Dagmar Isabell Schmidbauer

Marionette des Teufels


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fuhr. Reinhilde hat sich die Haare gebürstet und die Lippen nachgezogen und ist zu ihm hin. Ob sie nicht mal mitfahren darf, hatte sie gefragt und er hat sie mitgenommen. Zwei Monate später haben sie geheiratet. Ja, so war das mit ihr. Sie war genau so hübsch wie ihre Sophia, aber sie hat es den Männern auch gezeigt.“

      „Und waren Sie nach der Hochzeit immer noch zusammen in der Frauenbereitschaft?“

      „Nein, nein, wo denken Sie hin! Als Reinhilde erst einmal eine Weberknecht war, war es vorbei mit dem Dienst. Er kam aus gutem Hause, war Senffabrikant. Die hatten auch nach dem Krieg gleich wieder was. Die mussten sich die Hände nicht schmutzig machen. Die brachten Lebensmittelspenden. Zu Hause servierte ein Dienstmädchen. Und Reinhilde durfte dann ja auch überhaupt nicht mehr arbeiten gehen. Im Hause Weberknecht hatte man nämlich eine ganz feste Vorstellung von dem, was man tat und was man ließ und für meine Freundin gab es eigentlich nur eine Möglichkeit: Sie musste diese Vorstellungen erfüllen, eine gute Ehefrau sein und Kinder bekommen.“

      „Und?“ Franziska fand die Wendung, die das Gespräch nahm, äußert interessant. „Als Ehefrau war sie sehr gut, nur mit dem Kinderkriegen wollte es nicht klappen. Na ja, und wahrscheinlich waren Otto und ich dann einfach auch nicht mehr gut genug für die beiden, denn als die Prinzessin dann endlich auf die Welt kam, hatten wir uns bereits aus den Augen verloren. Eigentlich, bis sie die Wohnung gesucht hat, da hat sie bei mir aus heiterem Himmel angerufen.“ Paula Nowak hielt inne. Zum ersten Mal schien sie sich zu fragen, ob das denn richtig gewesen war, dass sie so lange nichts von sich hören ließ und dann so plötzlich wieder anrief. „Sagen Sie, haben Sie den Eltern eigentlich schon Bescheid gesagt?“

      Jetzt wurde die alte Frau ganz blass und Franziska hoffte, sie würde ihr nach der ganzen Aufregung nicht noch umfallen. „Ach, ich hatte gehofft, das machen Sie!“

      „Ja, natürlich machen wir das, das ist ja auch unsere Aufgabe. Ich dachte ja auch nur, weil Sie die Mutter doch so gut kennen.“

      „Darum fürchte ich mich ja auch so davor“, flüsterte die alte Frau verschwörerisch. „Am Ende denken die, ich hätte sie umgebracht!“

      ***

      Vorsichtig lehnte Kriminalkommissar Hannes Hollermann seinen Fahrradvorderreifen an die Wand und drückte auf den Messingknopf der Klingel. Die Wohnungstür war in einem vornehmen Altweiß lackiert, die Glaseinsätze zierten großflächige florale Jugendstilornamente, ein Vorhang an der Innenseite verdeckte die Sicht auf die Wohnung. Das herrliche Haus stammte aus dem beginnenden Zwanzigsten Jahrhundert und war mit viel Liebe gebaut und erhalten worden, wie Hannes jetzt feststellte. Er selbst wohnte in einer bescheidenen Dachgeschosswohnung, ebenfalls Altbau, aber lange nicht so nobel.

      Während er sich noch im Treppenhaus umsah, öffnete Agnes Neumüller in einem schicken schwarz-weiß gemusterten Kleid und flachen schwarzen Schuhen die Tür.

      Sie sei ein bisschen schwerhörig, entschuldigte sich die alterslos erscheinende Dame mit einem Lächeln und bat den jungen Kommissar herein. Auf dem Tisch standen eine Kaffeekanne mit Tropfschutz, ein zierliches Gedeck mit Goldrand und ein Kuchenteller mit reichlich Auswahl. „Bei Ihnen riecht es aber lecker“, bemerkte Hannes und spürte, wie sein Magen nach einem Blick auf die Kaffeetafel zu knurren begann.

      „Ach, wenn Sie sich vielleicht zu mir setzen wollen?“ Hannes zögerte nicht lange. Er gehörte zu den Menschen, die ohne Ende essen konnten und davon weder dick noch satt wurden.

      „Früher konnte ich auch so viel essen, aber mit den Jahren muss man immer mehr auf sein Gewicht achten“, erzählte Agnes Neumüller schmunzelnd, während sie Hannes beim Essen zusah. Dann berichtete sie gestenreich von ihrer Zeit, als sie am Auersperg-Gymnasium Deutsch und Geschichte unterrichtet hatte und wie sehr ihr das manchmal fehlte. „Ach, all die entzückenden Kinder!“, seufzte sie und Hannes war sich sicher, dass sie es ernst meinte.

      Sie sei gern Lehrerin gewesen, habe ihren Beruf geliebt und sei nur in Rente gegangen, weil es an der Zeit war, und nun kämen nur noch hin und wieder Nachhilfeschüler, um sich von ihr unterrichten zu lassen. Nebenbei wollte sie dem Kommissar schon das nächste Stück auf den Teller laden, doch der winkte ab. „Oh, vielen Dank, aber jetzt kann selbst ich nicht mehr.“

      „Dann vielleicht noch ein Tässchen Kaffee?“ Die Dame zwinkerte ihm zu und Hannes reichte seine Tasse zu ihr hinüber. „Erzählen Sie mir von Frau Weberknecht“, bat er, während er langsam Milch in die schwarze Flüssigkeit goss und sie mit viel Hingabe unterrührte.

      „Sophia war ein reizendes Mädchen. Kaum zu glauben, dass ihr das jemand antun konnte. Sie war immer so hilfsbereit und freundlich und sie liebte klassische Musik. Sie spielte ja ganz wunderbar Geige und sang – ach, einfach schön! Sie passte schon sehr gut in unser Haus.“

      „Wann ist sie denn eingezogen?“

      „Das war ziemlich bald nachdem Hildegard ausgezogen war. So vor drei Jahren. Heute nennt sie sich Charlotte Stein. Das soll sich besser machen in ihren Kreisen, wissen Sie. Sie ist Schriftstellerin, und nachdem sie mit ihrem ersten Roman so viel Erfolg hatte, ist sie dann ja auch nach Berlin gezogen, meinte, das sei weltmännischer. Ihr nächster war dann nicht mehr so gut, wahrscheinlich hatte sie ihre Ideen verbraucht.“ Unschlüssig zuckte sie mit den Schultern.

      „Und dann zog Frau Weberknecht in die Wohnung über Ihnen?“

      „Genau. Wissen Sie, wir waren sehr eng befreundet und die Wohnung oben ist ja auch ein echtes Prachtstück. Darum war ich natürlich froh, dass nach Hildegard ein so liebes Mädchen einzog.“

      „Dann liegt Ihnen sicher auch viel daran, dass wir denjenigen, der ihr das antat, so schnell wie möglich finden“, folgerte Hannes und wunderte sich selbst, wie schnell er sich auf die Wortwahl der alten Dame eingestellt hatte.

      „Aber natürlich, sagen Sie mir, was ich tun kann.“ Hannes nickte. „Wann haben Sie denn Frau Weberknecht zum letzten Mal gesehen?“

      „Gestern früh, vor dem Einsingen für die Probe. Sie kam gerade vom Bäcker und hatte es eilig.“

      „Und wann genau war das?“

      „Also nach ihr kann man ja die Uhr stellen. Jeden Morgen singt sie sich von neun Uhr zwanzig bis neun Uhr fünfundvierzig ein, dann fährt sie zur Probe ins Theater. Die beginnt um zehn. Also ich schätze, es war so kurz vor neun.“

      „Hatte sie Besuch?“

      „So kurz vor der Probe? Nein.“

      „Aber Sie wissen nicht, ob sie zu dieser Probe gegangen ist?“ „Na ja, davon gehe ich aus. Ihr Auto stand über Mittag nicht im Hof und daher denke ich, sie ist damit weggefahren.“ „Haben Sie gestern jemanden im Haus gesehen, der zu Frau Weberknecht wollte?“

      „Nein. Es könnte natürlich sein, dass jemand bei ihr war, aber wissen tue ich es nicht.“

      Der Kommissar spürte, wie sie mit sich rang.

      „Frau Neumüller, wenn Sie etwas wissen, müssen Sie es mir sagen!“

      „Ich weiß wirklich nichts und das ärgert mich eben. Ich habe Brahms gehört. Brahms muss man laut hören, erst dann kommt er so richtig zu Ehren. Aber jetzt ärgere ich mich natürlich, dass ich nicht auf das geachtet habe, was im Haus vor sich ging, verstehen Sie?“

      Hannes nickte erneut.

      „Hatte sie denn einen Freund?“

      Agnes Neumüller sah den jungen Kommissar musternd an, bevor ein Lächeln über ihr mit feinen Linien belebtes Gesicht huschte. „Ihnen hätte sie auch gefallen!“ Dann wurde ihr bewusst, was sie dem Kommissar eben unterstellt hatte und fügte schnell hinzu: „So wie sie aussah, sollte man meinen, dass sie einen Freund hatte, nicht?“

      „Und?“

      „Mir hat sie keinen vorgestellt.“

      Hannes seufzte. Wäre ja auch zu schön gewesen.

      „Manchmal hat sie nachts Besuch bekommen.“

      „Sie meinen, es hat jemand bei ihr übernachtet?“,