Dagmar Isabell Schmidbauer

Marionette des Teufels


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ein.

      „Der Bruder sagt natürlich, das könne er sich nicht vorstellen, dass er etwas mit Marihuana zu tun hatte, und auch seine Frau war ganz entsetzt, als die Kollegen sie mit dieser Theorie konfrontiert haben. Allerdings konnte sie bisher auch noch nicht schlüssig nachweisen, wo ihr Mann die letzten Tage gewesen ist. Sie ist in der Politik sehr engagiert und, so wie es aussieht, ist jeder seinen eigenen Lebenszielen nachgegangen. Mal ganz ehrlich, Marihuana ist ein Rauschgift für die Jungen, die Ausgeflippten. Leute wie Wallenstein handeln vielleicht damit, aber sie rauchen es nicht.“

      „Er hat aber nicht damit gehandelt?“

      „Zumindest fanden sich keine Spuren, außer denen auf seiner Kleidung.“

      „Vermutlich ist er von Marihuana rauchenden Tätern getötet worden, die vielleicht so zugekifft waren, dass sie gar nicht wussten, dass er bereits tot war, als sie auf ihn schossen.“

      „Richtig.“ Brauser nickte.

      „Du solltest dich also doch mehr auf die Drogenszene konzentrieren.“

      „Welche Drogenszene? Passau ist eine saubere Stadt.“ Brauser grinste über seine eigene Ironie. „Aber mal im Ernst, soll ich jetzt an allen Schulen anfangen zu ermitteln? Von jedem Jugendlichen ab zwölf Fingerabdrücke nehmen lassen?“

      „Nein, natürlich nicht“, beruhigte ihn Schwertfeger. „Aber was ist mit dem Parkplatz?“

      „Wird überwacht.“

      „Und?“

      „Nichts! Wir bräuchten mehr Leute, damit wir auch das Umfeld beschatten können, aber bisher sind nur stichpunktartige Überwachungen möglich und vermutlich kommen die Täter auch nicht an den Tatort zurück.“

      „Das ist ja ohnehin nur ein dummer Spruch“, bemerkte Schwertfeger. „Das heißt also, wir können nur abwarten?“ „Ich hatte gehofft, dir fällt noch was Besseres ein!“ Brauser grinste. „Eine Sache hab ich noch, ich weiß nur nicht, wie uns das weiterhelfen soll. An Wallensteins Penis wurde Capsaicin gefunden.“ Der Kommissar lächelte zufrieden, denn er war sich sicher, sein Freund hatte keine Ahnung, welches Teufelszeug sich hinter dieser Bezeichnung verbarg.

      „Was bitte ist Capsaicin?“

      „Chili! Scharfe Chilifrüchte.“

      „Du meinst, er hat sich seinen …“, Schwertfeger kratzte sich am Kinn, „mit Chilischoten eingerieben?“

      „Na ja, vielleicht hat er ja auch nur beim Essen gekleckert.“ Der Polizist lachte ironisch und nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Auf jeden Fall war das eine heiße Sache, zumindest wurde das Gewebe an dieser Stelle ordentlich durchblutet, um die vermeintliche Wärme abzutransportieren, was ja vielleicht der eigentliche Zweck des Ganzen war.“

      „Ein Aphrodisiakum also?“

      „Ich weiß es nicht. Wenn das Schärfeempfinden nachlässt, wirkt es schmerzlindernd und dämpfend, und es gibt wohl keine Studien darüber, wie lange die Wirkung anhält. Aber vielleicht hatte er ja Erfahrung damit.“

      „Also wirklich Berthold, man lernt nie aus!“

      „Willst du es probieren?“

      „Bist du verrückt? Nein! Aber ich weiß jetzt immerhin, dass du nicht zu krank bist, um zu ermitteln. Also keine weiteren Ausreden! Mach dich an die Arbeit, ich verlasse mich auf dich.“

      ***

      Am nächsten Morgen lag wieder eine zähe, dicke Nebelsuppe über der Stadt. Es war nasskalt und ungemütlich und wer nicht hinausgehen musste, blieb im Haus und schaltete möglichst viele Lichter an, um sich wenigstens die Illusion von Sonnenschein zu gönnen.

      Franziska trug an diesem Morgen Stiefel, Tweedrock und einen Wickelpulli aus Mohair unter ihrem Mantel. Sie parkte ihr Auto möglichst nah an der Hauswand und ging dann zügig, die Arme vor dem Körper verschränkt, um die Kälte abzuwehren, die wenigen Stufen bis zum Dienstgebäude hinauf. Für gewöhnlich sehnte sie sich bei so einem Wetter nach ihrem gemütlichen Lesesofa im Wohnzimmer, einem spannenden Buch und einer großen Tasse Tee.

      Doch an diesem Tag wartete ein neuer Fall auf sie, ein interessanter Fall, ihre große Chance, und damit kaum die richtige Zeit, um ans Faulenzen zu denken, zumal der Chef gar nicht mehr richtig bei der Sache war.

      Den gestrigen Abend hatte sie gemeinsam mit Hannes damit zugebracht von Haustür zu Haustür zu gehen und zu fragen, ob jemand etwas gesehen hatte. Etwas Ungewöhnliches. Jemanden, der nicht in diese Gegend passte. Einen Mann, wie ihn Agnes Neumüller und Paula Nowak beobachtet hatten. Denn vielleicht waren der Mann auf der nächtlichen Treppe und der, den die alte Nowak am Nachmittag der Tat vor dem Haus gesehen hatte, ein und derselbe.

      Die Definitionen, was in einer Gegend verdächtig war, gingen stark auseinander. Ein alter Mann hatte eine Gruppe Jugendlicher die Straße entlangziehen und mit einer Bierdose kicken sehen und war sich sicher, dass es sich bei ihnen um die Täter handeln musste. Eine Frau hatte eine schwarze Gestalt mit Kapuze und Sonnenbrille gesehen und schloss sich jetzt aus Angst hermetisch ein. Und einer wollte sogar den Chef gesehen haben, mit langem Mantel und Pudelmütze. Das Gesicht hatte der Zeuge nicht erkennen können, aber er hatte Brauser am Mittag ins Auto steigen sehen und meinte, der Täter habe große Ähnlichkeit mit dem Hauptkommissar gehabt. Franziska hatte es zur Kenntnis genommen, aber nicht einmal in ihr grünes Notizbuch geschrieben, so absurd war diese vermeintliche Beobachtung. Trotzdem, so überlegte sie weiter, gab es keine Immunität mehr, selbst einem Polizisten traute man inzwischen alles zu. Laut Statistik nahmen die Verbrechen immer mehr ab und die Aufklärungsrate stieg. Doch die Bürger fürchteten sich, was vielleicht auch an den stets sensationsheischenden Berichten der Journalisten lag. Gewalt, egal ob sie auf der Straße oder in Familien auftrat, wurde einfach nicht mehr toleriert. Wie immer benutzte Franziska die rechte Schulter, um damit die Glastür, die zu ihrem Büro führte, aufzudrücken. Vielleicht würde ein wenig Öl ausreichen, aber niemand hatte Zeit, um sich darum zu kümmern, und so wurde es immer zu einem Kraftakt, sie zu öffnen.

      Im Vorraum saß Ramona an ihrem Schreibtisch und war in eine Liste vertieft.

      „Na, was brütest du denn Schönes aus?“

      „Ach, das ist nur die Liste, wer alles schon bezahlt hat.“

      „Bezahlt? Wofür?“

      „Für das Abschiedsgeschenk für den Chef, du weißt schon.“

      „Ach ja, richtig, seine Angel. Du sag mal, kommt er dir auch so komisch vor in letzter Zeit? Ich glaube, er will gar nicht gehen.“

      Ramona beugte sich so weit über den Schreibtisch zu ihr nach vorn, dass Franziska gezwungen war, in ihren Ausschnitt zu schauen. „Heute Morgen hat er gesagt, er sei krank. Ich kenne ihn jetzt seit fast fünfzehn Jahren und noch nie hat er darüber geklagt, krank zu sein.“

      „Eben, das meine ich ja.“ Auch Franziska beugte sich nun näher zu Ramona hinunter. „Vielleicht ist es einfach das Alter. Er kann nicht mehr so wie früher und das will er nicht wahrhaben.“ Die Frauen hatten einen verschwörerischen Flüsterton angeschlagen.

      „Dabei geht es ihm doch gut, er hat keine Sorgen, Aussicht auf eine schöne Rente und seine Frau ist doch eine ganz Liebe.“

      ***

      Auch als sich im Westen Politiker und Wirtschaftsbosse noch nicht so viele Gedanken über Krippenplätze und Erziehungszeiten gemacht hatten, musste Ramona Maier als Sekretärin ihre Frau stehen. Der Vater ihrer beiden inzwischen vierzehn- und fünfzehnjährigen Töchter hatte sich so erfolgreich aus dem Staub gemacht, dass auch die hartnäckigste Behörde irgendwann aufgab und sie allein für den Unterhalt der Kleinfamilie verantwortlich war. Eine Belastung, die mit dem Alter und den Ansprüchen der Mädchen wuchs. Aus ihrer eigenen Jugend wusste sie nur zu genau, dass jeder, der nicht mithalten konnte, auch nicht dazugehörte. Doch sie wollte, dass ihre Mädchen dazugehören. Dafür arbeitete sie.

      „Was machen deine beiden Mädels?“, fragte Franziska, weil sie wusste, dass es Ramona