Dagmar Isabell Schmidbauer

Marionette des Teufels


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nickte und schrieb die Daten stichpunktartig in ihr grünes Notizbuch. „Zuerst hab ich bei ihr angerufen, und als niemand ranging, hab ich den Schlüssel vom Brett genommen und bin rübergegangen. Ich dachte ja, sie ist weggegangen, denn am späten Vormittag war sie meist bei Proben. An der Tür hab ich dann noch mal geklingelt, und als niemand aufmachte, schloss ich auf. Ich habe noch ihren Namen gerufen, bekam aber keine Antwort. Und dann sah ich sie auf dem Bett liegen. Erst dachte ich, sie schläft noch. Wissen Sie, bei ihr wird es am Abend oft spät, bis sie heimkommt. Ich wollte schon auf dem Absatz kehrtmachen, weil sie nackt war. Da schaut man ja nicht so genau hin. Obwohl sie ja ein wirklich hübsches Mädchen ist, ich meine, sie kann es sich leisten. Aber dann kam es mir doch seltsam vor, weil es eigentlich viel zu kalt war, um nackt zu schlafen. Ich bin zu ihr hingegangen, weil ich sie zudecken wollte. Und da sah ich ihre Augen, sie waren so leer, so weit weg, ach, es war so traurig, sie so zu sehen!“

      Sie sah die Kommissarin an und jetzt bahnten sich die Tränen ungehalten ihren Weg. „Ach, es war so furchtbar! Ich musste sie noch nicht einmal berühren, da wusste ich schon, dass sie tot war. Ich kannte diesen Blick ja von früher.“ Verzweifelt sah sie zum Fenster und versuchte ihre Tränen wegzublinzeln. „Ich bin eine alte Frau. Mich hätte er holen sollen, nicht so ein junges Ding, das sein ganzes Leben noch vor sich hat.“

      Franziska ließ der alten Frau Zeit, um sich zu fangen. „Haben Sie etwas verändert, als sie bei ihr waren?“

      „Nein, ich bin gleich wieder raus, hab die Tür zugezogen und bin in meine Wohnung. Hier hab ich gesessen“, sie deutetet auf den Platz auf dem Sofa, „und hab die Polizei angerufen.“

      Franziska wusste von den Kollegen, dass sie nicht mit hinaufgegangen war, „einmal am Tag reicht!“, hatte sie argumentiert und ihnen den Schlüssel in die Hand gedrückt.

      „Und Sie haben in der Wohnung nichts verändert, vielleicht ein paar Sachen weggeräumt?“, wollte Franziska wissen.

      „Nein, nein, nichts.“

      „Wo bewahren Sie eigentlich den Schlüssel von Frau Weberknecht auf?“

      „In der Küche, gleich hinter der Tür.“ Die alte Frau war im Begriff aufzustehen, aber Franziska bedeutete ihr sitzen zu bleiben und ging selbst in die angezeigte Richtung. „Am Schlüsselbrett“, rief ihr Paula Nowak hinterher.

      Die Küchentür stand offen und gab den Blick auf eine blitzblank saubere Küche frei. Die Türen der hellen Einbauschränke waren geschlossen, alles war ordentlich verräumt, nur ein Korb mit Äpfeln und zwei gesprenkelten Bananen stand in einer Ecke. Auf dem Küchentisch lag eine karierte Tischdecke und am Fenster standen ein blühender Hibiskus und eine rote Gießkanne. Vielleicht hatte die alte Paula ja jemanden, der für Ordnung sorgte, und der könnte sich dann auch den Schlüssel ausgeliehen haben, überlegte Franziska. Dann schloss sie die Küchentür und sah auf das beschriebene Schlüsselbrett: Es hingen etliche Schlüssel daran und jeder hatte einen anderen Anhänger. Ein Haken aber war frei.

      „Haben Sie eigentlich jemanden, der Ihnen hilft?“, fragte sie, als sie wieder im Wohnzimmer angelangt war, „Oder machen sie alles noch alleine?“

      „Wenn man sich Zeit lässt, dann geht alles. Und Zeit hab ich ja genug, nicht wahr?“

      „Kann sich jemand den Schlüssel bei Ihnen ausgeliehen haben? Also hatten Sie Besuch in letzter Zeit?“

      „Nur der Briefträger, der brachte mir am Montag die Telefonrechnung. Da bin ich gerade vom Einkaufen heimgekommen, aber sonst war niemand da.“

      „Und als Sie den Schlüssel heute Vormittag vom Haken genommen haben, hing er an seinem Platz?“

      „Aber ja.“

      Franziska nickte. „Was wollten Sie eigentlich in der Wohnung von Frau Weberknecht?“

      „Ihre Mutter rief mich an und bat mich, nach den Blumen zu sehen. Angeblich ging es um ein Geburtstagsgeschenk, aber ich glaube, sie wollte nur, dass ich nach dem Rechten sehe. Sophias Mutter ist sehr besorgt um sie. Wissen Sie, sie behandelte sie wie ein kleines Mädchen und manchmal dachte ich, wenn die Mutti kommt, dann benimmt sie sich auch wieder so.“

      „Wie meinen Sie das?“

      „Na, immerhin war Sophia bereits zweiunddreißig und Sopranistin am Fürstbischöflichen Opernhaus, also musste sie doch irgendwann einmal auf eigenen Beinen stehen. Aber ihre Mutter wollte das nie einsehen. Vielleicht sind Mütter so. Ich habe ja keine Kinder.“

      Franziska war bereits früh flügge geworden und hatte seither immer allein gelebt. Es war nicht immer leicht, aber letztlich war sie davon überzeugt, dass sie nur so tun und lassen konnte, was sie wollte.

      „Sie hat so wunderbar gesungen! Und sah so bezaubernd aus. Mir hat sie immer wieder Freikarten besorgt, wissen Sie. Ich saß dann hinter der Säule auf den Teilsichtplätzen. Da hat man zwar nicht so gut gesehen, aber es war eine nette Abwechslung für mich. Ich hab ja nicht viel Rente.“

      „Wie kam denn ihre Mutter auf Sie und warum hat sie Ihnen ihre Tochter so ans Herz gelegt? Das ist doch auch nicht üblich, oder?“

      „Reinhilde hat für ihre Tochter eine Wohnung gesucht, und als die gegenüber frei wurde, habe ich ihr davon erzählt. Wissen Sie, wir kennen uns schon sehr lange.“

      „Ach?“

      „Ja, schon seit dem Krieg.“

      „Was, so lange schon?“

      „Na ja, wir waren zusammen beim Roten Kreuz.“ Paula Nowak stellte ihre Tasse auf den Tisch und lehnte sich zurück, dann begann sie zu erzählen.

      „Nach dem Krieg kamen die Amerikaner in die Stadt, unsere Beschützer. Aber natürlich machte das unser Leben auch nicht besser. Es herrschte immer noch große Not und die Arbeit von uns Frauen war immer noch sehr wichtig – es gab ja auch so viel zu tun für uns. Eine schlimme Zeit war das, wissen Sie, fast noch schlimmer als im Krieg selbst.“

      Sie sah Franziska an, die zwar nickte aber keine Ahnung hatte, weil sie sich damit noch nie beschäftigt hatte. „Damals war ich ja noch jung“, sie lächelte. „Und in der Frauenbereitschaft des Roten Kreuzes. In der Nikolaschule haben wir die erste Wärmestube aufgemacht. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, was die Menschen für Not litten. Jeder Besucher erhielt dort einen Teller Suppe und konnte sich aufwärmen.“ Paula Nowak rückte sich ein Kissen zurecht und schien sich in Gedanken an den Geschmack der Kohlsuppe zu erinnern.

      „Im Oberhaus hatten sie ein Hilfskrankenhaus. Dort waren wir Schwestern und Helferinnen im Dienst, aber am meisten zu tun gab es in den Flüchtlingslagern. Bis achtundfünfzig hatten wir ja Flüchtlinge in der Stadt, wissen Sie das überhaupt? Und dann das Hochwasser! Vierundfünfzig war es ganz schlimm. Zweitausend Menschen haben wir täglich verpflegt, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen!“ Die alte Frau schloss für einen Moment die Augen, so als hätte sie den Faden verloren.

      „Es muss wohl irgendwann nach dem Krieg gewesen sein, als ich das erste Mal mit Reinhilde zusammengearbeitet habe. Sie ist ja fast zehn Jahre jünger als ich und fing damals erst an. Ich habe sie eingearbeitet, ihr gezeigt, wie man aus wenig vielmachen und damit helfen konnte. Und wenn man so tagtäglich zusammen ist, kommt man sich auch näher, nicht?“

      Franziska wusste nicht, ob sie auf diese Frage antworten sollte. Hannes und sie waren sich bisher noch nicht näher gekommen, aber sie wusste auch nicht, ob sie das wollte.

      „Und wissen Sie was, es waren gute Jahre und ich möchte sie nicht missen. Eines Tages hab ich dabei dann Otto, meinen Mann, kennengelernt. Er war ein so lieber Kerl. Ich dachte schon, es findet mich gar keiner mehr“, sie lächelte und dann wurde ihr Gesicht auch schon wieder traurig, „Leider ist er schon vor vielen Jahren an Lungenkrebs gestorben. Es war schrecklich! Aber damals haben alle geraucht, man wusste ja nicht, wie gefährlich das Zeug war, und als es bekannt wurde, war es zu spät.“ Das kam fast trotzig, vielleicht, um den Verlust besser ertragen zu können, vielleicht hatte sie sich mit dieser Ausrede schon oft selbst getröstet.

      „Und Reinhilde?“,