jetzt fehlte ihr die Zeit, um sich noch etwas Seriöseres anzuziehen. Nun, dann musste es eben so gehen, entschied sie, stand auf und ging in den Flur, um die Haustür zu öffnen. Doch als sie auf den Türöffner drücken wollte, sah sie durch die Milchglasscheibe der Wohnungstür, dass ihr Besucher bereits heraufgekommen war.

      Während sie sich in Erinnerung rief, wie sie sich später, wenn alles vorüber war, eine kleine Schwäche erlauben durfte, floss ein zufriedenes kleines Lächeln über ihr Gesicht. Später, dachte sie und besann sich. Dann zog sie den Gürtel ihres Bademantels fester und öffnete die Tür.

      „Du?“ Sophia kannte den Mann vor ihrer Tür und ließ ihn herein, damit zumindest die Alte, die ein Stockwerk tiefer wohnte, nichts von seinem Besuch mitbekam. Ein Fehler, wie sich jedoch bald herausstellen sollte. Denn an diesem Tag ging es ihm nicht um die üblichen Höflichkeitsfloskeln, die er sonst bei ihren Begegnungen parat hatte. Kaum hatte er das Wohnzimmer erreicht, da wurde er auch schon zudringlich, legte seine Hände auf ihren Körper und versuchte den Bademantel über ihre Schultern zu streifen. Abwehrend zog die Frau den Gürtel fester um ihren schlanken Körper und bereute es nun doch sehr, dass sie sich nicht rechtzeitig angezogen hatte.

      „Sophia, wir beide“, begann er gerade erneut doch sie wandte sich gleich unwirsch ab. Er roch nach Alkohol, nach Kneipe und war unrasiert.

      „Was soll das denn jetzt?“, fragte sie und fügte mit fester Stimme hinzu, „ich glaube es wird Zeit, dass du wieder gehst!“

      „Aber du kannst mich doch nicht einfach wegschicken. Nicht nach allem, was passiert ist.“

      „Passiert ist?“ Sie sah ihn fragend an. „Was ist denn schon groß passiert? Du hast dich übernommen, das ist passiert! Und jetzt kommst du zu mir, damit ich dein elendes Spiel mitspiele.“ Den letzten Teil spuckte sie ihm geradezu vor die Füße und schob ihn dann energisch von sich, als er versuchte, sie zu umarmen.

      „Geh jetzt und vergiss alles, was du dir in deinem kranken Hirn ausgedacht hast!“, riet sie ihm und dachte, damit sei zumindest diese Geschichte ausgestanden. Aber da irrte sich Sophia gewaltig, denn der Mann, der an diesem Abend zu ihr gekommen war, war in Not, er hatte sich gut auf dieses Zusammentreffen vorbereitet und war daher auch nicht bereit, so schnell aufzugeben.

      „Aber meine Schöne, vor uns liegt doch eine wunderbare Zukunft“, versuchte er ihr erneut zu erklären. Doch sie hatte längst die Geduld verloren und wurde langsam böse. „Vor mir liegt eine wunderbare Zukunft! Vor dir dagegen liegt gar nichts mehr. Du hast deine Zukunft bereits hinter dir, und du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich mit dir diesen Abstieg antrete?“

      Er wollte etwas antworten, wollte von ihr hören, dass sie nur Spaß machte. Aber Sophia hatte sich längst in Rage geredet, beschimpfte ihn ohne Punkt und Komma. Und er schwieg, wusste auch gar nicht, was er noch sagen sollte. Dafür wechselte ganz langsam sein Gesichtsausdruck – eben noch Glück und Hoffnung, dann Unverständnis, Enttäuschung und jetzt Zorn. Kalte Wut überzog sein Gesicht. Er bettelte nicht mehr, stand nur still da und wusste auf einmal, dass er getäuscht worden war.

      „Jetzt verschwinde endlich!“, fauchte Sophia ihm gerade entgegen, dabei war ihre Stimme so kalt wie das Wasser der Donau. Vielleicht hätte sie ihn nicht einfach so abfertigen sollen, ihm stattdessen erklären, warum jetzt alles anders war.

      Vielleicht hätte das aber auch gar nichts an seinem Entschluss geändert. Denn letztlich griff er ja nicht bewusst nach der Glaskugel, die neben ihm im Regal lag, sondern packte nur das Erstbeste, das ihm in die Finger kam, um sie zum Schweigen zu bringen. Er hätte ihr auch einfach den Mund zuhalten können. Aber er war sich nicht sicher, ob das ausgereicht hätte. Sicher wusste er nur, dass er das, was sie zu ihm gesagt hatte, nicht hören wollte. Das war alles.

      Sophia bemerkte die schwere Glaskugel in seiner Hand und nahm die Aufwärtsbewegung seines Armes wahr. Als sie realisierte, was er vorhatte, wurden ihre Augen für einen kleinen Moment ganz groß, doch ihr Gehirn war nicht mehr in der Lage, diese Informationen sinnvoll zu verarbeiten. Zu schnell ging alles auf einmal. Ihre vollen Lippen öffneten sich, aber ihr fehlte die Kraft, um etwas zu sagen. Schon sackte ihr leichter Körper schwer in sich zusammen. Sie hatte noch nicht einmal gezuckt, keine Zeit gefunden, um aufzuschreien. Auf einmal ging alles ganz, ganz schnell.

      Niemals würde sie erfahren, dass es ihm Leid getan hatte, nachdem alles vorüber war.

      Er hatte sie aufs Bett gelegt und die Spuren, die er hinterlassen hatte, beseitigt. Später dann, laut und drängend, begann das Telefon zu läuten. Durch die tödliche Stille schien es noch lauter als sonst, so als wollte der Anrufer damit nicht nur auf sich aufmerksam machen, sondern eine Tote zum Leben erwecken. Auf dem Display erschien keine Nummer, denn der Anrufer hatte sie unterdrückt. Vielleicht war es Zufall, vielleicht wollte er auch einfach unerkannt bleiben und damit verheimlichen, dass er eines von Sophias Geheimnissen kannte.

      ***

      Gleißend helles, fast schon obszönes Scheinwerferlicht leuchtete den Raum bis in den letzten Winkel aus und offenbarte dem Betrachter seine Geheimnisse. Bei einem solchen Licht ließ sich nichts verbergen, nichts beschönigen. Die weißen Wände bekamen durch das Schattenspiel tiefe Furchen, die hellen Holzmöbel ein Eigenleben