Henry Morton Stanley

Henry Morton Stanley: Im dunkelsten Afrika


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Flüsse werden uns doch länger in der Erinnerung bleiben, als die stürmischen Bewegungen, welche die außerordentliche Ruhe der Natur fast jeden Nachmittag störten.

      Von Mitte März bis Mitte Mai war die Regenzeit, und täglich kündigte der Himmel kurz nach 2 Uhr nachmittags das Herannahen eines drohenden Gewitters an. Die Sonne verbarg sich hinter den dunkeln Vorboten des Sturmes, und bald darauf zerriss der Donner die düstere Stille, zuckten Blitze und ergoss sich Regen in tropischer Fülle, worauf allgemeine Niedergeschlagenheit vorherrschte und die Dunkelheit der Nacht eintrat.

Grafik 706

      Stanley-Pool

       Natur und Zeit taten ihr Bestes für uns. Der Fluss war weder zu hoch noch zu niedrig. In ersterem Falle hätten wir auf dem überschwemmten Terrain Schwierigkeiten gefunden, in letzterem würden wir durch die flachen Stellen in langwieriger Weise aufgehalten worden sein. Wir vermochten im allgemeinen uns etwa 40 m vom linken Ufer zu halten und konnten uns ununterbrochen mehr als 1.600 km weit an den veränderlichen Färbungen und Formen einer Pflanzenwelt erfreuen, welche, was Mannigfaltigkeit, Schönheit des Grüns, Reichtum und Wohlgeruch der Blüten anbetrifft, in der ganzen Welt ihresgleichen nicht findet. Während des größten Teils des Tages traten Gewitterstürme selten auf, wodurch wir vielen Schrecken und Gefahren entgingen; dieselben suchten sich meist den Abend oder die Nacht aus, wenn wir sicher vertäut am Ufer lagen, und da die Moskitos, Mücken, Vieh- und Tsetsefliegen weniger bissig als früher waren, hatten wir schon mehr als die Hälfte der Reise zurückgelegt, ehe wir durch einige unverbesserliche Vagabunden von diesen verschiedenen Spezies an ihre Existenz erinnert wurden. Die kampflustigen Flusspferde und Krokodile zeigten sich diesmal wohlgesittet, die Eingeborenen waren bescheiden in ihren Forderungen, gaben uns in vielen Fällen Ziegen, Geflügel, Eier, Bananen und Paradiesfeigen und begnügten sich mit Anweisungen auf Herrn John Rose Troup, der uns später folgen würde. Unsere Gesundheit war ausgezeichnet und in der Tat wunderbar gut im Vergleich zu früher; ob die Engländer sich in physischer Beziehung besser eigneten oder sich nicht besiegen lassen wollten, weiß ich nicht, doch hörte ich auf dieser Expedition weniger Klagen als auf allen früheren.

       Am 1. Mai fand der Aufbruch zur Reise den Kongo hinauf mit der Abfahrt des „HENRY REED“ und zwei Leichtern mit Tippu-Tib und 96 Begleitern, sowie 35 von unseren Leuten statt. Bald nachher folgte der „STANLEY“ und dessen Gefährte, die „FLORIDA“, mit 336 Leuten, sowie 6 Eseln und Warenladungen, und eine halbe Stunde später versuchte der „PEACE“ mit 135 Passagieren abzugehen; allein die guten Wünsche der Leute am Lande waren kaum verklungen, als das Ruder plötzlich entzweibrach, während wir gegen die rasche Strömung ankämpften. Der Kapitän befahl, die Anker fallen zu lassen, was gerade an einer Stelle geschah, wo der Grund außerordentlich zerrissen war und die Strömung mit einer Geschwindigkeit von sechs Knoten dahinschoss. Das Boot legte sich platt auf die Seite, die Ketten rissen das Deck auf, und da die Anker an den Klippen auf dem Grunde festgeraten waren und nicht wieder gehoben werden konnten, mussten wir sie kappen und nach dem Landungsplatze bei Kinshasa zurückkehren. Kapitän Whitley und der Maschinist David Charters machten sich an die Arbeit, um das Ruder zu reparieren, und um 8 Uhr abends war ihre Aufgabe vollendet.

      Am nächsten Morgen hatten wir mehr Glück, und in gehöriger Zeit erreichten wir Kimpoko am oberen Ende des Pool, wo die übrigen Dampfer auf uns warteten.

      Der „PEACE“ fuhr am 3. Mai voran, doch überholte uns der „STANLEY“ und erreichte den Lagerplatz anderthalb Stunden früher als wir. Der „HENRY REED“ war wegen mangelnden Verständnisses des Kapitäns der letzte.

      Der „PEACE“ war mit Krämpfen behaftet; er fuhr eine kurze Zeit ganz gut, dann aber verringerte er plötzlich seine Geschwindigkeit. Nachdem wir eine halbe Stunde gewartet hatten, nahm er einen neuen Anlauf. Sein Kessel besteht aus einem System schlangenförmig übereinander liegender Röhren; die Schrauben sind in doppelten zylindrischen Umhüllungen unter dem Heck eingeschlossen und müssen mit einer fürchterlichen Geschwindigkeit getrieben werden, ehe man raschere Fahrt mit dem Schiffe machen kann. Dasselbe wird uns wahrscheinlich noch viele Schwierigkeiten bereiten.

      Sobald wir das Lager aufgeschlagen hatten, was gewöhnlich um 5 Uhr nachmittags geschah, musterte jeder Offizier seine Leute, die dann mit dem Hauen von Brennmaterial für den Bedarf am folgenden Tage beginnen mussten. Das war manchmal sehr schwere Arbeit und dauerte stundenlang bis in die Nacht hinein. Eine Anzahl Leute musste das Holz der abgestorbenen Bäume sammeln und zu den Holzhauern am Landungsplatze hin transportieren. Für einen Dampfer wie der „STANLEY“ brauchte man 50 Mann, die zwei Stunden lang Holz suchen und weiter befördern mussten, während ein Dutzend Leute es mit Äxten in ¾ m lange Stücke für den Feuerrost spalteten. Der „PEACE“ und der „HENRY REED“ brauchten halb so viel Äxte und die gleiche Zeit, um ihren Bedarf an Heizmaterial fertigzustellen. Letzteres musste dann in den Dampfern verstaut werden, damit am nächsten Morgen kein Aufenthalt entstand; darauf mussten noch einige weitere Arbeiten erledigt werden, ehe das der Nacht geziemende Schweigen eintrat. Inzwischen beleuchteten die angezündeten Feuer den Schauplatz, und lustig klang das Geräusch beim Brechen, Spalten und Zersplittern der Baumstämme.

       Der zu nichts brauchbare „PEACE“ fuhr auch am 4. Mai fort uns zu ärgern. Dies ist einer der langsamsten Dampfer, den man nur bauen konnte; die beiden anderen Dampfer ließen uns meilenweit zurück. Alle Dreiviertelstunden mussten wir haltmachen, um die Maschine zu ölen; manchmal mussten wir auch anhalten, um die Zylinder der Schrauben zu klaren, oder stoppen, um wieder mehr Dampf zu bekommen, oder den Rost von den verbrannten Kohlen zu reinigen. Wenn fünf Minuten später der Dampfdruck wieder auf 60° gestiegen war, fiel er gleich darauf wieder auf 40°, dann auf 35°, worauf unser armes, elendes Fahrzeug mit der Geschwindigkeit von einer Seemeile in der Stunde wieder stromabwärts trieb. Wir verloren durch den „PEACE“ sieben Tage im Stanley-Pool und einen weiteren Tag, als das Ruder brach; es war einmal unser Schicksal, überall Verzögerungen zu haben.

      Am folgenden Tage, 5. Mai, langten wir am Landungsplatze bei Msuata an. Der Major und Dr. Parke waren schon vier Tage vorher angekommen und hatten Mengen von Heizmaterial vorbereitet, sowie einen großen Haufen von Lebensmitteln, Brote aus Maniokwurzeln und Mais, angekauft.

      Am 6. Mai erteilte ich dem Major und seinen Gefährten den Befehl, mit ihren Leuten nach Kwamouth zu marschieren und den Dampfer dort zu erwarten. Der „STANLEY“ erhielt Ordre, nach Bolobo zu fahren, seine Passagiere dort auszuschiffen und dann nach Kwamouth zu gehen, um Barttelot und seine Leute zu holen, während wir die Kompanie in Bolobo reorganisierten.

       Am nächsten Tage erblickten wir den Dampfer „STANLEY“ ganz auf dem linken Ufer in der Nähe von Tschumbiri, und als wir herankamen, um uns nach der Ursache des Unfalls zu erkundigen, erfuhren wir, dass er auf ein Felsenriff gelaufen und schwer beschädigt war. Die zweite Abteilung war an vier verschiedenen Stellen durchlöchert, mehrere Nieten waren herausgestoßen und andere hatten sich gelöst. Wir machten uns daher mit den Maschinisten aller Dampfer an die Reparatur, wobei sich namentlich die Herren Charters und Walker, beide Schotten, durch ihre Tüchtigkeit auszeichneten. Wir zerschnitten einige alte eiserne Ölkannen und stellten daraus Platten her, welche an der Außenseite des Schiffes festgeschraubt wurden. Es war das eine sehr missliche Arbeit, deren Ausführung Geduld und große Sorgfalt beanspruchte, da im Schiffsraum zwei Fuß Wasser standen und man deshalb erst immer nach den Schrauben fühlen musste, ehe man die Mutter aufsetzen konnte. Dasselbe gilt von dem Durchschlagen der Löcher im Boden des Dampfers, wobei der Maschinist, bis zum Leibe im Wasser stehend, erst durch das die Kraft brechende Element auf seinen Meißel schlagen musste, sowie bei der Vorbereitung der Platten, die in Bezug auf die Bohrlöcher genau den Löchern im Schiffsboden entsprechen mussten, und dem Aufstreichen der Mennige, auf welche eine Lage Segeltuch und nochmals eine Schicht Mennige kam. Wenn alles zur Befestigung der Platte bereit war, wurde ein Taucher hinabgeschickt, welcher die Eisenplatte mit dem Segeltuch und den Mennigeschichten in die eine, das Ende eines an einem Loch der Platte befestigten Bindfadens in die andere Hand nahm. Der Taucher musste nun an der Außenseite des Schiffes das entsprechende Loch am Dampfer suchen, während der Maschinist im Raum bis zu den Hüften im Wasser stand und das Ende des Bindfadens zu ergreifen versuchte, worauf er, wenn dies gelungen war, letzteren langsam anzog und die Platte vorsichtig an ihre