Dagmar Isabell Schmidbauer

Marionette des Teufels


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hatte, sie zu töten.

      Obwohl das dreistöckige Haus in einer eher ruhigen Wohngegend lag, hatte sich eine Bäckereifiliale in einem der Nachbarhäuser angesiedelt. Beim Anblick der eingetrockneten Ausstellungsstücke im Schaufenster lief ihr das Wasser im Munde zusammen, doch sie konnte ja unmöglich mit Gebäck zur Befragung erscheinen. Ein Stück weiter stand die Tür zu einer Videothek offen. Im Schaufenster wurden auf großen Plakaten die neuesten Videos angeboten. Filme, die sie gern im Kino gesehen hätte, die sie aber wegen irgendeines Falles verpasst hatte.

      Das Piepsen ihres Handys und die SMS ihrer Freundin Lisa, mit dem Wunsch sie zu treffen, erinnerten sie nur allzu schmerzlich daran, dass es neben dem aufzuklärenden Tod eines Menschen auch noch andere Dinge in ihrem Leben gab, die jetzt aber wieder einmal warten mussten. Im Gehen schrieb sie zurück:

      Geht Leider nicht,

      bin an einem neuen

      mordfall, melde mich,

      wenn ich wieder mehr

      zeit habe! Liebe

      grüße franziska

      Lisa hatte in der Regel Verständnis für ihren Beruf. Wenn es nicht ging, dann ging es eben nicht. Mit Männern sah es in ihrem Leben jedoch schlecht aus. Die wenigen, mit denen sie sich eingelassen hatte, stellten sich im Nachhinein als zu unflexibel heraus, als dass Franziska die Beziehungen zu ihnen mit ihrem Beruf vereinbaren konnte. Sie wollte gut sein, alles richtig, wenn nicht noch besser zu machen, gehörte einfach zu ihrer Grundüberzeugung. Fehler konnten andere machen, das ließ sich entschuldigen. Bei sich selbst setzte sie höhere Maßstäbe an. Viel höhere.

      ***

      „Ach, sie war ja so ein reizendes und hübsches Mädchen.“ Noch immer schien Paula Nowak von ihrem Fund am Vormittag mitgenommen zu sein. Beinahe abwesend bot sie Franziska eine Tasse sehr heißen grünen Tee und einen Platz auf ihrem beigen Blümchensofa an. In ihren alten Augen schimmerten Tränen. „Wissen Sie, als sie einzog, da dachte ich, da werden die Burschen ja bald Schlange stehen!“

      „Und?“ Franziska wollte hören, wie es denn nun war, wenn sich die Männer nicht sattsehen konnten, wenn eine Frau ständig umschwirrt war und natürlich, ob vielleicht einer dabei war, der als Täter infrage kam. Sie dachte an die Liebesfilme, bei denen die Hauptdarstellerinnen immer so aussahen wie Sophia Weberknecht: blond, schön und mit einer makellosen Figur. Ach ja, und natürlich waren sie auch stets voller Liebreiz.

      „Eigentlich kam kaum einer. Das war ganz selten. Sie ließ niemanden an sich ran. Also ich an ihrer Stelle …“ Die alte Frau wischte mit der Hand über die Augen und kicherte. „Aber wenn jemand kam, dann ist Ihnen das schon aufgefallen?“ Franziska stand auf und spähte zwischen den Gardinen hindurch auf das gegenüberliegende Haus. Der Blick war gut.

      „Aber natürlich“, rief Paula Nowak munter, besann sich aber gleich darauf, „also nicht, dass ich neugierig bin, aber“, Hilfe suchend sah sie erst aus dem Wohnzimmerfenster und dann zu ihrem Wellensittich, der in seinem Käfig zufrieden auf einer kleinen Holzschaukel vor sich hindöste. „Früher hatte ich oft Logisgäste. Um die konnte ich mich kümmern und mich mit ihnen unterhalten, aber seit ich mit meinen Beinen nicht mehr so kann, sind der Hansi und ich ganz allein. Und da sitzen wir oft hier und schauen aus dem Fenster.“ Sie ließ den Satz ein wenig in der Luft hängen, erwartete wohl nicht, darauf eine Antwort zu bekommen. Franziska nickte zustimmend. Von solchen Dingen erzählten viele alte Menschen.

      „Natürlich, das verstehe ich und in diesem Fall war es ja sogar ganz wichtig, dass Sie hingeschaut haben“, bekräftigte die Kommissarin. „Haben Sie denn gestern Abend jemanden kommen oder gehen sehen?“

      „Gestern Abend? Nein, da kam doch diese spannende Show im Ersten. Sie wissen schon, wo sie immer Geld für einen guten Zweck sammeln und die ganzen tollen Stars auftreten, die …“

      „Ja, natürlich!“ Ach, wie Franziska diese Sätze hasste! Warum? Warum mussten die besten Zeugen immer dann, wenn man sie am dringendsten brauchte, etwas anderes tun, als neugierig aus dem Fenster zu glotzen?

      „Aber gestern Nachmittag“, sie überlegte kurz, „da kam ein Mann die Straße entlang und blieb vor ihrem Haus stehen. Er sah sehr gut aus.“

      Die Kommissarin lächelte entschädigt. „Und der wollte zu Sophia Weberknecht?“

      „Na, so genau weiß ich das nicht. Am Nachmittag lass ich den Hansi immer fliegen. Das ist sein kleiner Spaziergang“, fügte Paula Nowak erklärend hinzu, stemmte sich von ihrem Platz hoch und stellte sich neben den Käfig.

      „Dabei habe ich dann gesehen, wie der Mann aufs Haus zuging.“ Sie blickte mehrmals sehr betont vom Käfig zum Fenster. „Natürlich musste ich auch dem Hansi zusehen, wie er durchs Zimmer geflogen ist, wissen Sie, sein Lieblingsplatz ist die Lampe. Aber als ich wieder rüber sah, da stand der Mann noch immer am Haus, so, als überlege er, ob er klingeln und reingehen soll oder nicht.“

      „Und?“

      „Da hab ich dann so lange hingesehen, bis er reingegangen ist“, rief Paula Nowak fast fröhlich aus. „Ich hab mich so für sie gefreut! Der war ja auch viel hübscher als der andere, der manchmal kam und …“

      „Und Sie sind sich sicher, dass er zu Frau Weberknecht wollte?“

      „Was sollte er denn bei den beiden Ollen da drüben? Außerdem ist der Brandner im Urlaub, na, und Agnes bekommt ja keinen Männerbesuch.“

      „Agnes?“

      „Neumüller. Sie hat die Wohnung unter Sophia, aber die ist viel zu alt für so einen hübschen Kerl.“

      „Können Sie ihn denn beschreiben?“

      „Na ja, er war groß und eben richtig gut aussehend.“ Franziska überlegte, was die alte Frau wohl unter ‚richtig gut aussehend‘ verstand und ob sich ihre Meinungen wohl decken würden. Sie war sich in diesem Moment selbst nicht sicher, was sie an einem Mann als gut aussehend empfand.

      „Haben Sie ihn schon mal gesehen?“

      „Den? Nein! Ein anderer kam manchmal, ich glaube aber, das war nur ein Bekannter oder so. Bestimmt kannte sie den vom Theater. Ich wollte sie nicht nach ihm fragen, weil ich immer das Gefühl hatte, er sei nur ein Freund und vielleicht anders herum, Sie wissen schon, was ich meine.“

      Franziska zog die Stirn in Falten und sah die alte Dame kopfschüttelnd an. „Dass er Männer liebt“, fügte die alte Frau erklärend hinzu.

      „Ach, sie meinen, er war ein Schwuler, äh, Verzeihung, homosexuell?“

      Paula Nowak zupfte an ihrer Bluse herum und kicherte dann wie ein schüchternes Mädchen. „Ihr jungen Leute bringt immer alles auf den Punkt. Zu meiner Zeit schickte sich das nicht.“ Dann nickte sie, „Aber ja“, rief sie noch fröhlicher aus, dieses Thema schien ihr äußerst viel Freude zu bereiten. „ich dachte immer, er sei ein Schwuler.“

      „Aber seinen Namen wissen Sie nicht?“

      Die alte Frau kicherte erneut, „Von dem Schwulen?“ Franziska musste nun auch lachen. „Ja.“

      „Nein.“

      „Warum glauben Sie eigentlich, dass er schwul war?“

      „Weil er die Haare so lang getragen hat.“ Sie zeigte mit der rechten Hand am linken Oberarm, was sie meinte. „Und das machen doch nur Schwule, oder?“

      Franziska fürchtete, dass dieses Gespräch nun doch in die falsche Richtung ging und versuchte, ihre Zeugin wieder auf den eigentlichen Grund ihrer Ermittlungen zu führen.

      „Frau Nowak, bitte erzählen Sie mir, wie sie Sophia Weberknecht gefunden haben.“

      Vielleicht hatte die alte Frau in der Heiterkeit des Gespräches versucht, die traurige Tatsache, dass das Mädchen tot war, zu übergehen. Nun hatte sie die Wahrheit eingeholt. Innerhalb eines Augenblicks spiegelte ihr Gesicht die ganze Tragödie und den Schmerz wider, den der Tod eines lieben Menschen hervorruft.

      „Das