Dagmar Isabell Schmidbauer

Marionette des Teufels


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um einen engen Bekannten handelt, aber vielleicht nicht um die große Liebe“, spekulierte Franziska und sah ihren Chef herausfordernd an, weil der sich an ihren Spekulationen nicht beteiligt hatte. Anerkennend nickte der Notarzt der jungen Oberkommissarin zu und wollte schon zu einer Belobigung ansetzen, als Brauser ihn schroff unterbrach: „Sind Sie denn mit Ihrer Arbeit schon fertig?“

      „Ja, ich gehe jetzt.“ Hastig schnappte er sich seinen großen Alukoffer und seine rote Jacke und wäre um ein Haar mit Johannes Hollermann zusammengestoßen, der mit erheblicher Verspätung am Einsatzort erschien.

      „Wollen Sie uns nicht noch etwas über den Todeszeitpunkt und die Art der Tatwaffe sagen?“, fragte Franziska schnell, bevor er endgültig verschwand. Von ihrem Chef schien an diesem Tag ja nichts Hilfreiches mehr zu kommen. Der Notarzt blickte kurz zu Hannes, der noch immer seinen Fahrradhelm in der Hand hielt und Franziska stöhnte kaum hörbar auf: Als ob er den nicht draußen im Flur bei seinem Vorderrad lassen könnte, dachte sie missbilligend.

      „Anhand der Totenflecken auf der Unterseite und der vollständigen Ausbildung des Rigor der Skelettmuskulatur schätze ich, dass sie mindestens seit dem gestrigen Abend tot ist. Aber festlegen möchte ich mich da nicht, das können die in der Rechtsmedizin in München besser.“ Er warf einen kurzen Blick auf die Tote. „Aus der großen Platzwunde am Kopf ist nur wenig Blut ausgetreten, daher denke ich, dass mit einem stumpfen Gegenstand fest zugeschlagen wurde.“ Er sah zu Franziska. „Sie finden schon was Passendes.“

      Auch Hannes blickte jetzt auf die Leiche, nestelte dabei aber nervös an seinem Helm herum. Ihm war alles andere als wohl in seiner Haut.

      „Hübsches Mädchen, nicht?“, versuchte Franziska ihn ein bisschen aufzumuntern, denn Hannes war noch nicht lange bei der Mordkommission und hatte somit auch noch nicht sehr viel Erfahrung mit toten Menschen.

      „Warum kommen Sie erst jetzt?“ Brauser sah auf die Uhr und wartete. Im Vergleich zu Franziska verzichtete er bei Hollermann auf das Du, aber Franziska war ja auch sein Mädchen! Wenn er eine Tochter gehabt hätte, dann hätte sie so sein sollen wie sie. Hollermann war nur einer von vielen.

      „Meine Katze ist heute Morgen weggelaufen und ich musste sie suchen.“

      „Das ist doch nicht Ihr Ernst! Wegen einer Katze kommen Sie zu spät zum Dienst?“ Brauser hasste Katzen. Wenn es überhaupt eine Daseinsberechtigung für sie gab, dann war das, die, zur Unterhaltung alter, alleinstehender Frauen, für die sich einfach kein Mann mehr interessierte, zu dienen. Was aber tat ein junger Kerl mit so einem Vieh? Der sollte sich lieber ein Mädchen suchen und eine Familie gründen. Verdammt, was war das nur für eine Welt, wo Männer jammerten und Schmusetieren nachliefen und am Ende noch Windeln wechselten und sich ans Bügelbrett stellten.

      Franziska schob Hannes energisch nach draußen, nahm den Helm und legte ihn auf den Boden. „Jetzt reiß dich aber mal zusammen, wir sind hier bei der Mordkommission!“ Obwohl er deutlich größer war als seine Kollegin, legte sie ihm die Hände auf die mageren Schultern und schüttelte ihn, bis sie das Gefühl hatte, dass er ihr auch wirklich zuhörte. „Hör mal, den Chef hat’s mächtig erwischt. Ich glaube, der nimmt sich seinen bevorstehenden Abschied ganz schön zu Herzen, der ist gar nicht mehr bei der Sache. Aber wir beide, wir kümmern uns darum, hast du verstanden?“

      Hannes nickte und folgte ihr zurück in die Wohnung.

      „Ich sag dir, was wir wissen, und du schaltest deinen Verstand ein“, forderte ihn Franziska auf und fuhr fort, ohne auf einen Einwand zu warten. „Sie heißt Sophia Weberknecht, ist zweiunddreißig Jahre alt und Sopranistin am Fürstbischöflichen Opernhaus. Zumindest hat das Dr. Buchner behauptet. Und der ist bekennender Opernfan. Und nun zu meiner Theorie.“ Hannes nickte und Franziska lächelte zufrieden.

      „Ich denke, sie hat ihren Liebhaber erwartet, daher war sie nackt, zumindest haben wir nirgends herumliegende Kleidung gefunden. Alles ist super aufgeräumt und blitzblank geputzt. Als er kam, hat sie ihn entweder hereingelassen oder er hatte sogar einen eigenen Schlüssel, aufgebrochen wurde nämlich nicht. Es kam zum Streit zwischen den beiden, vielleicht ums Geld oder sie hat ihn erst angemacht und wollte dann doch nicht. Und dann hat er sie mit einemstumpfen Gegenstand erschlagen und ins Bett gelegt. Näheres müssen die Ermittlungen ergeben, aber es ist zumindest mal ein guter Ansatz, findest du nicht?“

      Hannes nickte wie ein kleiner Bruder, der seiner großen Schwester alles glauben wollte. „Gibt es irgendwelche Hinweise auf einen Täter?“

      „Nein, und auch nicht, ob sie überhaupt einen Freund hatte. Im Bad gibt es allerdings nichts, was zu einem Mann passen würde, weder ein herbes Deo noch Rasierzeug oder eine zweite Zahnbürste. Auffällig ist nur der dunkelblaue, abgewetzte Bademantel, der so gar nicht zu ihrem Weiß-Tick passt, aber ihre Größe hat – na, obwohl, dir könnte er auch passen.“ Franziska grinste frech, bevor sie fortfuhr. „In der Küche liegt eine Tüte mit einer Semmel, vermutlich von gestern. Aber selbst wenn wir wüssten, wie viele darin waren, könnten wir nicht abschätzen, ob sie nur viel Hunger oder Besuch zum Frühstück hatte. In der Spülmaschine sind mehrere Gedecke, könnten natürlich auch alle von ihr sein. Anni kümmert sich darum. Wir müssen überhaupt erst mal abwarten, was die Spurensuche ergibt.“

      „Was allerdings bald keinen Sinn mehr hat, wenn euer Chef weiterhin überall seine Spuren hinterlässt“, raunzte Annemarie von der Kriminaltechnik und scheuchte Brauser aus dem Wohnzimmer, wohin er sich in der Zwischenzeit begeben hatte.

      „Das heißt also, bis wir die Auswertung bekommen, kann es dauern“, stellte Franziska nüchtern fest.

      „Dann schlage ich vor, dass wir uns zuerst die Nachbarn vornehmen, solange ihre Erinnerungen noch frisch sind“, drängte Hannes, um möglich schnell die Wohnung zu verlassen.

      „Das ist eine ausgezeichnete Idee“, lobte Brauser voller Sarkasmus. „Sind Sie da ganz allein draufgekommen, Herr Hollermann?“ Der Hauptkommissar baute sich vor dem jungen Kollegen auf, musterte ihn eindringlich, so als wollte er ihn zurechtweisen, nickte dann aber und befand, „Okay, gehen Sie, ich mache hier weiter.“

      Als sie auf die Wohnungstür zugingen, fragte Hannes Franziska leise: „Wer hat sie eigentlich gefunden?“ Ihm war klar, dass die beiden anderen das längst besprochen hatten.

      „Die Nachbarin von gegenüber. Sie sollte für die Mutter irgendwas in der Wohnung nachschauen. Ich denke, ich werde zuerst mit ihr reden. Wenn sie die Mutter kennt, wird sie uns sicher auch einiges über die Tochter sagen können.“

      „Dann übernehme ich die Leute im Haus oder hast du schon mit jemandem gesprochen?“

      „Na, hör mal! Ich bin ja auch noch nicht seit gestern hier.“

      „Schade, sonst hättest du vielleicht unseren Täter gesehen und wir könnten uns den ganzen Aufwand sparen.“

      ***

      In der Wohnung der Toten war es trotz der eisigen Atmosphäre, angenehm warm gewesen, und so traf die Kommissarin der feuchte Nebel, der bereits am frühen Nachmittag von Inn und Donau heraufzog und sich zwischen den Häuserzeilen ausbreitete, ganz besonders empfindlich. Frierend hielt sie die Vorderkanten ihres hellbraunen Ledermantels zusammen und zog instinktiv den Kopf zwischen die Schultern. Für die Jahreszeit war sie nicht passend angezogen, trotz Jeans und Stiefel, aber wer wusste im Herbst schon, was passend war. Letzte Woche war es noch herrlich warm gewesen, fast Biergartenwetter und dann der plötzliche Einbruch, die ersten Vorboten des nahenden Winters.

      Um sich aufzuwärmen, hätte sie sofort zu der Nachbarin gehen können, um deren Zeugenaussage aufzunehmen, doch zuerst brauchte sie eine kleine Auszeit. In ihrer großen Handtasche aus braunem Wildleder fand sie einen Müsliriegel in einer etwas gammligen Verpackung, in den sie hungrig hineinbiss. Während ihre Zähne die Körner zermalmten und die Kohlenhydrate ihr Gehirn wieder leistungsfähig machten, ging sie langsam die großbürgerliche Häuserzeile entlang. Neben dem Bürgersteig parkten unzählige Autos Stoßstange an Stoßstange, so, als würden sie sich aneinander kuscheln, damit sie nicht frieren mussten.

      Franziska dachte über die Frau nach, die tot in ihrer Wohnung lag. Was hatte sie für ein Leben